Jung, dynamisch, selbstbewusst – Ein Österreicher in der Spitze der Tenniswelt

Dominic Thiem ist erstmals beim krönenden Saisonabschluss, der WM in London dabei, und hat die Chance auf das Halbfinale.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 16.11.2016, 00:00 Uhr

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LONDON, ENGLAND - NOVEMBER 15: Dominic Thiem of Austria walks out on court for his men's singles match against Gael Monfils of France on day three of the ATP World Tour Finals at O2 Arena on November 15, 2016 in London, England. (Photo by Clive Bru...

Es war eine verrückte Laune des Schicksals, als sich vor gut fünf Jahren auf dem Centre Court der Wiener Stadthalle zwei Tennisprofis aus zwei ganz verschiedenen Generationen gegenüberstanden. Auf der einen Seite des Netzes lauerte Thomas Muster, der alte steirische Kraftmeier - einer aus den Becker- und Agassi-Jahren der Tenniswelt, 44 Jahre alt damals, bei einem sehr späten Comeback im Tourbetrieb unterwegs. Und auf der anderen Seite harrte ein gewisser Dominic Thiem, ein frecher, couragierter Teenager, einer, der Musters Sohn hätte sein können, gerade mal 18 Jahre alt seinerzeit. Thiem, der Youngster, gewann dann souverän 6:2 und 6:3 gegen den einstigen König der Sandplätze, es war eine in zwei Tennissätze gefasste, demonstrative, symbolische Wachablösung. Muster als Repräsentant besserer, aber längst vergangener Tage. Und Thiem - er war das Versprechen für die Zukunft.

Heute, ein halbes Jahrzehnt später, hat Thiem es weit gebracht. Weiter, als selbst die meisten seiner Parteigänger glaubten. Er ist nicht nur der scheinbar kongeniale Erbe des Weltklassemanns und Grand-Slam-Champions Muster, er ist auch der stärkste aller Spieler der sogenannten Next-Generation auf der Tennistour, besser als Leute wie Australiens Skandalnudel Nick Kyrgios oder auch der einige Jahre jüngere, noch reifende Deutsche Alexander Zverev. Bei der laufenden Weltmeisterschaft der Herren in der Londoner O2-Arena erlebt Thiem die vorläufige Krönung seiner Bilderbuch-Karriere: Der 23-jährige Österreicher ist nicht einfach nur dabei im Mächtespiel der ganz Großen, er kann sogar am Donnerstag noch einen Bonus realisieren - einen Halbfinalplatz bei diesem Saisonfinale der acht Besten.

Thiem ging den schweren Weg

Thiem gegen den kanadischen Aufschlaggiganten Milos Raonic - es ist ein echtes Endspiel um den zweiten Vorschlussrundenplatz neben dem bereits qualifizierten, wiedererstarkten Serben Novak Djokovic. Auch gegen ihn, gegen Djokovic, hatte Thiem in seinem ersten Gruppenspiel auf der großen Londoner Bühne durchaus überzeugt und musste sich erst nach drei wechselvollen Sätzen geschlagen geben. Anschließend lobte ihn bei einem kurzen Treffen in den Katakomben des Hallenpalastes sogar Tennisfan Jose Mourinho: "Du spielst eine richtig tolle Saison."

In der Tat ist beeindruckend, welche Konstanz und welch hohes Niveau Thiem über weite Strecken dieser Saison halten konnte, insbesondere in ersten Hälfte. Und mit welcher Abgebrühtheit, Entschlossenheit und Courage er gegen die Topstars auftrat und ihnen das Fürchten lehrte. Keine Angst vor großen Namen: Dieses Selbstbewusstsein erwuchs bei Thiem vorrangig auch aus dem Wissen um seine physische Stärke und enorme Athletik. "Dominic ist keiner, der den leichten, den einfachen Weg geht", sagt sein Trainer Günter Bresnik, einst auch mal der oberste Übungsleiter von Boris Becker. Er sei überzeugt davon, sagt Thiem selbst, "dass ich mehr gemacht habe als 99 Prozent der anderen Spieler. Ich habe das ganze Leben dem Tennis untergeordnet - seit ich zwölf bin." Damals hatte Bresnik dem jungen Burschen auch ein Leitmotiv für die gemeinsame Arbeit gegeben: "Wir arbeiten mehr. Und wir arbeiten richtig. Nur so kann etwas Großes entstehen."

Vier Titel und zwei Finals in diesem Jahr

Muster, der Altvordere, hat kürzlich einmal angemerkt, dass er Thiem "zehn Grand-Slam-Titel und 15 Jahre an der Weltspitze" gönne. Er habe nicht die geringsten Probleme damit, so der Tennis-Malocher, "dass jetzt einer kommt, der vielleicht größer, besser wird." Und diese Möglichkeit besteht inzwischen auch sehr real, denn Thiem hat sich nach harten Lehr- und Aufbaujahren nun die nötige Plattform geschaffen, um sich in der absoluten Weltspitze zu etablieren. In dieser Saison schaffte der Niederösterreicher bereits den wertvollsten Aufstieg aller Berufsspieler, am Ende des Jahres sogar wieder hinein in die Top Ten und zur WM. Als Nummer acht der Abschlusswertung für 2016 steht er inzwischen fest, noch vor Matador Rafael Nadal.

Das imponiert auch einem wie Boris Becker, dem Coach von Djokovic, der dreimalige Wimbledon-Gewinner hielt unlängst schon einmal fest, dass man bei Thiem "in jedem Moment spürt, dass er aus seinen Talenten etwas machen will." Speziell in den ersten Saisonmonaten spielte sich Thiem in einen Erfolgsrausch hinein, mit Siegen auf Sand und Hartplatz gegen die versammelten Spezialisten in Buenos Aires und Acapulco - und dann noch einmal mit den Titelcoups in Nizza und Stuttgart. Eindruck machte er allerdings auch als French-Open-Halbfinalist, dort, im Stadion Roland Garros, erst geschlagen vom späteren Pokalgewinner Djokovic. Thiem ist kein Mann, der Kompromisse in seinem anspruchsvollen Beruf macht. "Ich bin jemand, der stets an seine Limits gehen will", sagt er. Und das auch jetzt in London, als WM-Kämpfer, dessen Mission noch ein bisschen weitergehen, hinaus über die Vorrunde.

von Jörg Allmeroth

Mittwoch
16.11.2016, 00:00 Uhr