Ernests Gulbis – „Wir werden wie Dreck behandelt“
Der ehemalige Top-10-Spieler beklagt sich über fehlenden Respekt gegenüber Spielern mit niedrigerem Ranking.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
27.05.2016, 12:10 Uhr

Vor zwei Jahren sah die Tenniswelt desErnests Gulbisnoch um vieles freundlicher aus. Der eloquente Lette stürmte damals ins Halbfinale der French Open und besiegte auf seinem Weg Größen wieRoger FedererundTomas Berdych. In der Folgewoche wies ihn der ATP-Computer als Weltranglisten-Zehnten aus – Gulbis war angekommen in der Bel Etage. 24 Monate später ist der Balte nur noch die Nummer 80 der Welt. Anhaltende Schulter- und Handgelenksprobleme sorgten dafür, dass der sechsfache ATP-Titelträger zwischenzeitlich sogar aus den Top 100 fiel. In dieser Saison gewann der 27-Jährige lediglich vier ATP-Hauptfeld-Matches vor Roland Garros. Doch die Luft an der Seine tut dem streitbaren Charakterkopf offensichtlich gut. Nach überzeugenden Siegen gegen Andreas Seppi (ATP 38) und Joao Sousa (ATP 29) kämpft der „Hardhitter“ heute gegen LokalmatadorJo-Wilfried Tsongaum einen Platz im Achtelfinale.
„Die Tenniswelt ist respektlos und undemokratisch“
Nach seinem Auftakterfolg gegen den Südtiroler Seppi war Gulbis allerdings alles andere als in Feierlaune. Vielmehr holte er zum Rundumschlag gegen die Szene aus, die ihn vor zwei Jahren noch hofierte. „Es ist eine komplett andere Welt, wenn du gut spielst. Du wirst auf den besten Plätzen angesetzt, alle sind nett zu dir und wollen dich bei ihren Turnieren dabei haben“, sagte er gegenüber „Sport360“ und wurde wütend: „Ich war hier im Halbfinale vor zwei Jahren und jetzt spiele ich auf Platz 18 – wo es nicht mal Sitzplätze für den Betreuerstab gibt. Spieler, die auf diesem Court antreten, werden wie Schei*** behandelt.“ Für Gulbis ist das ein „undemokratisches“ Gebilde, eine „respektlose“ Welt, in der sich niemand darum schert, dass die Spieler unter widrigen Bedingungen ihr Bestes geben.
Der kritische Geist aus Nordeuropa klagte nicht nur in eigener Sache, sondern sprach eine grundsätzliche Schieflage auf der Tour an: „Leute in meiner Situation müssen darum betteln, dass sie für eine Stunde am Tag einen Trainingsplatz zugewiesen bekommen. Dann siehst du gesetzte Spieler, die zwei Stunden lang nur mit ihrem Coach auf dem Platz stehen. Wie willst du da mithalten können?“ Die weniger Privilegierten müssen dagegen zu Viert trainieren, bemängelte Gulbis. Es gehe hier nicht nur alleine um die French Open, überall sei das der Fall. Diese Ungleichbehandlung könne er nicht verstehen: „Leben wir in einer Demokratie, in der jeder die gleichen Rechte hat oder wie läuft das? Vielleicht verstehe ich es, wenn ich wieder die Top Ten erreiche, aber selbst dann will ich nicht angepasst agieren.“
Das Kurzzeitgedächtnis der Szene vergisst schnell
Auch Spielern wieGrigor Dimitrovkönnte bald ein ähnliches Schicksal blühen, wenn er weiter so schlechte Ergebnisse erzielt, merkte Gulbis an. „Die Tennisszene hat das kürzeste Gedächtnis – wenn du nicht Top 3 oder 4 warst, kann es jedem so ergehen.“ Doch Jammern gilt nicht: Damit es wieder aufwärts geht im Ranking, will der Sohn eines wohlhabenden lettischen Geschäftsmanns den Kampf gegen alle Widrigkeiten des Profilebens annehmen. Gulbis widerspricht dem Klischee, sein Talent durch fehlenden Einsatz zu vergeuden: „Ich konnte wegen meiner Schulterprobleme dreimal weniger trainieren als zu meinen Bestzeiten. Damals stand ich jeden Tag bis zu sechs Stunden auf dem Platz. Ohne große Umfänge fehlt mir das gute Gefühl, was ich brauche.“ Seine Scharfzüngigkeit hat in der sportlichen Krise jedenfalls keinen Schaden genommen. Vielleicht kann Ernests Gulbis seinen markigen Worten auch auf dem Tennisplatz weiteren Nachdruck verleihen. Gegen Publikumsliebling Jo-Wilfried Tsonga dürfte die Bühne ungleich größer sein als in der Peripherie auf Platz 18 – „Rampensau“ Gulbis dürfte das freuen.