Coach Jan de Witt im Interview - „Innsbruck war eine coole Konstellation“

Jan de Witt, langjähriger Coach auf der ATP-Tour, im ersten Teil des großen tennisnet-Interviews zu den deutschen Chancen gegen Russland, der zu kurzen Pause für die Tennisspieler und der Faszination der Mannschaftswettbewerbe.

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 03.12.2021, 22:49 Uhr

Jan de Witt muss im Moment - wie alle Tennis-Coaches - improvisieren
© Jürgen Hasenkopf
Jan de Witt muss im Moment - wie alle Tennis-Coaches - improvisieren

tennisnet: Herr de Witt. Deutschland spielt heute gegen Russland um den Einzug in das Davis-Cup-Endspiel 2021. Jan-Lennard Struff hat mit seinem Erfolg gegen Cameron Norrie maßgeblich dazu beigetragen. Sie kennen Struff sehr gut. Wo würden Sie diesen Erfolg gegen Norrie einordnen?

Jan de Witt: Das war schon große Klasse. Für Jan-Lennard und für das deutsche Tennis. Dieser Sieg wird natürlich erst dann durch das Doppel veredelt, das zum dritten Mal das entscheidende Match gewinnt. Kevin Krawietz und Tim Pütz haben auch einen großen Anteil daran, dass wir jetzt eben nicht nur über einen Sieg über einen Spieler, der knapp an den Top Ten steht, sprechen. Aber dass Jan-Lennard einen Mann wie Norrie in einem so wichtigen Match geschlagen hat, das ist für mich schon einer seiner größten Erfolge. Dieser Sieg zählt, weil der Wettbewerb für jene Spieler, die daran teilnehmen, eine hohe Bedeutung hat.

tennisnet: Da klingt ein wenig zwischen den Zeilen durch, dass Sie dem seit 2019 gültigen Format mit einem Abschlussturnier nicht so viel abgewöhnen können.

de Witt: Nach meiner persönlichen Einschätzung ist der Wert nicht so hoch wie beim klassischen Format. Es heißt Davis Cup - aber es ist nicht der Davis Cup, den wir über 100 Jahre lang gekannt und geliebt haben. Das merke ich auch an mir selbst: Abgesehen den Matches der deutschen Jungs verfolgt man das nicht so richtig. Innsbruck war natürlich schon eine coole Konstellation, mit Deutschland und Österreich und Serbien mit Novak Djokovic. Sehr schade natürlich, dass keine Zuschauer dabei sein konnten. Aber insgesamt hat derDavis Cup schon viel an Wertigkeit verloren.

"Lange Saison und Corona - das ist keine besonders gute Kombination"

tennisnet: Sie kennen die Russen, gegen die Deutschland heute antritt, sehr gut, vor allem Andrey Rublev. Worin liegt die Chance des deutschen Teams?

de Witt: Im Profisport ist man niemals chancenlos. Natürlich sind die beiden deutschen Spieler Außenseiter, auch Struffi gegen Daniil Medvedev. Trotz des Sieges gegen Norrie. Aber wenn wir einen Punkt aus den Einzeln holen, dann ist die Chance auf das Finale sehr groß. Aslan Karatsev und Andrey Rublev haben auf dem Papier sicherlich erfolgreich gespielt, aber ich schätze unser Doppel höher ein.

tennisnet: Sie waren selbst Teil eines Betreuerteams bei einem Mannschaftswettbewerb, nämlich an der Seite von Nikoloz Basilashvili und Georgien beim ATP Cup. Was macht für Sie die besondere Faszination aus?

de Witt: Das Besondere ist schon, dass man mit seinen Kumpels gemeinsam antreten kann. Und die Kommunikation ist eine ganz andere, auch das erlaubte Auftreten als in den anderen elf Monaten im Jahr. Beim ATP Cup ist das aber noch ein bisschen anders, weil alle sich auf die neue Saison vorbereiten und in der Lage sind, anschließend ein Grand-Slam-Turnier zu spielen. Da ist der Energie-Level doch höher als jetzt am Ende einer anstrengenden Saison. Lang und Corona - das ist keine besonders gute Kombination. Aber dieser Extra-Spirit, für sein Land zu spielen, das führt auch dazu, dass die Spieler bereit sind, noch einen Schritt weiterzugehen. Und auch mal rumzutoben und sich zum Clown zu machen. Von Djokovic ist das ja auch bekannt, wenn er gerade nicht spielt, der ist dann auch nervös. Man könnte natürlich sagen: Der Mann hat sowieso schon alles gewonnen, warum macht er das dann? Oder auch: Wieso spielt er am Ende der Saison noch Davis Cup? Und die Antwort wird damit zu tun haben, dass es viele Tennisspieler genießen, gemeinsam in einer Mannschaft aufzutreten.

"Irgendwann muss man den Preis bezahlen"

tennisnet: Nun liegen zwischen dem Ende des Davis Cups und dem Beginn des ATP Cups nicht einmal vier Wochen. Das wird Medvedev und Rublev als Mitfavoriten und Titelverteidiger betreffen, vielleicht auch Djokovic, wenn er denn nach Australien fährt. Und natürlich auch alle anderen Spieler, die bis zum Ende in Madrid dabei sind. Wie sollten die Spieler diese kurze Zeit nutzen? Einfach mal die Beine hochlegen und gar nichts machen?

de Witt: Auf so eine unsinnige Idee kommen vielleicht Journalisten, aber natürlich denkt kein Sportler darüber nicht einmal nach. Wenn ich einen wirklichen Erholungsurlaub von zwei oder mehr Wochen brauche, dann muss ich Australien auslassen. Beim alten Davis Cup war die Situation im Grunde genauso, nur hat sie damals lediglich zwei Teams betroffen. Wir haben das im Fall von Viktor Troicki im Jahr 2010 so gelöst, dass wir Paris-Bercy weggelassen haben, dass er Urlaub gemacht. Danach sind wir in ein Trainingscamp vor dem Davis-Cup-Finale in Belgrad gegen die Franzosen gegangen. Wenn man die Saison zu Ende spielt, und dann wie Daniil und Novak auch noch die ATP Finals, dann ist es nur noch so zu lösen, dass man nach dem Davis-Cup-Endspiel nur ganz kurz Pause machen kann. Und so bald als möglich wieder ins Training einsteigt. Sonst ist auch die Verletzungsgefahr zu groß. Man braucht gewissen Umfänge und Intensitäten, um in Australien dann auf höchstem Level spielen zu können.

tennisnet: Wird das nicht zu viel?

de Witt: Als Profisportler kann man auch ungewöhnliche Entscheidungen treffen. Klar ist, dass man für so etwas irgendwann später im Jahr einen Preis zahlen muss. Erholung wegzulassen, funktioniert mittelfristig nicht. Und Training wegzulassen sowieso nicht. An irgendeiner Stelle wird es all die Jungs einholen. Das hat man in den letzten Jahren ja auch gesehen: Die Spieler, die beim Davis-Cup-Finale dabei waren, haben gar nicht mal so sehr am Anfang der Saison Probleme bekommen, sondern ab dem Frühjahr.

tennisnet: Sollte man die Teilnehmer am Davis Cup dann nicht wenigstens mit ATP-Punkten belohnen? Das hat es in der Vergangenheit ja schon gegeben.

de Witt: Dasist eine komplizierte Diskussion. Zunächst müsste man einmal eine Lösung dafür finden, dass wir nur einen dieser beiden Mannschafts-Wettbewerbe brauchen. Es ist totaler Unsinn, den Davis Cup am Ende der Saison zu spielen. Und vier Wochen später ein ganz ähnliches Format unter Führung der ATP. Das kann man keinem Fan verkaufen, da geht es um Geld und Macht und politische Interessen. Wenn man eine Regelung findet, dass es nur einen Mannschafts-Wettbewerb gibt und parallel dazu ATP-Turniere für alle diejenigen laufen, die nicht in den Nationalteams spielen, dann wäre ich damit einverstanden. Hier an dieser Stelle der ITF dafür auch noch die Punkte zu schenken, dass sie so eine chaotische Politik betreiben, überzeugt mich nicht.

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