Dominic Thiem - Österreichs wahrer Sportler des Jahres 2019?

Marcel Hirscher ist zum sechsten Mal Österreichs Sportler des Jahres. Doch hätte sich Dominic Thiem diese Auszeichnung nach seinem überragenden Jahr nicht mindestens ebenso sehr verdient? Die Meinungen darüber gehen auch in der Tennisnet-Redaktion auseinander.

von Jens Huiber und Nikolaus Fink
zuletzt bearbeitet: 01.11.2019, 23:54 Uhr

Marcel Hirscher und Dominic Thiem
© GEPA
Marcel Hirscher und Dominic Thiem

Von Jens Huiber

Darum ist Marcel Hirscher zurecht Österreichs Sportler des Jahres

Dominic Thiem hat ein sehr, sehr gutes Jahr 2019 gespielt, keine Frage. Der erste 1000er-Titel in Indian Wells, das erneute Erreichen des Endspiels in Roland Garros, schließlich die Erfolge bei den beiden Heimturnieren in Kitzbühel und Wien. Der neuerliche Einzug in das ATP-Finale in London steht längst fest, wie gesagt: ein sehr, sehr gutes Jahr, das seine Wahl zu Österreichs Sportler des Jahres absolut gerechtfertigt hätte.

Dass es nun aber wieder Marcel Hirscher geworden ist, ist ebenso absolut in Ordnung. Weil Hirscher eben in diesem letzten Vergleichszeitraum die Nase, wenn auch knapper als in den Jahren zuvor, vorne gehabt hat. Das mag man nun vielleicht nicht nur an den Rennsiegen (acht waren es in der vergangenen Saison) festmachen, dem im Moment uneinholbar scheinenden Rekord von acht Erfolgen im Gesamtweltcup - sondern auch an dem Umstand, dass Marcel Hirscher beim einzigen Großereignis des Jahres, der Ski WM in Aare, noch einmal Gold im Slalom geholt hat. Nicht ganz gesund übrigens - eine Parallele zu den Auftritten von Dominic Thiem bei den Australian und den US Open.

Hirschers Wahl ist also keine Entscheidung gegen Thiem, sondern eine für den erfolgreichsten österreichischen Skifahrer der Geschichte.
Nun wird gerne gegen Hirscher argumentiert, dass der Skisport nur in Österreich diese enorme Relevanz besitze. Richtig. Aber deshalb ist es ja auch die Wahl zu Österreichs Sportler des Jahres. In Litauen sind die Basketballspieler im Fokus, in Kuba waren es früher die Boxer.

Und außerdem, so führen die Kritiker gerne an, sei das alpine Skifahren ja eine zu vernachlässigende Randdisziplin, Tennis dagegen eine Weltsportart. Das ist theoretisch richtig. Die Möglichkeiten, zum Tennisschläger zu greifen, sind weltweit praktisch unbegrenzt, egal, auf welchem Kontinent. Aber bedeutet das im Umkehrschluss, dass weltweit jeder Junge oder jedes Mädchen, das mit dem Tennissport beginnt, eine realistische Möglichkeit hat, damit als Profi seinen/ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Natürlich nicht. Die Entwicklung zum Top-Ten-Spieler erfordert einen ebenso großen materiellen Einsatz wie jene zum Gruppe-Eins-Fahrer im Slalom-Weltcup. Da wird dort ist die Elite-Gruppe ein closed shop.

Dominic Thiem hat dabei von der Expertise von Günter Bresnik und der in der Südstadt vorhandenen Infrastruktur profitiert, Marcel Hirscher von seinem Vater Ferdinand und den Möglichkeiten des ÖSV. Privilegien, auf die ein begabter Tennisjugendlicher in Marokko oder Nachwuchsskifahrer in Chile eher nicht zurückgreifen kann.

Dennoch ist die Lücke in diesem Jahr fast auf ein Minimum geschrumpft - weil Dominic Thiem nun eben auch Nerven aus Stahl bewiesen, seinen ganz persönlichen Nachtslalom in Schladming gewonnen hat. Und dabei in Wien gegen Verdasco, Berrettini und Schwartzman beinahe eingefädelt hätte - aber es doch mit Bestzeit ins Ziel geschafft hat. Allerdings wohl erst nach Stimmabgabe der wahlberechtigten Journalisten.

Richtige Sorgen, so stand es in einem der zahlreichen Online-Kommentare nach der Wahl Hirschers sehr treffend, sollte sich Dominic Thiem erst dann machen, wenn er auch im kommenden Jahr wieder hinter der Salzburger Ski-Legende landet.

Von Nikolaus Fink

Darum hätte Österreichs Sportler des Jahres Dominic Thiem heißen müssen

Eins vorweg: Marcel Hirscher ist unbestritten einer der besten Skifahrer aller Zeiten und verdient für seine sportliche Leistung allerhöchste Anerkennung. Dass diese im skiverrückten Österreich stärker als anderswo auf der Welt zum Ausdruck gebracht wird, liegt schlicht und ergreifend in der DNA des Landes. Dennoch hätte in diesem Jahr Österreichs Sportler des Jahres Dominic Thiem  heißen müssen.

Denn der Lichtenwörther absolvierte bis dato eine herausragende Spielzeit: Thiem gewann sein erstes ATP-Masters-1000-Turnier in Indian Wells mit einem Sieg über Roger Federer - seines Zeichens einer der größten Sportler aller Zeiten - und stand erneut im Finale der French Open. Auf dem Weg dorthin besiegte er mit Novak Djokovic ebenfalls eine lebende Legende und scheiterte nur knapp am mit Abstand besten Sandplatzspieler aller Zeiten, Rafael Nadal.

Ein Tennisspieler wird es in Österreich gegen einen Skifahrer immer schwer haben - insbesondere wenn dieser Skifahrer Marcel Hirscher heißt. Doch eigentlich hat Thiem mit seinen Triumphen in Kitzbühel und in Wien - ein Erfolg, der nicht einmal Thomas Muster vergönnt war - auch in seinem Heimatland selbst für die größtmögliche Furore gesorgt - und das ohne die massive finanzielle Unterstützung eines Verbandes wie dem ÖSV. 

Sich als Österreicher in der Weltspitze zu etablieren, ist im Tennis um ein Vielfaches schwieriger als im Skisport. Der ÖTV verfügt bei Weitem nicht über die Mittel wie der ÖSV, zudem ist die Konkurrenz im weißen Sport ungleich höher als jene im Skisport. Thiems Erfolge sind daher viel schwieriger zu erreichen und deshalb umso höher einzustufen. Mit Djokovic, Nadal und Federer hat der Lichtenwörther es zudem mit den drei besten Spielern aller Zeiten zu tun - auch das macht die Leistung von Thiem zu einer in diesem Jahr in Österreich unerreichten. Eigentlich.

Mit fünf Titeln in dieser Saison ist Thiem der alleinige Rekordhalter auf der ATP-Tour, darüber hinaus qualifizierte sich der 26-Jährige problemlos für die ATP Finals und wird die Spielzeit aller Voraussicht nach wieder in den Top fünf der Weltrangliste abschließen - und das alles in einer Sportart, die so global wie kaum eine andere praktiziert wird. Der professionelle Skisport hingegen beschränkt sich auf fünf bis sieben Länder - auch das soll die Leistung von Hirscher in keinster Weise schmälern, zeigt aber doch, dass Dominic Thiem für seine Erfolge deutlich mehr Steine aus dem Weg räumen muss als der Salzburger.

Was die Wahl zusätzlich ad Absurdum führt: Der Abstand von Hirscher auf Thiem wurde im Vergleich zum Vorjahr nur um 51 Stimmen geringer. Und das, obwohl sich Hirscher 2018 zum Doppel-Olympiasieger und Gesamtweltcup-Sieger gekrönt, Thiem aber eine schwächere Spielzeit als 2019 hingelegt hatte. Der Verdacht liegt also nahe, dass Hirschers Wahl zum österreichischen Sportler des Jahres vielmehr eine Art "Abschiedgeschenk" in die wohlverdiente Pension ist als eine reine Beurteilung der sportlichen Leistungen. Denn wäre es darum gegangen, hätte sich Dominic Thiem bereits in diesem Jahr durchsetzen müssen. Aber was nicht ist, kann ja bereits 2020 werden.

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von Jens Huiber und Nikolaus Fink

Freitag
01.11.2019, 19:10 Uhr
zuletzt bearbeitet: 01.11.2019, 23:54 Uhr

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