„Wir haben das Recht, nicht Everybody’s Darling zu sein“
Der Pressesprecher des Deutschen Tennis Bundes im Interview mit tennisnet.com über den Davis Cup und die Sogwirkung von Angelique Kerbers US-Open-Sieg.
von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet:
15.09.2016, 19:04 Uhr

Hans-Jürgen Pohmann war selbst Tennisprofi, seine höchste Platzierung in der Weltrangliste erreichte er als Nummer 30. Mit seinem Partner Jürgen Faßbender stand er 1973 in den Doppel-Halbfinals in Paris und Wimbledon. Pohmann spielte von 1971 bis 1976 im deutschen Davis-Cup-Team und gewann 18 seiner 24 Matches. Als Journalist und TV-Kommentator begleitete Pohmann den Aufstieg von Boris Becker und Steffi Graf. Er war von 1981 bis 2012 bei SFB und RBB in Berlin beschäftigt, zuletzt als Chef der Redaktion Sport und Service. Seit dem letzten Jahr arbeitet Pohmann als Pressechef des Deutschen Tennis Bundes. Im Interview mit tennisnet.com spricht der 69-Jährige über den Zwist im Davis Cup, einen Tennisboom in Deutschland und sein schönstes Erlebnis im Davis Cup.
Herr Pohmann, Sie haben Alexander Zverevs Management nach der Davis-Cup-Absage scharf kritisiert. DTB-Vizepräsident Dirk Hordorff hat Zverev in Schutz genommen. Stehen Sie immer noch zu Ihrer Kritik an Zverev?
Ich finde es völlig in Ordnung, wenn Herr Hordorff den Spieler in Schutz nimmt. Mir geht es um die Wertigkeit des Davis Cups. Alexander Zverev und sein Management haben vor sechs Monaten erklärt, dass es das Größte ist, für Deutschland zu spielen. Ich bleibe dabei: Wenn man sich für ein unterklassiges Turnier entscheidet und nicht für den Davis Cup, dann ist das enttäuschend.
War es ratsam, Zverev öffentlich zu kritisieren? So entsteht wieder das Bild vom Deutschen Tennis Bund, der den Laden nicht im Griff hat.
Als Pressesprecher muss ich auch Kritik auf mich nehmen. Der DTB ist eine Institution. Wir sind der mitgliederstärkste Verband der Welt und haben eine große Tradition mit Siegen im Davis Cup und Fed Cup. Wir sind wer, und wir haben auch mal das Recht, nicht Everybody's Darling zu sein. Ich habe dafür Kritik eingesteckt, das akzeptiere ich.
Der DTB hat inzwischen Dustin Brown, Mischa Zverev und Tobias Kamke für ein Jahr vom Davis Cup ausgeschlossen. Alexander Zverev wurde stattdessen verschont. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?
Wir hatten gestern eine Präsidiumssitzung und haben es danach erfahren. Zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich mich dazu nicht äußern.
Das Klagen über den Davis Cup wird immer lauter. Ist der Davis Cup mit dem derzeitigen Format überhaupt noch zeitgemäß?
Darüber kann man diskutieren. Allerdings: Wenn man Davis Cup in Serbien, Spanien und Großbritannien verfolgt, dann ist das Begeisterung pur. Andy Murray hat mit seinem Wimbledonsieg und dem Davis-Cup-Sieg mit seinem Bruder Jamie völlig neue Begeisterung in Großbritannien geschaffen. Bei einem Davis-Cup-Format über 14 Tage werden viele Nationen ausgesperrt, die keine Chance auf ein Heimspiel haben. Die Begeisterung bei Heimspielen ist nicht zu ersetzen.
Es wird darüber diskutiert, den Davis Cup sowie den Fed Cup nur noch an zwei Tagen zu spielen mit dem Modus Best-of-three. Was halten Sie von der Idee?
Der Davis Cup hat seine Wertigkeit deswegen, weil es neben den Grand Slams über drei Gewinnsätze gespielt wird. Zur Not kann man das machen, wenn der Terminkalender eng ist. Der ist aber seit 20 Jahren eng.
Deutschland hat seit 1995 nur einmal das Davis-Cup-Halbfinale erreicht trotz Top-Ten-Spielern wie Tommy Haas, Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler. Schlagzeilen gab es nicht wegen Siegen, sondern meist wegen Querelen. Was muss getan werden, damit das deutsche Davis-Cup-Team wieder Erfolg hat?
Wir leben von der Öffentlichkeitsarbeit, vom Marketing, vom Sponsoring. Wir müssen uns in der Öffentlichkeit positiv positionieren. Zunächst einmal müssen wir gut spielen und gewinnen. Wenn wir verlieren, ist es natürlich schwer. Wenn du erfolgreich bist, musst du dich auch in der Öffentlichkeit präsentieren: eine Einheit bilden, Teamspirit und das dann auch transportieren.
Angelique Kerber hat die US Open gewonnen und ist die neue Nummer eins der Welt. Glauben Sie nun an eine Sogwirkung für Tennis in Deutschland?
Hundert Prozent. Wir brauchen, dass der Tennissport wieder in den Schlagzeilen steht, und zwar positiv. Angelique Kerber hat sieben Runden bei den US Open gespielt und war jeden Tag in den Schlagzeilen. Man wird wieder auf den Tennissport angesprochen. Angelique Kerber ist den Leuten ein Begriff. Sie wird Sportlerin des Jahres in Deutschland, und das wird eine Sogwirkung haben. Davon gehe ich hundert Prozent aus.
Was muss und kann der Deutsche Tennis Bund tun, damit es in Deutschland wieder zu einem Tennis-Boom kommt?
Es geht nur über Erfolge. Graf, Becker, Stich ist nur über den Erfolg gegangen. Graf ist jeden Tag in den Öffentlich-Rechtlichen übertragen worden. Wenn sie in Berlin gespielt hat, hätte sie auf dem Platz auch gegen einen weißen Pudel spielen können und wir hätten zweieinhalb Millionen Zuschauer gehabt. Du brauchst Erfolge und Spielerpersönlichkeiten, die Typen sind und den Tennissport gut repräsentieren.
Was können die deutschen Herren, insbesondere Alexander Zverev, von Angelique Kerber lernen?
Das ist schwer zu sagen. Alexander Zverev ist 19 Jahre alt. Entscheidend ist, dass du gut geführt wirst. Ich greife da immer gerne auf das Beispiel mit Becker und Graf zurück, wie die geführt wurden. Ion Tiriac hat Becker extrem gut geführt, nachdem er mit 17 Jahren Wimbledonsieger wurde. Zverev muss aufpassen, dass er nicht nur Schulterklopfer um sich hat. Er ist aber ein außergewöhnlicher Spieler, er hat keine Schwächen, einen perfekten Bewegungsablauf und einen perfekten Treffpunkt. Nur: Ich muss auch von außerhalb gut geführt werden, das vermisse ich ein wenig.
Kerbers Finalsieg bei den US Open haben auf Eurosport im Schnitt 1,15 Millionen Zuschauer gesehen. Das Olympiafinale zwischen Kerber und Monica Puig, das zur gleichen Sendezeit in der ARD lief, haben 5,56 Millionen Zuschauer gesehen. Warum ist aus Ihrer Sicht die Diskrepanz so groß, obwohl beide Matches im Free-TV liefen?
Eurosport macht ein sehr gutes Produkt. Die ARD hat natürlich die Möglichkeit, das noch viel mehr zu bewerben durch die Hörfunkwellen. Mit dem ganzen Netzwerk über die Landesrundfunkanstalten kannst du das Produkt ordentlich pushen.
Kommen wir zu Ihrer Person: Sie haben 16 Davis-Cup-Partien für Deutschland bestritten. Was war Ihr schönster Moment?
Der schönste Moment war sicherlich auf dem Center Court in Berlin, als ich gegen Björn Borg vor vollem Haus in meiner Heimatstadt gespielt habe. Wir haben 2:1 gegen Schweden geführt, ich hatte mein erstes Einzel und im Doppel gewonnen. Gegen Borg habe ich sogar den ersten Satz gewonnen, dann aber die nächsten beiden Sätze 0:6, 0:6 und auch das Match verloren. Der Davis Cup bleibt einfach in Erinnerung.
Sie waren auch ein exzellenter Doppelspieler. Die Bedeutung des Doppels scheint immer mehr abzunehmen, die Stadien sind selbst bei Finalspielen oft leer. Wie kann man die Spirale zurückdrehen?
Das ist eine Aufgabe der Trainer und Manager. Ich glaube, dass man sich durch das Doppelspiel auch für das Einzel verbessern kann. Das sagen auch Michael Kohlmann und Barbara Rittner. Du bist gezwungen, nach vorne zu gehen und lernst das Überbrücken von Grundlinie zu T-Linie. Das ist auch eine Aufgabe unseres Verbandes. Michael Kohlmann legt Wert darauf, dass es bei den Jugendlichen eine Doppelschulung gibt.
Nach Ihrer Profikarriere wurden Sie Journalist. Sie haben Hunderte von Tennismatches, unter anderem für die ARD, kommentiert. Welches Match ist Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben?
Da gibt es zwei besondere Matches. Die tollste Reise, die Volker Kottkamp und ich jemals gemacht hatten, war 1987 nach Hartford, wo es das Match zwischen Boris Becker gegen John McEnroe über knapp sechseinhalb Stunden gab. Das war das Sensationsmatch schlechthin. Danach sind wir gleich weiter geflogen nach Vancouver, wo Deutschland den Fed Cup im Finale gegen die USA gewonnen hat mit dem entscheidenden Sieg im Doppel zweier Damen, Steffi Graf und Claudia Kohde-Kilsch, die sich normalerweise kaum gegrüßt haben. Deutschland gewinnt das Abstiegsspiel in Hartford, wir fahren rüber nach Vancouver und Deutschland gewinnt den Fed Cup. Ich habe heute ebenso noch das Bild vor mir, wie sich Becker und Stich bei den Olympischen Spielen 1992 nach dem Gewinn der Goldmedaille umarmt haben.
Sie sind nun seit einem Jahr Pressesprecher beim Deutschen Tennis Bund. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Äußerst positiv. Ich habe den Vorteil, dass ich mich im Sport und in den Medien auskenne. Der Kontakt zu den Spieler und Spielerinnen ist sehr gut. Meine Aufgabe ist es, das Bestmögliche für den Deutschen Tennis Bund und für die Spieler rüberzubringen. Wir hatten diesen Jahr den Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart, der vom ersten bis zum letzten Tag ausverkauft war, der Fed Cup war ausverkauft. Wir hatten in Nürnberg und in München Zuschauerrekord. Auch am Stuttgarter Weissenhof hatten wie ausverkaufte Häuser. Das ist schön, dass wir mit diesen Erfolgen im Rücken in die Öffentlichkeit gehen können.
Sie sind seit über 35 Jahren im Mediengeschäft tätig. Was hat sich im Laufe der Zeit am meisten verändert?
Es gibt leider weniger Journalisten, die mit auf der Tour unterwegs sind. Es wird überall gespart. Im Internet kann man sich zwar alles angucken, aber wir hatten damals bei den Grand Slams zu Zeiten von Becker und Graf 20 deutsche Journalisten vor Ort. Verändert hat sich natürlich, dass Tennis bei den Öffentlich-Rechtlichen weniger übertragen wird.
Wie beobachten Sie die Entwicklung der Medien, insbesondere der sozialen Medien?
Das ist insofern gut, dass über Tennis gesprochen wird. Meine Tochter, die tennisverrückt ist, spricht mich auf alles an. Solange positiv über Tennis gesprochen wird, ist alles gut.
Das Gespräch führte Christian Albrecht Barschel.