„Es war auch mal schöner beim Davis Cup”

Die Begleitmusik zum Davis-Cup-Relegationsspiel in Berlin ist, mal wieder, vielstimmig.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 18.09.2016, 07:30 Uhr

BERLIN, GERMANY - SEPTEMBER 16: Florian Mayer of Germany is dejected during his match against Hubert Hurkacz of Poland during the 2nd rubber of the Davis Cup Playoff between Germany and Poland at Steffi Graf Stadium on September 16, 2016 in Berlin, ...

Von Jörg Allmeroth aus Berlin

Letzten Dienstag, am Münchner Flughafen, verabschiedete sich die neue Nummer eins der Tenniswelt noch einmal mit ein bisschen Pomp und ordentlich Getöse in den wohlverdienten Kurzurlaub.Angelique Kerberlächelte in jede der vielen Kameras, und sie sprach glücklich in jedes bereitgehaltene Mikrofon über die vollendete Mission des Gipfelaufstiegs. Angie, die Beste unter den Besten, verschwand also, charmant, gewinnend, einnehmend für sich und ihren Sport überhaupt – und im Idealfall hätten nun die deutschen Tennisherren, wiewohl auf kleiner, bescheidener Bühne, den Staffelstab übernehmen können.

Doch rund um das Relegationsspiel gegen Polen in Berlin entspann sich der alte, vertraute Zoff und Zank, neue Kapitel im Krachstadl wurden aufgeführt, im Zweifelsfall fühlten sich alle wieder einmal mißverstanden, suhlten sich in Opferrollen. Kabale und Hiebe reichlich, nur wollte es am Ende wieder keiner gewesen sein. „Es war auch mal schöner beim Davis Cup“, sagte am Wochenende in Berlin der ehemalige Davis-Cup- und Fed-Cup-Chef, der längst in Spanien beheimatete Klaus Hofsäss. Zu den Länderspielen kommt er eigentlich am liebsten, um alte Freunde und Bekannte wiederzutreffen. Der sportliche Wert? „Naja, ordentlich.“ Schnell schwärmt er „über die tollen Mädels“, natürlich vor allem über „Angie“: „Ein Hammer, oder? Und die wird vorne bleiben, noch lange.“

Krasser Temperatursturz

Was man von „Flo“, „Struffi“, „Brandy“ und „Wally“ nicht behaupten kann. Es sind die Spitznamen der vier deutschen Davis Cup-SpielerFlorian Mayer,Jan-Lennard Struff, Daniel Brands und Daniel Masur, fein säuberlich aufgelistet in einer Informationsmappe zu diesem Match gegen den Abstieg aus der Weltgruppe. Eine Woche nach Kerbers verrücktem, mitreißenden Höhenflug im Big Apple hätte der sportliche Temperatursturz nicht schroffer ausfallen können, ein deutsches Team ohne die Besten, ohneAlexander ZverevundPhilipp Kohlschreiber, ein schräges Kulissentheater – und keine Aussicht auf nachhaltige Entspannung, auf wirklich bessere Tennistage. Der Schauplatz Berlin, das Steffi-Graf-Stadion am Hundekehlesee, das alles  hätte „sicher Besseres verdient gehabt“, befand einer auf der VIP-Terrasse kopfschüttelnd.

Das größte Problem bereitet den Top-Funktionären des Verbandes und Teamchef Michael Kohlmann ausgerechnet der, auf den sie die größten Hoffnungen auf eine strahlendere Zukunft gesetzt hatten. Doch wie die Geschichte von Alexander Zverev und dem deutschen Davis-Cup-Team weitergeht, ist eine knifflige Frage – aus vielerlei Gründen. Zverev hat in den letzten Monaten reichlich Konfliktpotenzial geschaffen, ob mit einem zweifelhaften Auftritt am Hamburger Rothenbaum, ob mit Olympia-Absage und nun Davis-Cup-Fernbleiben. Viele entschuldigen Zverevs Verhalten mit einem Verweis auf seinen, vorsichtig gesagt, umstrittenen Manager Patricio Apey, einen Mann, den die kleine deutsche Spielfläche genau so wenig interessiert wie Wettbewerbe, bei denen es keine Ranglistenpunkte und Geld zu verdienen gibt. Tatsache allerdings ist: Zverev, nicht Apey, muss den Kopf für das alles hinhalten, in den letzten Wochen und Monaten hat er schon erstmals zu spüren bekommen, dass sich der Wind auch schnell drehen kann.

Gleicher als gleich

In der Affäre um das Relegations-Spiel gegen Polen, um angeblich gute und schlechte Gründe für die Matchabsage und um ein Grüppchen von Davis-Cup-Verweigerern, kommt der Name Zverev nun allerdings gleich zwei Mal vor. Alexander Zverev, der jüngere aus der Tennis-Familie, das personifizierte Zukunftsversprechen, wurde wegen seines Fehlens nicht sanktioniert, der DTB hielt ihm seine nicht ausreichende Fitness auf der Zielgeraden der strapaziösen Saison zugute. Man könnte das Realpolitik nennen und auf Beispiele aus der Fußballwelt verweisen, auf den Fall Reus und auf den Fall Kruse – ein Lehrstück dafür, dass manche gleicher als gleich sind und dass der Wert eines Spielers manchmal auch die Strafwürdigkeit bestimmt.

Allerdings: Beim DTB wird nun wahrscheinlich im gleichen Moment des Freispruchs von Alexander Zverev sein Bruder Mischa Zverev abgeurteilt, weil er für das Relegationsspiel absagte. Er darf, wenn einer Beschlussvorlage für das Präsidium zugestimmt wird, genau wieDustin Brownund Tobias Kamke im Jahr 2017 nicht für Deutschland spielen. Wer die verschworenen Familienbande im Hause Zverev kennt, das enge Verhältnis zwischen den Brüdern Sascha und Mischa, der kann sich ausmalen, wie groß die Bereitschaft des Jüngeren sein wird, sich demnächst in die Davis-Cup-Schlachten für Deutschland zu werfen. 2017. Und darüber hinaus.

Fehlende Perspektive

Dabei hatten die Deutschen, schon länger im Relegationsgeschäft zwischen Erster und Zweiter Liga unterwegs, noch Glück in diesen turbulenten Zeiten: Letztes und dieses Jahr spielten sie in den Play-offs gegen leichtkalibrige Gegnerschaft, 2015 in der Dominikanischen Republik, nun gegen ein polnisches Team, dessen Bester in der Weltrangliste auf Platz 277 steht. Von der Kraft, aber auch gemeinschaftlichen Stärke anderer Nationen in der Champions League ihres Teamsports sind sie weit entfernt. Es fehlt vorerst und mittelfristig auch die sportliche Perspektive auf mehr als Abstiegsvermeidung und Klassenerhalt, auch gerade weil in der Altersklasse zwischen 20 und 30 eine „große personelle Lücke klafft“ (DTB-Vize Hordorff). Ein Berliner Tennisfans sagte es ganz trocken: „Es wäre schön, wenn der Fed Cup mal zu uns käme.“ Und mit ihm auch Angie, die Tenniskönigin. Das wäre dann real existierender Glanz im Steffi-Graf-Stadion.

Den Davis Cup gibt eslive auf DAZN.

von tennisnet.com

Sonntag
18.09.2016, 07:30 Uhr