"Sabine ist für Schauplätze wie Wimbledon geboren"
Die Fed-Cup-Kapitänin fordert Geduld für die deutschen Topspielerinnen ein.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
26.06.2011, 09:39 Uhr

Von Jörg Allmeroth, London
Barbara Rittner (38) ist seit Anfang 2005 die Chefin des deutschen Fed Cup-Teams. Sie begleitete in den letzten Jahren auch die Karrieren der Spielerinnen, die für einen neuen Aufschwung im Damentennis sorgten: Andrea Petkovic, Julia Görges und Sabine Lisicki. Rittner gewann selbst 1992 den Wimbledontitel bei den Juniorinnen und rückte als Profispielerin bis auf Platz 24 der Weltrangliste vor.
Frau Rittner, viele Experten hatten einen deutschen Achtelfinal-Montag in London erwartet, mit drei Spielerinnen aus Ihrem Fed Cup-Team. Jetzt ist nur Sabine Lisicki übriggeblieben – eine Enttäuschung?
Barbara Rittner: Wir haben natürlich hohe Erwartungen produziert mit dem Aufschwung der letzten Wochen und Monate, aber es gibt keinen Grund, hier in Trauerstimmung zu verfallen. Ich habe immer gesagt: Das Damentennis ist so unübersichtlich und offen, da sind ganz plötzlich Supererfolge, aber auch bittere Rückschläge möglich. Die ganze Szene ist wie eine Wundertüte, oft weiß keiner so richtig, was im nächsten Moment kommt.
Von dieser konfusen Lage haben Spielerinnen wie Andrea Petkovic und Julia Görges lange profitiert, bevor Sie jetzt selbst hungrigen Herausfordererinnen zum Opfer fielen.
Rittner: Sie haben sich einen neuen Status im Welttennis erkämpft, aber sie sind noch keineswegs so stabil und gefestigt, um bei jedem Grand Slam das absolut Außergewöhnliche auf den Platz zu zaubern. Ich habe nicht zu Unrecht gewarnt, dass Rückschläge jederzeit möglich sind.
Allerdings sorgt eine Deutsche auch für eine der größten Geschichten dieses Turniers: Sabine Lisicki, die als Wild Card-Starterin nun die deutsche Solorolle spielt.
Rittner: Was einen immer wieder erstaunt, ist ihre Konsequenz in großen Matches auf großen Bühnen. Du stellst sie irgendwo auf einen Centre Court, und sie spielt richtig gutes Tennis. Sabine ist für Schauplätze wie Wimbledon geboren. Und Wimbledon ist auch ideal für ihr wuchtiges Spiel, hier kann sie jeder Gegnerin das Spiel zu ihren Bedingungen aufdiktieren. Und ich sage bewusst: Jeder.
Hat Lisicki von den Erfolgen Ihrer Fed Cup-Mitspielerinnen profitiert, auch weil sich wenige Blicke auf ihr anfangs sehr mühsames Comeback richteten?
Rittner: Das war wirklich kein einfacher Weg nach oben, der Weg war sogar mit erheblichen Enttäuschungen gepflastert. Aber sie ist eine enorm ehrgeizige junge Frau, die genau weiß, was sie will. Und die auch weiß, was sie tun muss, um es zu erreichen. Es war schon ein großer Ansporn für sie, dass Andrea Petkovic nach einer schweren Verletzung diese Erfolge feierte. Ich traue Sabine potenziell auch zu, sich gegen die Williams-Schwestern zu behaupten, denn sie hat die Power und den nötigen Mumm dafür.
Andrea Petkovic als Motivationshelferin, doch sie selbst war in Wimbledon ein Sorgenfall.
Rittner: Sie war vom ersten Ballwechsel an gehemmt und verspannt. Ich hab' ihr immer wieder gesagt: Hallo, das ist Wimbledon hier, genieß' das doch mal. Aber sie war nicht erreichbar für solche Aufmunterung. Man merkte: Sie will hier unbedingt etwas erzwingen, will womöglich in die Top Ten rein, doch es lief dann wenig zusammen. Sie muss sich jetzt mal zurücklehnen, tief Luft holen, auf die Schulter klopfen und sagen: Gut gemacht, Petko. Und dann wieder neue Ziele behutsam angehen.
Nicht nur bei Petkovic, auch bei Julia Görges hatte man den Eindruck, dass sie von dieser Welle der Erwartungen und Ansprüche aus dem Gleichgewicht gerissen wurden.
Rittner: Man braucht nicht drumherum zu reden. Es ging alles wahnsinnig schnell in den letzten Monaten, auch dieser doppelte Sprung unter die Top 20 für Petko und Jule. Da lese ich dann plötzlich, dass eine Deutsche natürlich mal so eben einen Grand Slam-Titel gewinnen kann. Aber so einfach spielt die Musik dann doch nicht in diesem Geschäft. Andrea und Julia sind harte, methodische Arbeiterinnen, aber keine Künstlerinnen, die alle Gegnerinnen wegspielen können. Die Schritte noch weiter nach oben werden noch schwerer jetzt. Es wird Rückschritte, mal Stagnation geben. Aber sie haben es drauf, weiter zu klettern. Ohne Zweifel.
Muss sich das Umfeld nicht auch noch weiter professionalisieren?
Rittner: Das wird es, sicher. Aber die Familien sind da auch in Situationen reingeworfen worden, die sie einfach noch nicht kannten. Plötzlich stehen sie mit den Kindern in einer Liga, von der sie vor einem halben Jahr noch nicht mal zu träumen wagten. Ich finde aber, dass sie das sehr gut machen bisher. Und dass sie aus Fehlern auch immer schnell gelernt haben. Da haben wir schon ganz andere Dinge in der Tenniswelt erlebt.
Die Karrieren von Petkovic, Görges und auch Sabine Lisicki zeigen ja auch, dass Spielerinnen ihre eigene Leistungsspitze heutzutage erst viel später erreichen.
Rittner: Die Zeiten, in denen Wunderkinder gefeiert wurden und Teenager Grand Slam-Titel gewannen, sind vorbei. Ich trauere dem auch keinesfalls hinterher, sondern habe lieber Spielerinnen, die eine solide Ausbildung haben und sich dann dem Tennis widmen. Insofern sind wir in Deutschland durchaus konkurrenzfähig und müssen nicht immer nach Osteuropa schauen, wo alles angeblich besser sei im Aufbau einer Tenniskarriere. Wir müssen halt Geduld haben mit den Spielerinnen und nicht den Stab brechen, wenn mit 20, 21 Jahren noch kein Grand Slam-Titel gewonnen worden ist.(Foto: GEPA pictures / Witters)
