Günter Bresnik im Interview - „Alcaraz ist ein Naturereignis“

Günter Bresnik darf mit dem Saisonstart seiner Schützlinge zufrieden sein. Im Interview mit tennisnet ordnet der Starcoach das Potenzial von Carlos Alcaraz, die richtige Anzahl der Matchs pro Jahr und die Leistungen von Dominic Thiem ein.

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 08.01.2023, 12:13 Uhr

Günter Bresnik hält große Stücke auf Carlos Alcaraz
© GEPA Pictures
Günter Bresnik hält große Stücke auf Carlos Alcaraz

Günter Bresnik hat sich nach München aufgemacht, um als Vortragender einen Tenniskongress des Deutschen Tennis Bundes (DTB) zu befruchten. Das Gespräch mit tennisnet findet im Restaurant des Kongresshotels statt.

tennisnet: Herr Bresnik: ihr Schützling Dennis Novak hat das Tennisjahr mit einem Sieg bei einem ATP-Challenger-Turnier in Thailand begonnen. Haben Sie damit gerechnet.

Günter Bresnik: Die Vorbereitung war sicherlich super. Dennis ist körperlich in einer tollen Verfassung. Er hat in der Vorbereitung auf Teneriffa vier Prozent Fett verloren, was in so einer kurzen Zeit sehr viel ist. Er hat viel mit Dominik Distelberger zusammengearbeitet, einem Zehnkämpfer. Das predige ich ja immer: Ein Zehnkämpfer hat mit Laufen, Springen, Werfen zu tun. Dennis hat nach dem Monat in Spanien beste Laune gehabt. Und die Wahl, nach Thailand zu fahren, war auch gut. Für Dennis ist es wesentlich, dass er viele Matches spielt. Spielerisch ist er sehr gut drauf. Vor allem mit dem Auftritt im Halbfinale gegen Escoffier war ich sehr zufrieden.

tennisnet: Wer war noch in der Trainingsgruppe auf Teneriffa dabei?

Bresnik: Alexander Shevshenko und Lukas Neumayer, dann Henri Squire und Jan-Lennard Struff. Dazu die Julia Grabher und Filip Misolic und ein ganzer Haufen junger Spieler. Wir haben eine sehr gute deutschsprachige Gruppe gehabt, in der sich alle gut verstanden haben. Und die Bedingungen sind dort einfach optimal.

tennisnet: Lukas Neumayer ist in etwa gleich alt wie Carlos Alcaraz. Ist es bei ihm wichtig, die Geduld zu behalten?

Bresnik: Für mich: ja. Ich kann mir nicht einen Überflieger wie Alcaraz als Vorbild hernehmen. Lukas ist erst seit zwei Jahren in der Südstadt, ein Jahr war er beim Bundesheer, dann war auch noch ein Jahr Corona. Das hat der Alcaraz zwar auch gehabt. Aber in Spanien war die Corona-Zeit einfacher, weil man da die meiste Zeit draußen spielen konnte. Wunder gibt es jedenfalls keine. Und ich hoffe, dass Lukas die nötige Geduld aufbringt.

tennisnet: Julia Grabher hat in Auckland eine Runde gewonnen, dann gegen Leylah Fernandez glatt verloren. Wie sehen Sie Ihre Entwicklung?

Bresnik: Der Sieg gegen Martincova war sehr gut, das Ergebnis gegen Fernandez ernüchternd. Allerdings haben die beiden da in der Halle gespielt. Und da ist sie nicht so weit. Und aus meiner Sicht hat sich Fernandez ja auch besser entwickelt als Emma Raducanu, gegen die sie 2021 das US-Open-Finale verloren hat.

„Spielerisch ist Swiatek eine Sensation“

tennisnet: Apropos. Richtig oder falsch: Emma Raducanu und Cori Gauff müssen das Frauentennis mit ihrem Charisma retten.

Bresnik: Na, ja. Das Tennis von Iga Swiatek gefällt mir schon sehr gut. Als Persönlichkeit habe ich ein Problem damit, wenn jemand von Mentaltrainern umgebene ist und ein bisserl wie an der Leine geführt daherkommt. Aber spielerisch ist Swiatek eine Sensation. Mir würde auch eine Sloane Stephens gefallen, wenn die wieder so gut spielt, wie sei es eigentlich kann. Aus deutscher Sicht halte ich viel von Nastasja Schunk. Aber nach einer Ära, wie sie wohlgemerkt durch beide Williams-Schwestern geprägt wurde, einen Übergang zu finden, ist unheimlich schwierig. Superstars wie Serena oder Venus zu schaffen, funktioniert am Reißbrett nicht. Bei Carlos Alcaraz passt gerade auch wider viel zusammen: Die großen Spieler fallen raus - und er steigt gleich mit einem Grand-Slam-Sieg ein. Man wird sehen, wie er sich gegen Novak Djokovic schlägt. Oder gegen Zverev und Thiem, wenn die wieder in Hochform sind.

tennisnet: Sonst sehen Sie niemanden bei den Männern?

Bresnik: Carlos Alcaraz ist wieder ein Naturereignis. Und bei den Frauen muss man sagen: Wie viele Fehler kann ein Mensch innerhalb von zwei Jahren machen? Denn Raducanu hat so oft die Trainer gewechselt, das ist ja unvorstellbar. Auch wenn es schwierig ist, die Gründe aus der Ferne zu beurteilen. Ich weiß aber, wie wichtig es ist, dass man einen Spieler gut kennt und umgekehrt. Trainerwechsel sind Veränderungen, aber selten Verbesserungen. Die Bedingungen, wie man im Tennis erfolgreich wird, sind ja vorgegeben.

„Safin, Becker, Sampras, Federer, Djokovic darf man nicht mit normalen Maßstäben messen“

tennisnet: Nun hat man den Eindruck, dass Carlos Alcaraz, der ja leider die Australian Open versäumen wird, von Coach Juan Carlos Ferrero in Sachen Einsätze ein wenig gebremst wird. Wie findet man das richtige Maß an Matches?

Bresnik: Meine Paradebeispiele für die richtige Matchanzahl sind John McEnroe und Roger Federer. McEnroe hat in seiner besten Zeit mehr als 80 Matches im Einzel bestritten. Und dazu aber auch noch bei fast jedem Turnier auch noch Doppel gespielt. Und meistens gewonnen. Heutzutage reichen schon knapp über 60, um ganz vorne zu sein. Bei Federer war es im Einzel fast dasselbe. Bei Alcaraz muss man schauen, wie er den Sieg in New York verkraften wird. Danach hat er ja nicht so gut gespielt. Spieler, die als Teenager Grand-Slam-Turniere gewinnen, muss man anders behandeln. Marat Safin, Boris Becker, Pete Sampras, Roger Federer, Novak Djokovic mit seiner unglaublichen Physis - das sind Spieler, die man nicht mit normalen Maßstäben messen kann.

tennisnet: Ferrero passt also zu Alcaraz?

Bresnik: Ich muss immer Ursprünge und Ursachen verstehen. Als Trainer muss ich mir immer überlegen: Was führt bei diesem Spieler zum erfolg? Wenn man Dominic Thiem mit Carlos Alcaraz vergleichen möchte: Beide sind US-Open-Sieger. Aber der Weg dorthin war komplett anders. Alcaraz ist mit Ferrero sehr gut beraten, weil der halt einer der härtesten Arbeiter ist. Mit Zverev hat das nicht so gut gepasst.

tennisnet: Wenn man sich die Karriere von Dominic Thiem ansieht: Da steht ein 1000er-Erfolg in Indian Wells. Im vergangenen Jahr aber haben mit Pablo Carreno Busta, Borna Coric oder Taylor Fritz Spieler bei den Masters-Turnieren zugeschlagen, die Thiem mehr oder weniger im Griff hatte. War es eher Pech oder eine Ehre, dass Dominic sich mit Federer, Nadal und Djokovic noch in deren bester Zeit messen musste?

Bresnik: Dominic hat den genannten Spielern eines voraus: nämlich einen Grand-Slam-Titel. Und er war mehrmals im Endspiel von anderen. Die Konstanz, mit der Dominic seit 2016 gespielt hat, vor allem auf Sand, ist für mich auch beeindruckend. Spitzensportler wollen immer gewinnen. Dominic hat Federer, Djokovic, Nadal in deren bester Zeit geschlagen. Auch bei großen Turnieren. Nadal hat er erstmals in Buenos Aires geschlagen, hat gegen Federer auf Rasen im Halbfinale von Stuttgart gewonnen. Das sind die Dinge, die gehören aus meiner Sicht anders bewertet.

tennisnet: Novak Djokovic geht als großer Favorit in die Australian Open 2023. Wer, außer einem Dominic Thiem und Alexander Zverev in Topform - die sie beide nicht haben - glaubt daran und hat auch die spielerischen Mittel, um gegen Djokovic ein Best-of-Five-Match zu gewinnen?

Bresnik: Von den noch aktiven Spielern sicherlich auch Rafael Nadal, bei dem man allerdings nicht weiß, wie gut er körperlich gerade in Form ist. Jemand wie Holger Rune, wenn der einfach so drauflos spielt, hat sicherlich das Zeug dazu. Sonst gewinnt man kein 1000er-Finale gegen Djokovic. Und mir taugt der Shapovalov immer noch wahnsinnig. Der gewinnt wahrscheinlich keinen fünften Satz gegen Djokovic , aber vielleicht in drei oder vier. Und eines weiß ich auch: Wenn Dominic in das Viertelfinale in Melbourne kommen sollte und dort gegen Djokovic spielt, dann glaubt er auch wieder dran, dass er ihn schlagen kann.

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08.01.2023, 13:55 Uhr
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