Laura Siegemund – Der starke Auftritt der spätberufenen Schwäbin

Die 27-jährige Filderstädterin steht in Melbourne überraschend in der dritten Runde.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 21.01.2016, 11:40 Uhr

Laura Siegemund - Australian Open 2016

Als Laura Siegemund mit zwölf Jahren die weltbeste Spielerin ihrer Altersklasse war, da passierte in Deutschland etwas leider ganz Selbstverständliches und Ungerechtes zugleich. Siegemund, damals auch stolze Gewinnerin des prestigeträchtigen Orange-Bowl-Turniers in Florida, der Nachwuchs-WM, wurde umgehend zur neuen Steffi Graf ausgerufen - zur nächsten Erbfolgerin der erfolgreichsten Spielerin der modernen Tennisgeschichte. "Ich wurde regelrecht überrollt damals. Da stürzte so viel auf mich ein", sagt Siegemund. Daheim, in ihrer schwäbischen Heimat, schwirrten Agenten, Vermarkter und Sponsorenvertreter umher, alle in der Hoffnung, den neuen großen Superstar für sich verpflichten zu können. Dabei, sagt Siegemund, "kannst du nie wissen, was aus dir wird. Schon gar nicht in dem Alter."

Das weiß Siegemund auch nicht jetzt mit letzter Gewissheit, mit 27 Jahren. Denn viel, fast schon zu viel hat sie erlebt in ihrer bewegten und bewegenden Karriere, alle Höhen und Tiefen, mehr schwierige als schöne Momente, Zweifel und Sorgen, einen Fast-Abschied vom Tennis, einen Neuanfang. Nun, anderthalb Jahrzehnte nach den glücklichen Kindertagen, kommt vielleicht ein neues Kapitel hinzu: Das anhaltende Glück der spätberufenen Berufsspielerin, einer gereiften Frau, die weiß, was sie wie und mit wem im Tennis tun muss, um erfolgreich zu sein. Und die auch mal einen Sensationscoup wie an diesem Donnerstag in Melbourne auf den Court zaubern kann, einen 3:6,-7:6 (5),-6:4-Sieg gegen die Serbin Jelena Jankovic, immerhin mal die Nummer eins der Welt. "Das bedeutet die Welt für mich", sagte Siegemund hinterher - und wem, wenn nicht ihr, hätte man das nach all den komplizierten Arbeitsjahren nicht glauben sollen. Nächste Gegnerin von Siegemund ist eine deutsche Kollegin, die Bonnerin Annika Beck, der ebenfalls ein 6:2,-6:3-Überraschungssieg gegen die Schweizerin Timea Bacsinszky gelang.

Neue Motivation durch Trainerausbildung

Frauenpower aus der zweiten deutschen Reihe also, mit jener Laura Siegemund vor allem, die erstmals beim Wimbledon-Turnier der letzten Saison wieder ins Blickfeld geraten war - dort hatte sich die Filderstädterin nach vielen vergeblichen und verzweifelten Versuchen erstmals für ein Grand-Slam-Hauptfeld qualifiziert. Eine ungewöhnliche Debütantin war sie allerdings nicht nur wegen des Alters, denn Siegemund hatte inzwischen auch schon eine Trainerausbildung abgeschlossen, 2012 als Jahrgangsbeste für den A-Schein des DTB, und sich zudem noch für ein Fernstudium an der Uni Hagen im Fach Psychologie eingeschrieben. "Ich wollte eigentlich schon mal aufhören, weil es nicht so richtig voranging mit dem Tennis", so Siegemund, "aber dann bekam ich neue Motivation durch diese Trainerausbildung."

Im Tennis-Deutschland des neuen Fräuleinwunders mit Kerber, Petkovic, Görges oder Lisicki fristete Siegemund, die jetzt gerade ihre Bachelor-Arbeit geschrieben hat, eher eine Schattenexistenz - als Randfigur abseits des Rampenlichts. "Bis Mitte 2014 war ich nicht mal eine richtige Profispielerin. Bei anderthalb Stunden Training neben dem Studium konntest du keine großen Ziele erreichen." Doch der langsame, aber stetige Aufstieg in der Weltrangliste brachte die Schwäbin wieder auf den Geschmack, sie legte noch mehr Fokus auf die Tenniskarriere, rückte unter die Top 200 vor, dann unter die Top 150. Und dann, nach elf vergeblichen Qualifikationsanläufen, wurde sie in Wimbledon 2015 endlich, endlich auch zur Grand-Slam-Spielerin. "Da dachte ich mir: Gut, dass du noch mal so viel ins Tennis investiert hast." Und ein Dank galt auch Trainern und anderen Weggefährten bei dieser schwierigen Expedition, denn, so Siegemund, "ich bin als Spielerin zwar diszipliniert und zielgerichtet, aber auch ein bisschen anstrengend."

Durchgekämpft zum späten Glück

Platz 97 der Weltrangliste belegte Siegemund vor den Australian Open, es wird nun, nach dem ersten Grand-Slam-Sieg überhaupt und nach dem Knockout von Jankovic, noch ein Stückchen weiter nach oben gehen. Bald schon könnte ein Platz unter den Top 50 in Reichweite geraten für das einst so vielversprechende Tennis-Kind - für eine Spielerin, die sich durchgekämpft zu ihrem späten und großen Glück. Die dafür steht, dass es sich lohnt, niemals aufzugeben, selbst nicht nach so vielen Jahren des Scheiterns und der schon alternativen Berufswege.

An diesem Donnerstag erschien sie fast wie ein Phänomen der Australian Open, die strahlende Schwäbin, die im Hurra-Stil die Bastion Jankovic einnahm, mit einer fürs Frauentennis ungewohnten Angriffswucht und Kompromisslosigkeit und wilden Entschlossenheit. 50 Siegschläge standen später auf der Haben-Seite der Spielstatistik, ein imponierender Wert für eine Außenseiterin auf großer Grand-Slam-Bühne. Geht Siegemunds Märchenlauf noch weiter? Annika Beck, eine aus der nächsten deutschen Generation, eine Freundin auch, steht jetzt im Weg. Ein deutsches Duell um einen Platz im Achtelfinale, ohne dass eine der deutschen Größen beteiligt ist - wer hätte das vor diesem Turnier gedacht.

von tennisnet.com

Donnerstag
21.01.2016, 11:40 Uhr