Botic van de Zandschulp im Interview: "Ein Turnier kann definitiv eine Karriere verändern"

Botic van de Zandschulp spricht im Exklusiv-Interview mit tennisnet.com über seinen Durchbruch bei den US Open 2021, den Wechsel von der Challenger- auf die ATP-Tour und die Matches (und Siege) gegen die absoluten Topspieler. 

von Michael Rothschädl
zuletzt bearbeitet: 24.04.2022, 15:40 Uhr

Botic van de Zandschulp hat bei den US Open 2021 den Durchbruch geschafft
Botic van de Zandschulp hat bei den US Open 2021 den Durchbruch geschafft

Herr van de Zandschulp, an diesem Wochenende haben Sie aus Turnier hier in Barcelona rausgezogen. Was war der Grund dafür?

Ich habe vor zwei Wochen in Marrakesch gespielt. Nach meinem Erstrundenmatch hat mein Rücken geklemmt und es war schwer für mich, in den Spielen danach wirklich frei zu spielen. Ich habe trotzdem gespielt, mit ein bisschen Schmerzen aufgrund der Rückenverletzung. Und dann war Monte Carlo, ich habe das erste Mal in Monte Carlo gespielt. Und dann ist es natürlich schon so, dass man wirklich spielen will: Im Nachhinein wäre es aber wahrscheinlich besser gewesen, wenn ich dort vor meinem ersten Match aus dem Turnier zurückgezogen hätte. Also habe ich beschlossen, während Barcelona eine Woche Pause zu machen. Ansonsten geht es mit dem Rücken einfach so weiter, denke ich, und es wird nicht besser. Das ist der Grund, warum ich mich aus Barcelona zurückgezogen habe.

Habe gesagt, dass ich nicht zu einem Turnier fahre, wenn ich mich nicht 100-prozentig fit fühle. 

Botic van de Zandschulp über aktuelle Verletzungssorgen.

Aber Sie haben vor, bald wieder auf die Tour zurückzukehren?

Ja, ich versuche, in München zu spielen. Das wäre gut. Ich und mein Team hätten gerne Barcelona und München gespielt, die Trainings vor Barcelona am Donnerstag und Freitag vor dem Turnier in Barcelona waren aber nicht ganz schmerzfrei. Ich spürte also noch ein bisschen den Rücken. Deshalb habe ich gesagt, dass ich nicht zu einem Turnier fahre, wenn ich mich nicht 100-prozentig fühle. Das ist der Grund, warum ich München dem Turnier in Barcelona vorgezogen habe.

In dieser Saison haben Sie bisher zwei Viertelfinale und zwei dritte Runden in Indian Wells und bei den Australian Open erreicht. Wie beurteilen Sie Ihren Start in die diesjährige Saison?

Ich denke, der Start in die Saison ist ziemlich gut. Erst letztes Jahr bin ich von den Challenger- zu den ATP-Turnieren gewechselt. Ich denke, es ist ein guter Start in das Jahr. Er hätte natürlich auch besser oder schlechter sein können. Aber ja, ich denke, er ist in Ordnung, er ist anständig. Ich versuche, für den Rest des Jahres bei ein paar Turnieren besser abzuschneiden als das Viertelfinale oder die dritte Runde zu erreichen. Ich hatte einige Chancen, in Turnieren weiter zu kommen, habe aber einige enge Matches verloren. Ich werde also versuchen, in den kommenden Turnieren die engen Matches zu gewinnen.

Trotzdem haben Sie es geschafft, in der Rangliste ziemlich weit nach oben zu klettern. Zurzeit stehen Sie auf Platz 41 der Weltrangliste und liegen damit 15 Plätze vor Ihrem Landsmann Tallon Griekspoor. Gibt es zwischen Ihnen beiden eine Art Rennen oder einen Wettkampf hinsichtlich der Weltrangliste?

Ich denke, es ist kein Rennen oder Wettkampf, aber es ist schön, einen anderen Mann aus dem gleichen Land zu haben, der mit dir fast an der gleichen Stelle in der Weltrangliste steht und dann sozusagen zueinander aufzusteigen zu können und sich gegenseitig besser zu machen. Ich denke also, es ist ein Wettstreit: Nicht so, dass einer von uns die Nummer eins sein muss, sondern vielmehr, dass es einfach schön ist, wenn wir beide in der Weltrangliste aufsteigen.

Verbindet Sie beide eine Art Freundschaft? Oder anders gefragt: Haben Sie in der Anfangsphase Ihrer Karriere viel miteinander trainiert? Wie ist Ihr Verhältnis zu Tallon?

Ja, es ist ziemlich gut. Wir trainieren hier in Holland viel zusammen. Bei Turnieren geht man manchmal zusammen essen, vor allem vor Turnierbeginn, denn während des Turniers weichen die Zeitpläne zumeist voneinander ab, weil der eine später oder der andere früher spielt. Wir gehen manchmal zusammen essen, und ich glaube, wir haben einen ziemlich guten Draht zueinander.

Seit Richard Krajicek haben Spieler aus den Niederlanden keine ganz großen Titel mehr gewonnen. Wie denken Sie über den Status quo des Tennissports in Ihrem Heimatland?

Wir hatten Robin Haase für eine lange Zeit. Ich weiß nicht mehr genau, wie lange er in den Top 50 war, aber ich glaube, er war sechs, sieben, vielleicht sogar acht Jahre in den Top 50. Also ja, er war die ganze Zeit dabei. Und wir hatten Thiemo de Bakker, der, glaube ich, zwei Jahre dabei war. Igor Sijsling war vielleicht zwei, drei Jahre dort. Ja, genau. Wir kommen also aus ziemlich guten Zeiten. Geht man ein paar Jahre zurück, mit Richard Krajicek, Paul Haarhuis und so weiter, dann hatten wir durchaus einige großartige Persönlichkeiten. Wir hatten ein paar ziemlich gute Namen in den Top 20, glaube ich. Im Moment sind Tallon (Anm. Griekspoor) und ich unter den ersten 100 und wir haben noch ein paar Jungs, die um die 200 herum sind. Wir sind nicht so ein großes Land wie Spanien, Deutschland, Frankreich oder so. Aber ja, ich denke, im Moment geht es uns gut hier. Ich denke, wir verbessern uns. Es kommen immer mehr Leute und klettern in der Rangliste nach oben. Und ich denke, das ist eine gute Sache.

Natürlich möchte ich mit Ihnen über Ihren Durchbruch bei den US Open im letzten Jahr sprechen, wo Sie von einer Woche zur anderen in die Top 100 vorstießen. Wie sind Ihre Gefühle, wenn Sie auf diesen Erfolg in New York City zurückblicken?

Das waren schon ein paar verrückte Wochen. Ich denke, diese zwei Wochen fassen zusammen, wie Tennis ist. In der ersten Runde der Qualifikation habe ich einen Satz verloren und das Match gewonnen. In der zweiten Runde liege ich im dritten Satz zurück, gewinne das Match. Dann das dritte Match: Tiebreak, zweiter Satz, mein Gegner braucht nur noch zwei Punkte für den Sieg. In der ersten Runde im Hauptfeld liege ich 0:2-Sätze zurück und er serviert zum Match. Und dann bin ich schließlich ins Viertelfinale gekommen. Ja, im Tennis gibt man sich jedes Mal eine neue Chance, besser zu spielen, zu gewinnen und bei Turnieren weiterzukommen. Ich denke, man muss nicht immer gut spielen, aber wenn man die engen Matches gewinnt, hat man im weiteren Turnierverlauf selbst mehr Chancen, besser zu spielen. Bei mir war es in New York so, dass ich ab der zweiten Runde angefangen habe, besseres Tennis zu spielen und mich im Laufe des Turniers immer mehr gesteigert habe. In den ersten paar Runden war mein Niveau nicht so gut, aber ich habe die Matches trotzdem gewonnen. Ja, so ist das im Tennis. Ich glaube, im Moment sieht man so viele Turniere, bei denen Spieler in der ersten oder zweiten Runde Matchbälle gegen sich haben und danach ins Finale kommen oder das Turnier gewinnen. Es ist, als ob man sich jedes Mal eine neue Chance gibt. Ich glaube, das ist mir in den USA sehr gut gelungen.

Sie haben bereits erwähnt, dass es an der Spitze sehr eng ist und ein paar Punkte den Ausschlag geben können. Glauben Sie, dass diese Art von Turnieren, bei denen man zu Beginn des Turniers in ein paar Matches zurückkommt und es dann im Turnier weit schafft, wirklich eine ganze Karriere verändern können, oder ist es nur das Gefühl für die kommenden Monate, das sich ändert, wenn man so etwas schafft?

Für mich war Corona zunächst schon ein Thema, denn für mich hat es ein bisschen länger gedauert, bis ich unter den ersten 100 in der Weltrangliste war. Wenn man mit Tennis anfängt, ist das nämlich eines der Hauptziele. Man will unter die Top 100 kommen und von seinem Hobby leben. Ich glaube, ich lag bei 110 oder 115, als die US Open begonnen haben, also war ich auf dem richtigen Weg. Man bekommt dann aber so viele Punkte von den US Open, dass man die Plätze 70, 80 komplett auslässt. Ich bin direkt von Platz 115 auf Platz 60 vorgedrungen. So gesehen kann man sagen, dass ein einziges Turnier eine Karriere verändern kann, hoffentlich zum Besseren. Für mich ist dieses Jahr so viel anders als die letzten Jahre. Zuvor habe ich mich bei den Challengern reingehängt und jetzt spiele bei allen großen Turnieren und bin im Hauptfeld mit dabei. Ja, ein einziges Turnier kann deine Karriere definitiv verändern.

Im Viertelfinale bei den US Open - wie in der dritten Runde der Australian Open - haben Sie gegen Daniil Medvedev verloren. Bereiten Sie sich jetzt bei den Grand Slams schon darauf vor, wieder gegen ihn anzutreten?

Es ist natürlich immer schön, wenn man im weiteren Verlauf des Turniers auf ihn trifft. Ich versuche, bei den Grand Slams gesetzt zu werden. Jetzt bin ich auf Platz 41, also brauche ich noch ein paar gute Ergebnisse, um das zu erreichen. Das macht die Sache ein bisschen einfacher, wenn man erst in der dritten Runde auf ihn treffen kann. Trotzdem denke ich, dass er großartiges Tennis spielt, er ist immer ein harter Gegner, aber es gibt so viele andere harte Gegner. Für mich war es jetzt zweimal Medvedev, der bei den Grand Slams mein Gegner war. Gegen ihn muss man wirklich selbst gewinnen, man bekommt keine Punkte geschenkt. Das ist der Grund, warum er vor ein paar Wochen noch die Nummer eins der Welt war und jetzt die Nummer zwei der Welt. Es ist also immer schön, wenn man in der Auslosung ein bisschen weiter weg von ihm steht.

Als Sie 23 Jahre alt wurden, gehörten Sie nicht zu den besten 500 der Welt. Haben Sie jemals daran gezweifelt, dass Sie es so weit bringen können, wie Sie es jetzt sind?

Ja, ich war 23. Die Zeit vergeht wie im Flug (lächelt). Als ich 21 war, war ich - glaube ich - auf Platz 300 oder so. Als ich 20 war, habe ich angefangen, bei den Futures zu spielen. Ich wusste, dass ich das Niveau habe, ich habe gegen Spieler gewonnen, die unter den Top 100 oder nahe an den 100 waren. Das gibt einem Selbstvertrauen, wenn man gegen diese Jungs gewinnt, auch wenn man viel schlechter platziert ist als sie. Dann weiß man, dass man dieses Niveau spielen kann. Es ist natürlich viel schwieriger, ein ganzes Jahr lang konstant zu spielen und dieses Niveau jedes Mal zu erreichen, als nur ein einziges Mal gegen diese Spieler zu gewinnen. Trotzdem hat es dir eine Menge Selbstvertrauen gegeben. Als 23-Jähriger habe ich mir gesagt, dass ich es noch einmal versuchen werde, um zu sehen, wie es ausgeht. Erfreulicherweise bin ich von diesem Jahr an jedes Mal in der Weltrangliste aufgestiegen. Ich hatte also immer noch die Motivation und den Willen, jedes Jahr aufs Neue weiterzumachen. Natürlich ist es nicht einfach, dorthin zu kommen, aber ich habe immer noch daran geglaubt, dass ich es unter die Top 100 schaffen kann. Sonst hätte ich es nicht versucht, als ich 23 war.

Vor den US Open im letzten Jahr haben Sie nicht viel auf der ATP-Tour gespielt. Seitdem haben Sie fast jedes Ihrer Turniere auf der ATP-Tour gespielt. Wie haben Sie es geschafft, sich so schnell an das neue Niveau anzupassen, das auf der ATP-Tour gespielt wird?

Natürlich sind es andere Leute, eine andere Atmosphäre, andere Turniere. Auch das Reisen ist ein bisschen anders. Ich weiß nicht, ich habe die meisten Matches gewonnen, die ich gewinnen musste, und das ist ein guter Start auf der ATP-Tour. Vielleicht hat es mir geholfen, dass ich ein bisschen älter bin, denn ich bin mit 26 Jahren auf die ATP-Tour gekommen, und man sieht viele neue Spieler, die 20 oder 21 sind und sich am Anfang vielleicht ein bisschen schwertun. Also, ja, vielleicht hat mir das Alter ein bisschen geholfen. Vielleicht ist es gut, dass ich erst spät in die Top 100 gekommen bin, so konnte ich mich ein bisschen besser anpassen. Ich habe einfach mein Ding gemacht, ich habe nicht wirklich etwas anders gemacht als sonst.

Neben den Partien gegen Spieler, gegen die Sie gewinnen mussten, haben Sie in den letzten Monaten auch Andrey Rublev und Felix Auger-Aliassime, beides Top-10-Spieler, geschlagen. Wie fühlen Sie sich in diesen Matches gegen die Topspieler?

Ich fühle mich gut in diesen Matches, ich habe das Gefühl, dass ich nichts Besonderes tun muss, um mit ihnen mithalten zu können. Ich muss nur mein Spiel spielen, und ich weiß, dass es gut genug ist, um gegen diese Jungs zu gewinnen. Es ist nicht so, dass ich etwas Besonderes tun muss, um sie zu schlagen. Für mich ist es wichtig, das ganze Jahr über konstant zu bleiben und zu versuchen, in jedem Spiel und in jeder Woche, in der ich spiele, auf das gleiche Niveau zu kommen. Ich fühle mich wohl, wenn ich gegen diese Jungs spiele. Jetzt muss ich mich nur ein jedes Mal wohlfühlen, wenn ich gegen sie spiele.

Zum Abschluss unseres Interviews möchte ich Sie noch um einen kurzen Ausblick auf Ihre Ziele für die kommenden Monate bitten: Was sind Ihre Saisonziele und vielleicht auch Ihre Ziele für die nächste Saison?

Ich möchte so weit kommen, dass ich bei den Grand Slams gesetzt bin. Das bedeutet also, dass ich in der Weltrangliste auf Platz 32 sein muss. Ich versuche, diese Position zu erreichen. Natürlich stehen in diesem Jahr die US Open an, also habe ich Punkte zu verteidigen, aber auf der anderen Seite habe ich viele neue Chancen, mehr Punkte zu bekommen. Das sind meine Ziele, was das Ranking angeht. Das Ziel für mein Tennis ist es, das ganze Jahr über konstanter zu sein und zu versuchen, mein Niveau so hoch wie möglich zu bringen und dieses dann auch konstant zu halten. Das ist eine große Herausforderung, aber es ist schön, dass man in diesem Sport immer wieder neue Herausforderungen hat.

Vielen Dank für das Gespräch! 

von Michael Rothschädl

Montag
25.04.2022, 08:05 Uhr
zuletzt bearbeitet: 24.04.2022, 15:40 Uhr