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Australian Open: Cori Gauff - Wunderkind nun gegen Titelverteidigerin

Cori Gauff bekommt bei den Australian Open 2020 die Chance zur Revanche für ihre Niederlage von New York gegen Naomi Osaka. In der zweiten Runde schaffte die 15-jährige US-Amerikanerin ein bemerkenswertes Comeback.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 22.01.2020, 17:08 Uhr

Cori Gauff freut sich auf Naomi Osaka
© Getty Images
Cori Gauff freut sich auf Naomi Osaka

Als Cori Gauff am Montag zu ihrem Grand-Slam-Erstrundenknüller gegen Venus Williams antrat, hatten die Tennisfreaks in den weiten Welten des Internets natürlich sehr gut aufgepasst. Und sofort einen bemerkenswerten Fakt aufgespürt: Gauff war zu ihrem dramatischen Sieg in das drittgrößte Stadion einmarschiert, in die Margaret-Court-Arena zu Melbourne. Ein großer, bedeutender Schauplatz, der drittgrößte bei den Australian Open, aber tatsächlich der kleinste, in dem Gauff jemals bei einem Grand-Slam-Turnier wirkte. Drei Mal hat Gauff, dieses vielbeschworene „Wunderkind“, bisher erst an Major-Wettbewerben teilgenommen, in Wimbledon letztes Jahr spielte sie dabei dreimal auf Court 1 und ein Mal auf dem Centre Court. Bei den US Open, im Spätsommer, ging es zwei Mal auf den zweitgrößten Platz, das Louis-Armstrong-Stadion. Und ein Mal, zur Abschiedsvorstellung, in die weltgrößte Arena, das Arthur-Ashe-Stadion.

Die Gegnerin, der Gauff damals Auge in Auge gegenüberstand, wird sie morgen auch wiedersehen. Und man muss nicht allzu kühn spekulieren, um zu vermuten, dass die Drittrunden-Partie zwischen der 15-jährigen Amerikanerin und Melbourne-Titelverteidigerin Naomi Osaka auf dem Centre Court über die Bühne gehen wird, vor knapp 16.000 Zuschauern. Und einigen Hundert Millionen Fans rund um den Planeten, im Internet, vor den Fernsehern. Gauff gegen Osaka, es ist kurioser Weise schon wieder ein Generationenduell, zwischen Gauff, der phänomenalen Senkrechtstarterin im Juniorinnenalter. Und Osaka, einer Spielerin, die gerade erst als Anführererin einer „neuen Generation“ im Frauentennis markiert wurde – nach immerhin zwei Grand-Slam-Triumphen und dem Sprung auf Platz 1 der Weltrangliste, als erste asiatische Spielerin überhaupt. „Es ist verrückt, wie jung sie ist“, sagt Osaka nun über Gauff.

Gauff nervös gegen Osaka

Aber noch verrückter ist eigentlich, welche Himmelsstürmerin-Nummer Gauff da vor den Augen der Tenniswelt hingelegt hat – seit Wimbledon 2020, dem Turnier, an dem man zum ersten Mal wirklich Notiz von ihr nahm. Vor einem Jahr, bei den Australian Open 2019 kannten sie ja nur die eingeschworenen Insider, sie stand seinerzeit auf Platz 684 der Weltrangliste, an Grand-Slam-Spiele, an Auftritte auf den größten und wichtigsten Courts der Welt war überhaupt nicht zu denken. „Grand Slams waren für mich damals ein Fernseherlebnis“, sagt Gauff. Nun ist sie nicht nur dabei, sondern mittendrin im großen Spiel, gefühlt schon eine der Hauptdarstellerinnen. Und eine, die auf Schritt und Tritt große Erwartungen begleiten, nicht zuletzt die Hoffnung, der nächste ganz große Star der Branche zu werden, vielleicht sogar die Nachfolgerin einer gewissen Serena Williams. Deren Schwester, Venus, sie bei drei Grand-Slam-Teilnahmen mittlerweile zwei Mal in der spektakulären Auftaktrunde besiegte.

Aber mehr noch als ihre Siege imponiert Gauffs frühe spielerische Reife, ihre Abgeklärtheit und Überlegtheit. Und eine Willenskraft, eine Entschlossenheit, die sie wirklich heraushebt aus dem Kreis der vielen Hundert ambitionierten Nachwuchsspielerinnen der Tour. Schon im All England Club, in der vergangenen Saison bei ihrem Grand-Slam-Debüt, hatte diese Never-say-die-Attitüde imponierte, dieser unerschütterliche Glaube an eine Chance, selbst in kritischster Lage. Mittlerweile eilt ihr diese Charaktereigenschaft als Markenzeichen voraus, und auch am Mittwoch, beim Match gegen Cirstea, war mal wieder eine dieser verrückten Aufholjagden von Gauff zu bestaunen. Einen 0:3-Rückstand im dritten Satz steckte sie ungerührt weg, bog die Partie noch um – und trifft nun auf Osaka, gegen die sie in New York glatt in zwei Sätzen mit 3:6 und 0:6 verloren hatte. Ein Bild blieb damals in Erinnerung, das Bild, wie Osaka nach dem Match zu Gauff herüber kam und die in Tränen aufgelöste Teenagerin tröstete, fast wie eine Mutter ihre Tochter. „Damals wurde alles zu viel für mich. Die Erwartungen, der Hype um meine Person. Ich war auch körperlich am Ende“, sagt Gauff.

Serena Williams als Inspiration

Gauff, derzeit die Nummer 67 der WTA-Hitparade wirkt viel erwachsener und schon routinierter als ihre Altersgenossinnen, der Rest der Next Gen – ohne dabei altklug zu sein. Sie sei „ihrer Zeit einfach voraus“, sagt die Schweizerin Belinda Bencic, vor nicht allzu langer Zeit selbst einmal das Wunderkind der Szene, „Cori ist eine Ausnahmespielerin, in jeder Beziehung.“ Im Herbst 2019 hatte sich Gauff schon ein wenig gefangen nach dem Trubel und der Hektik zweier abenteuerlicher Grand-Slam-Auftritte, sie gewann im österreichischen Linz sogar ihr erstes WTA-Turnier, nachdem sie nur als Lucky Loser ins Hauptfeld gerückt war. In der Winterpause trainierte sie in Florida hart, traf sich zu einigen Übungseinheiten auch mit ihrem Idol Serena Williams. Was Serena in ihrem Alter leiste, sagt Gauff, „ist einfach sensationell. Sie ist eine unglaubliche Inspiration.“ Aber die Beschäftigung mit der Williams-Karriere führte Gauff auch zu dieser Erkenntnis: „Ich habe noch sehr, sehr viel Zeit, um meine ganzen Stärken zu entwickeln“, so Gauff, „ich muss den Weg nach oben ruhig gehen. Ich darf einfach nicht verrückt spielen, wenn es mal nicht läuft.“ Und wenn eine wie Naomi Osaka noch schlicht besser ist, hier und jetzt. 

Hier das Tableau der Frauen bei den Australian Open

von Jörg Allmeroth

Mittwoch
22.01.2020, 15:24 Uhr
zuletzt bearbeitet: 22.01.2020, 17:08 Uhr