Getrennte Wege: Kerber wagt das Abenteuer New York, Petkovic verzichtet
Angelique Kerber wird die US Open 2020 also spielen. Ihre Landsfrau Andrea Petkovic hingegen spart sich die Reise in den Big Apple.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
23.08.2020, 14:44 Uhr

Es waren nur ein paar Stunden an diesem Wochenende, die genügten, um noch einmal die ganze Zerrissenheit der Tenniswelt aufzuzeigen. Frühmorgens am Samstag teilten die Organisatoren der US Open in schmucklosen Worten die Absage einer gewissen Andrea Petkovic für das Geisterturnier im „Billie Jean King Center“ mit. Dann dauerte es an diesem 22. August nicht lange, bis sich Angelique Kerber zu Wort meldete, die deutsche Nummer eins, die dreimalige Grand Slam-Siegerin und langjährige Top Ten-Spielerin – und eine enge Freundin Petkovics. Kerber kam zu einem anderen, in Wahrheit aber doch nicht so ganz überraschenden Schluß: Sie werde teilnehmen am ersten Grand Slam-Turnier mitten in der Pandemie, gab die 32-jährige zu Protokoll, und zwar nach „sorgfältiger Überlegung und intensiven Gesprächen mit meinem Team“: „Leicht habe ich mir diese Entscheidung nicht gemacht.“
Aus dem Spitzentrio des deutschen Frauentennis wird Kerber nun die einzige Repräsentantin sein, die sich der Herausforderung des ungewöhnlichsten Majors der Geschichte stellt. Julia Görges war schon länger raus aus dem Kreis der US Open-Teilnehmerinnen, sie hatte ihr Unwohlsein mit jeglicher transkontinentaler Reisetätigkeit mehr als deutlich gemacht. Auch Petkovic hatte insgeheim schon viel länger mit den US Open in der Corona-Ära gefremdelt, bei einem Showturnier in Berlin sagte sie unlängst, sie könne sich die Reise „nur sehr schwer vorstellen“: „Meine Eltern und manche Freunde sind sowieso dagegen.“ So wird sie das Turnier nun bloß als interessierte Beobachterin verfolgen, vielleicht auch in ihrer liebgewonnenen Nebenrolle als Teilzeit-Journalistin beim ZDF. Tennis wird Petkovic zwar noch spielen in dieser Saison, auch bei den noch anstehenden, verlegten French Open, aber ihre eigentliche Konzentration gilt dem Jahr 2021 – einer Saison, die auch die letzte in der Karriere der 32-jährigen Darmstädterin sein könnte. „Corona jedenfalls wird meine Laufbahn nicht beenden. Das kommt nicht in Frage“, sagt Petkovic.
Kerber - Vorfreue auf den Neustart überwiegt
Bei Kerber könnte man meinen, dass die Lage im Großen und Ganzen ähnlich sei. Aber in all den Unsicherheiten rund um Corona und die eigene sportliche Zukunft will Kerber nun auf jeden Fall erst einmal an den Start gehen im Big Apple- auch wenn dieses Erlebnis nichts mit den rauschhaften Momenten der Vergangenheit zu tun haben wird. „Schön“ sei es, nach der langen Pause in New York wieder den Anfang zu machen, sagt Kerber, es überwiege „die Vorfreude auf den Neustart, auch wenn vieles anders sein wird.“ Anders als beispielsweise 2011, als Kerbers Karriere in einem dramatischen US Open-Gastspiel mit Halbfinaleinzug ihre erste signifikante Beschleunigung erlebte. Und erst recht anders als bei dem magischen Auftritt vor vier Jahren, der im Turniersieg und dem Sprung auf Platz 1 der Weltrangliste gipfelte. „Mit den US Open verbinde ich viele emotionale Momente“, sagt Kerber, aktuell habe sie aber keine großen Erwartungen und freue sich, „endlich wieder Matches spielen zu können.“
Kerber hatte ja einen noch viel gefühlsbeladeneren Moment erlebt, als sie knapp zwei Jahre nach dem US Open-Coup ihren Lebenstraum verwirklichte, den Triumph auf dem Heiligen Rasen von Wimbledon. Später tat sie sich oft schwer, die Saison 2019 verlief holprig, mit mehr Tiefen als Höhen. Bei den Grand Slam-Turnieren war sie eher als Nebendarstellerin unterwegs, weit davon entfernt, an die Erfolge der Vergangenheit anzuknüpfen. 2020 sollte eigentlich die Wende bringen, doch nach gerade einmal sieben Spielen – vier Siege, drei Niederlagen – herrschte dann auch für die deutsche Nummer eins der totale Stillstand. Und mit diesem Stillstand schlichen sich auch Ungewißheiten, Zweifel und Fragen ein, wie es überhaupt weitergehen kann mit der eigenen Karriere. Kerber gehörte zu jenen Spielerinnen und Spielern, die auf der Zielgeraden ihres Tennislebens weniger finanziell als emotional von der Pandemie betroffen waren – gefangen in einem merkwürdigen Schwebezustand, bedrängt von der Gefahr, sich selbst nicht mehr so richtig für große und größte Ziele motivieren zu können.
Kerbers Reise ins Ungewisse
Kerber, deren letztes Wettkampfmatch das verlorene Achtelfinale bei den Australian Open gegen Anastasia Pawljuschenkowa (Russland) im Januar war, trainierte zuletzt in ihrer eigenen Akademie in Polen, dann aber auch mit dem neuen, alten Coach Torben Beltz in Mallorca. Sie verschwand dabei gänzlich aus der Öffentlichkeit, trat erst bei der Centre Court-Einweihung in Bad Homburg auf – dort, wo sie beim künftigen WTA-Turnier einmal die Chefin sein will und wird. Wann sie genau einsteigen wird in diese neue Arbeits- und Lebenswelt, ist ungewiß. Genau so ungewiß, wie ihr persönliches Comeback im Profitennis bei den US Open 2020 und darüber hinaus. Kerber hat sich einiges vorgenommen, vor allem bei den French Open will sie versuchen, das scheinbar Unmögliche möglich zu machen und den letzten noch fehlenden Grand Slam-Pokal zu holen. Kerber weiß aber auch, dass es neue Rückschläge geben kann. Und auch die Fragen an sich selbst, ob sich die ganze Plackerei noch weiter und weiter lohnt. Für den Augenblick ist Kerber motiviert und guter Dinge für das, was in New York kommt. Und deshalb setzt sie sich nun auch ins Flugzeug. Denn in einem Jahr kann schon alles anders sein.