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„Der Job fängt an, wenn man morgens die Augen aufmacht“

Boris Becker, der Trainer von Novak Djokovic, spricht im Interview über seine Eindrücke aus der ersten Woche in Wimbledon.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 29.06.2014, 08:33 Uhr

Boris Becker sprach inWimbledon, dem Ort seiner größten Triumphe, mit den deutschen Journalisten vor Ort über das bisherige Abschneiden seines Schützlings Novak Djokovic, die Besonderheiten von Wimbledon und das deutsche Herrentennis.

Herr Becker, wie fällt ihr sportliches Fazit nach der ersten Woche aus?

Das Fazit fällt gut aus, wir sind noch im Turnier. Die Matches, abgesehen vom ersten, waren nicht einfach. Stepanek ist ein guter Rasenspieler und hat Murray in Queen's geschlagen. Er ist ein guter Freund von Novak. Die beiden haben bislang das beste Match auf dem Centre Court gespielt. Es war ein guter Test für Novak, da er vorher kein Rasenturnier und keine Exhibtion gespielt hat.Gestern gegen Simon gab es dann diesen unglücklichen Fall auf seine Schulter, wo wir schon gedacht haben, dass es das bereits gewesen sein könnte. Zum Glück ist es gut ausgegangen. Die Tests haben gezeigt, dass es nichts Dramatisches ist. Es ist gut, dass er nun zwei Tage frei hat, um sich körperlich und geistig zu erholen. Das wird er auch brauchen. Denn in der zweiten Woche ist jedes Match fast ein Finale.

Novak hat gestern gewitzelt, dass Sie ihm den Becker-Hecht hätten beibringen sollen.

Das stimmt. Das müssen wir noch üben in der nächsten Woche, dass er richtig fällt und sich abrollt, damit alles weicher ist.

Es wird immer viel darüber geredet, dass Wimbledon anders ist als die anderen Grand Slams. Muss man in Wimbledon mental etwas anderes machen oder können als bei den anderen Turnieren?

Das fängt mit dem Belag an. Es wird im gesamten Jahr nicht auf Rasen gespielt, außer in dieser kurzen Zeitspanne. Die Umstellung von Sand auf Rasen könnte nicht größer sein. Hier muss man mehr Gewinnpunkte erzielen, auf Sand versucht man, Fehler zu vermeiden. Die Einstellung, mit der man in ein Spiel geht, ist genau umgekehrt. Hinzu kommen die Regeln und die Traditionen, die in Wimbledon dazukommen. Man muss sich auskennen und die richtigen Menschen kennen. Da Novak und ich Mitglied im Club sind, hat das Vorteile für uns. Hinzu kommt, dass man sich im Vorfeld dem Centre Court nicht angewöhnen kann, weil man sich nicht darauf einspielen darf. Das ist etwas Einmaliges.

Wie ist die Sicht aus der Spielerbox?

Die Sicht ist gut. Ich habe mich ganz rechts hingesetzt, um direkt den Platz vor mir zu haben. Ich saß in Wimbledon schon überall: auf dem Platz, in der Royal Box und in der Kommentatorenbox. Die Spielerbox ist nun etwas Neues für mich.

Sie haben in der Vergangenheit bemerkt, dass in Wimbledon wenig Rasentennis gespielt wird. Was bedeutet das für die Zusammenarbeit mit Novak Djokovic?

Die Sandplatzspieler tun so, als ob der Rasen ein Sandplatz ist und stehen hinter der Grundlinie. Den klassischen Rasenspieler gibt es kaum noch. Trotzdem müssen sich die guten Spieler umstellen, auch wenn sie von der Grundlinie spielen. Nadal hat das gegen Rosol, der sehr gefährlich ist auf Rasen, gut getan und seine Position verändert. Diese Umstellungen muss man lernen und vornehmen, bevor das Match vorbei ist.

Stimmt es, dass sich die Rasenplätze in Wimbledon in der zweiten Turnierwoche anders spielen?

Ja, in der zweiten Woche ist der Ballabsprung wesentlich höher, weil es weniger Rasen gibt. Das war immer schon so, aber nicht so extrem wie in den letzten Jahren, weil viel mehr Spieler von hinten spielen. Das ist für die Grundlinienspieler besser, weil sie ihr Spiel nicht allzu groß umstellen müssen. Das Problem ist nur, dass die Bälle öfter verspringen.

Wer hat Sie in Wimbledon bislang am meisten beeindruckt?

Ich finde die Form von Murray bemerkenswert, wenn man beachtet, dass er ein Jahr kein Turnier gewonnen hat, der größte Druck von allen auf ihm lastet und dazu noch ein Trainerwechsel hinzugekommen ist. Das alles muss man erst einmal verarbeiten. Das hat er sehr gut gemacht. Die Form von Federer im ganzen Jahr ist stark. Er hat von allen Spielern das natürlichste Spiel für Rasen. Seine Formschwäche ist überwunden. Nadal hat der Sieg in Paris auf Wolke sieben gehoben. Er hat keinen Druck mehr. Alles, was in diesem Jahr noch kommt, ist für ihn Bonus. Außerdem sind in Wimbledon immer wieder Spieler gefährlich wie Tsonga oder Anderson, die einen starken Aufschlag haben. Sandplatz hin oder her: Ein guter Aufschlag und Volley sind hier nach wie vor Gold wert. Wenn man beides kann, hat man Vorteile.

Der Job als Kommentator ist entspannter als der Trainerjob. Wo liegen die Unterschiede?

Man darf den Job als Kommentator nicht unterschätzen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass man ein Endspiel vor mehreren hundert Millionen Menschen kommentiert. Man überlegt jedes Wort, gerade wenn man die Sprache nicht hundertprozentig beherrscht. Auch da muss man seine Form und Contenance halten. Meine heutige Aufgabe ist ganz anders. Bei einem Spiel, das man kommentiert, ist es irgendwann nach drei oder vier Stunden vorbei. Ein Trainerjob geht den ganzen Tag. Alles muss geplant werden. Der Job fängt an, wenn man morgens die Augen aufmacht.

Wie würden Sie jemanden Wimbledon beschreiben, der damit nichts zu tun hat?

Als Katholik gehst du nach Rom. Als Moslem gehst du nach Mekka. Als Jude gehst du nach Israel. So ist das mit Tennis und Wimbledon.

In ein paar Tagen jährt sich zum 25. Mal der größte Tag im deutschen Tennis, als Sie und Steffi Graf am gleichen Tag Wimbledon gewonnen haben. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?

Wenn man als Spieler mittendrin ist, bekommt man die Bedeutung nicht mit, wie unglaublich dieser Tag für das deutsche Tennis war. Man schaute damals zunächst einmal auf sich. In dem Moment glaubt man, dass es nur alle paar Jahre vorkommt, dass ein Deutscher im Herreneinzel und eine Deutsche im Dameneinzel gewinnt. Das weiß man erst im Nachhinein einzuschätzen als in jenem Moment.

Ihre sportlichen Erben sind in diesem Jahr alle vor der dritten Runde ausgeschieden. Gucken Sie mit einem weinenden Auge auf die deutsche Herren-Bilanz oder war das Ihnen vorher schon klar, dass die Chancen gering waren,zumal mit Tommy Haas und Florian Mayer zwei Spieler fehlten?

Wenn zwei so gute Spieler fehlen, reduzieren sich die Chancen. Kohlschreiber hat in den letzten Wochen eine gute Form gehabt. Wimbledon ist dann aber eine andere Hausnummer. Das ist leider der Stand der Dinge, dass wir im Herrenbereich kaum Spieler haben, die das Potential haben, bei einem Grand Slam bis tief in die zweite Woche dabei zu sein. Wenn das passiert, ist es eher etwas Außergewöhnliches. Von daher hält sich die Überraschung in Grenzen.

Novak Djokovic wartet seit einiger Zeit auf einen weiteren Grand-Slam-Titel. Merkt man, dass er sich noch mehr unter Druck setzt, damit es mit einem weiteren Triumph klappt?

Solch ein „Problem" wie Novak möchten viele Spieler haben. Ein Grand-Slam-Finale zu erreichen, ist eine unglaubliche Leistung, die mit vielen Anstrengungen verbunden ist. Das ist der Höhepunkt für 99 Prozent der Spieler. Novak hat aber eine Klasse erreicht, bei der er mit einem Halbfinale oder Finale nicht mehr zufrieden ist. Es wäre auch falsch, damit zufrieden zu sein, wenn man vorher das Turnier schon gewonnen hat. Insgesamt müssen sich alle Spieler über die Jahre verändern und verbessern. Die Umkleidekabine schläft nicht. Wenn man immer das gleiche Tennis spielt, lernt der Gegner das irgendwann kennen und schlägt einen. Daher muss man neue Tricks und Spielmethoden finden, um an der Spitze zu bleiben.

Wie schaut man als ehemaliger Grand-Slam-Sieger auf diesen Berg von 17 Grand-Slam-Titeln von Roger Federer?

Der Berg ist zu hoch. Das ist schwer zu vergleichen mit meiner Generation. Es gibt verschiedene Theorien, wie es möglich ist, dass Federer 17 und Nadal 14 Grand-Slam-Titel gewinnen konnte. Diese Tatsache ist unglaublich. Ich habe immer gesagt, dass wir Roger noch länger brauchen. Er muss zwar nicht anfangen, Grand-Slam-Turniere zu gewinnen. Die sehe ich bei Novak lieber. Es ist eine faszinierende Zeit im Herrentennis, dass wir zwei Spieler haben mit so vielen Grand-Slam-Titeln. Zu anderen Zeiten wäre das nicht möglich gewesen.

Was halten Sie vondem Vorschlag von John McEnroe, die Schiedsrichter und das Aufwärmen abzuschaffen?

Ich glaube nicht, dass es den großen Unterschied ausmacht. Wenn man ein Match kommentiert, dauert es schon manchmal schon sehr lange. Da man nicht immer das Gleiche sagen kann, kommt man auf neue Ideen. John ist für mich der beste Tenniskommentator, der immer einen Schuss Humor bei seinen Aussagen dabei hat. Ich denke, dass die Aufwärmphase das Tennis nicht attraktiver oder schlechter macht. Ich bin froh, dass es im nächsten Jahr eine weitere Woche zwischen Paris und Wimbledon gibt. Das tut den Spielern, dem Turnier und den Medien gut. Es gibt allen Spielern die Möglichkeit, sich von Paris zu erholen und ein Rasenturnier zur Vorbereitung zu spielen. Das ist für die Qualität des Sportes wichtig.

Aufgezeichnet von Christian Albrecht Barschel.

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Sonntag
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