Günter Bresnik - „Andre Agassi hat den Tennissport auf eine andere Ebene gehoben“

Am 29. April feiert Andre Agassi seinen 50. Geburtstag. Star-Coach Günter Bresnik erinnert sich im Interview mit tennisnet.com an die Karriere des US-amerikanischen Ausnahmespielers.

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 28.04.2020, 19:44 Uhr

Andre Agassi in seiner späten Schaffensphase
© GEPA Pictures
Andre Agassi in seiner späten Schaffensphase

tennisnet: Herr Bresnik. Sie haben als Coach vieler Gegner von Andre Agassi dessen Karriere hautnah mitverfolgt. Welche Erinnerungen kommen spontan bei Ihnen auf?

Günter Bresnik: Andre Agassi war über einen langen Zeitraum die herausragende Persönlichkeit im Tennissport. Nicht nur aufgrund seiner sportlichen Leistung, sondern was er auch daneben abgeliefert hat. Für mich war er ein Vorläufer für Federer und Nadal, der den Tennissport einfach auf eine andere Ebene gehoben hat. Agassi ist ein bisschen weg gegangen von den Sportseiten, rein ins Gesellschaftliche. Er hat sich kein Blatt vor den Mund genommen - ob nun alles richtig war,  was er gesagt hat, oder nicht, ist ein anderes Thema. Das sind Typen, die mir immer taugen. Auch wenn ich das, was sie sagen, nicht immer unterschreiben würde.

tennisnet: Fehlt so etwas im heutigen Sport?

Bresnik: Grundsätzlich mag ich Typen, die ihre ehrliche, offene Meinung nicht zurückhalten. Ich halte Agassi für einen gescheiten Kerl, einen guten Typen. Leute wie Agassi sind für die Sportart im Speziellen und für den Sport überhaupt extrem wichtig. Speziell Roger Federer hat das dann noch einmal auf ein noch höheres Level gehoben, aber dafür braucht man diese Vorläufer. Und die richtige Zeit. Das ist heutzutage wesentlich einfacher: Den Stellenwert des Sports haben Leute wie Andre Agassi so weit erhöht, um den aktuellen Spielern zu erlauben, was sie gerade jetzt tun. Das sollte man nie vergessen. Federer und Nadal tun das auch nicht. Agassi hat für den Sport viel mehr getan als der viel erfolgreichere Pete Sampras.

tennisnet: Agassi hat sich zwar kurzzeitig als Super Coach bei Novak Djokovic versucht, bei Grigor Dimitrov gab es auch eine limitierte Zusammenarbeit. Warum hat das nicht funktioniert?

Bresnik: Leute, die als Sportler so wahnsinnig erfolgreich waren, sind in den seltensten Fällen auch außergewöhnlich gute Trainer. Das hat nichts damit zu tun, dass sie nicht fleißig, klug oder empathisch genug wären, sondern damit: Um als Sportler erfolgreich zu sein, braucht man andere Voraussetzungen als als Trainer erfolgreich zu sein. Ich glaube aber nicht, dass sich Andre Agassi vom Sport abkapseln will. Nur für ihn ist es auch schwieriger als für einen komplett frischen Coach auf der Tour: Auf den sind eben nicht ständig hundert Kameras gerichtet, da wird nicht jedes Wort, jede Geste auf die Goldwaage gelegt. Es werden keine Wunderergebnisse verlangt. Und an der Basis anzufangen, das wäre für jemanden wie Agassi nichts. Das aber ist die Wurzel für Leistung. Oben dann herumzuschrauben, ist auch interessant und wichtig, aber da spielen so viele andere Faktoren eine Rolle, dass der Einfluss von einem wie Agassi geringer ist. Natürlich gehen Ex-Spieler wie Agassi davon aus, dass sie ihre eigenen Erfahrungen auf andere Spieler übertragen können. Das funktioniert aber oft nicht. Man müsste vielmehr selbst Erfahrungen als Trainer sammeln - das aber ist so prominenten Leuten fast nicht möglich.

Starpotenzial im Übermaß

tennisnet: Was hat Andre Agassi spielerisch ausgezeichnet? War er der erste, der bei jeder Vorhand abgehoben hat?

Bresnik: Da war der Skoffi schon davor! Ich war übrigens beim ersten Turnier, das der Agassi gewonnen hat, damals mit einer Wildcard in Itaparica. Da hat der Horst zweite Runde und Viertelfinale verloren. Das war ein stark besetztes Turnier, und Agassi war schon als der neue Superstar angekündigt worden. Da ist mir einfach schon aufgefallen, dass der mehr mitbringt als nur gutes Tennis. Agassi hat in Übermaß schon das gehabt, was die Amerikaner als „Starpotenzial“ bezeichnen. Da hat Bollettieri sicherlich einiges dazu beigetragen, auch der Vater hat das mit beeinflusst. Was mich beeindruckt hat: Wie gut der retourniert hat und wie nah er an der Linie gestanden hat. Zu jener Zeit waren noch viele aggressive Spieler auf der Tour wie eben Sampras oder Becker und Edberg. Und Agassi hat das Grundlinienspiel durch die Position so nah an der Linie noch einmal extrem verbessert.

tennisnet: Und hat 1992 in Wimbledon auf Rasen gewonnen. Was niemand für möglich gehalten hätte.

Bresnik: Er war einfach der beste Returnspieler. Man hat ihm gesagt: Nach London musst gar fahren, da hast Du eh keine Chance. Schau, dass Du in Paris, den Australian Open oder bei den US Open gut dastehst. Und dann kommt Agassi quasi ohne Vorbereitung hin und gewinnt das Turnier. Er war einfach auch schnell im Kopf. Das ist eine Qualität, die man nicht trainieren kann. Das betrifft jetzt nicht nur intellektuelle Dinge, sondern auch die Hand-Auge-Koordination. Da war Andre Agassi ein Großmeister.

"Agassi ist immer als großzügig bekannt gewesen"

tennisnet: Wenn man seine Autobiographie liest, könnte man beinahe den Eindruck gewinnen, Agassi wäre eigentlich ein schüchterner Kerl gewesen.

Bresnik: Ich habe ihn nicht als schüchtern erlebt. Er war keiner, der in die Umkleide gekommen ist und mit allen geredet hat. In erster Linie hat er sich mit den Amerikanern abgegeben, bis zu einem gewissen Grad auch als Selbstschutz. Agassi hat immer eine enge Beziehung mit seinen Trainern gehabt, zuerst mit Bollettieri, später mit Brad Gilbert. Da ist weit über das normale Verhältnis zwischen einem Superstar und einem Trainer hinausgegangen. Das war immer sehr speziell und emotional, was ihn für mich auch sympathisch macht. Und er ist immer als großzügig bekannt gewesen.

tennisnet: Wie hat sich das geäußert?

Bresnik: Eine meiner Lieblingsgeschichten. Obwohl ich nicht weiß, ob sie ganz wahr ist oder nicht. Agassi hat in Monte Carlo bei einer Abendpartie sehr spät aufgehört und wollte danach mit seiner ganzen Truppe noch etwas essen gehen. Wahrscheinlich zehn bis 15 Leute. Gleich über dem Monte Carlo Country Club gibt es eine Straße, wo es ein paar Pizzerien gibt. Agassi kommt also um neun, halb zehn dorthin, und die waren gerade am Zusperren. Agassi sagt also, dass sie noch gerne etwas essen würden. Und dass es dem Gastwirt nicht schaden würde, wenn er sein Lokal doch noch offen halten würde. Der erste Wirt sagt: nein danke, interessiert mich nicht. Agassi fährt weiter zum nächsten Lokal, fast das gleiche Theater wieder, der Wirt sagt aber: Na, gut, kommen Sie rein. Und als es zur Bezahlung gegangen ist, dann hat Agassi oder einer seiner Begleiter - er hat oft einen amerikanischen Milliardär mit dabei gehabt - zu dem Restaurantbesitzer gesagt: Ich gebe Ihnen jetzt den Scheck, aber tun Sie mir bitte einen Gefallen: Morgen in der Früh gehen Sie doch bitte vor zu Ihrem Kollegen, und erzählen Sie ihm, was heute hier passiert ist. Und gibt dem Wirt einen Scheck über 100.000.- US Dollar.

von Jens Huiber

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28.04.2020, 19:05 Uhr
zuletzt bearbeitet: 28.04.2020, 19:44 Uhr