Görges hat Top 20 im Visier

Auch die deutsche Nummer zwei hat sich von Hauruck-Aktionen und Krawalltennis verabschiedet.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 22.04.2011, 11:46 Uhr

Von Jörg Allmeroth

Es war vor ziemlich genau drei Monaten, als die Verwandlung zum ersten Mal so richtig spür- und sichtbar wurde. Damals spielte Julia Görges bei den Australian Open gegen die wiedererstarkte Maria Sharapova, ein Drittrundenmatch auf schillernder Centre-Court-Bühne bei einem der vier Topwettbewerbe der Tennistour. Aber wo Görges früher die große Flatter bekam, wenn es gegen die Mächtigen und Starken der Branche ging, zeigte die 22-jährige nun keinerlei Anzeichen von Flatterhaftigkeit oder Nervosität. Görges spielte mit Mut und Mumm, mit Courage und Leidenschaft. Es war ein Match auf Augenhöhe, das erst in den allerletzten Minuten des umkämpften Drei-Satz-Krimis verloren ging – und es war ein Match mit Signalcharakter für die Zukunft. „Da habe ich mir bewiesen, wie nahe ich an den Topleuten dran bin“, sagt Görges, „und dass ich selbst da oben dazugehören kann.“

Erstes Halbfinale in Deutschland

Fast wäre sie in der ersten allgemeinen Petkomania in Deutschland übersehen und übergangen worden, doch nun rückt Julia Görges als stolze Halbfinalistin des Stuttgarter Porsche Grand Prix auf einmal selbst ins Rampenlicht. Zwölf Jahre nach einem längeren Siegeszug von Anke Huber im Schwabenland steht mit der kessen Schleswig-Holsteinerin wieder eine Deutsche unter den besten Vier bei dem Spitzenturnier. „Dass ich ausgerechnet in Deutschland das erste Mal bei einem so gut besetzten Wettbewerb so weit gekommen bin, ist einfach grandios“, sagte Görges nach dem 6:4, 6:4-Sieg im innerdeutschen Vergleich mit Sabine Lisicki. Sicher jedenfalls war schon vor der Schlußphase der Stuttgarter Tennisfestivitäten zu Ostern: Das erstaunliche deutsche Hoch bei den Damen hat einen ganz kräftigen und, wie es scheint, auch stabilen norddeutschen Ausläufer. Görges, einst nur ein Tennismodel ohne sportliche Attraktivität, bewegt sich mit und neben Andrea Petkovic in die Eliteabteilung des Wanderzirkus vor. „Ich will in die Top 20, das ist nun mein großes Ziel“, sagt die Bad Oldesloerin, die an diesem Samstag im Duell mit French-Open-Finalistin Samantha Stosur um einen Platz im Stuttgarter Endspiel kämpft.

So trägt nun die andere deutsche Weltklassespielerin neben Petkovic die Hoffnungen bei einem Turnier, das wie nie zuvor in den letzten Jahren von deutschen Spielerinnen, von deutschen Siegergeschichten und von einem „Fräuleinwunder“ in Schwarz-Rot-Gold geprägt war. Petkovic, erstmals so richtig in die hochtourige Medienmaschinerie geraten, räumte derweil nach einem 4:6, 1:6-Fehlschlag gegen die Weltranglistenerste Caroline Wozniacki am Donnerstagabend ausgepumpt das Feld – obwohl sie das Viertelfinalmatch mit einem 4:1, 40:0-Blitzstart begonnen hatte. Des etwas verkrampften Scherzes einer Rollstuhleinfahrt zur Pressekonferenz hätte es gut und gerne nicht bedurft, um zu illustrieren, wie erschöpft, matt und müde sie, die deutsche Frontfrau, nach Fed-Cup- und Turnierstrapaze, aber vor allem dem Interviewmarathon war. „Der Tank war total leer, kein Sprit mehr vorhanden“, sagte Petkovic hinterher, „ich wollte schon noch fighten, aber es ging nicht mehr. Ich fühlte mich wie eine Oma.“

Solange sie allerdings noch bei Kräften war, bis weit in den ersten Satz hinein, war freilich zu sehen, dass die deutsche Nummer eins und die Weltnummer eins eigentlich auf Augenhöhe gegeneinander spielen. „Sie fährt nach dem Fed Cup und diesem Turnier gestärkt zu den nächsten Aufgaben“, sagte Bundestrainerin Barbara Rittner. Nicht nur dies: Mit dem Sprung auf Platz 15 der Weltrangliste, gültig dann ab nächster Woche, hat die Darmstädterin ein Kernziel ihrer 2011er-Kampagne schon jetzt erreicht – verteidigt sie diesen Rang, warten bei den French Open die Topgegnerinnen erst im Achtelfinale.

Kein Platz für Neid

Auch Julia Görges wird aller Voraussicht nach zu den 32 gesetzten Spielerinnen unterm Eiffelturm gehören. In der höheren Ranglisten-Arithmetik macht sie nach ihrem Halbfinalvorstoß in Stuttgart zwar keinen großen Sprung nach vorn – das hängt u.a. mit dem anderen Austragungstermin in diesem Jahr zusammen –, aber der Aufwärtstrend ist auch so offensichtlich, ohne neue amtliche Versicherung aus dem WTA-Computer. „Die Angst vor großen Namen habe ich mir längst aus dem Kopf rausgespielt“, sagt Görges, dabei ganz auf einer Linie mit Petkovic. Deren jüngste Erfolge belasten die freundschaftliche Beziehung überhaupt nicht: „Wir ziehen uns alle gegenseitig hoch. Da ist überhaupt kein Platz für Neid“, sagt die 22-Jährige. In Stuttgart standen die beiden am Donnerstagabend noch gemeinsam im Doppel auf dem Platz, doch nach der Niederlage gegen die Kombination Lisicki/Stosur konnte sich Görges ganz auf die Solonummer gegen die zähe Australierin Stosur vorbereiten.

Görges hatte immer ein wenig unter ihrem Image als liebes Tennissternchen gelitten. In früheren Karrierejahren flutete der einstige Manager Werner Köster den Markt mit allerlei Hochglanzfotos der attraktiven Athletin, doch die nötige sportliche Offensive für Fan- und Sponsoreninteresse kam nicht auf Touren. Im Wanderzirkus versammelte Görges zu wenig sportliche Kompetenz um sich, nachhaltig besser wurde es erst, als Trainer Sascha Nensel zum Team stieß. „Hauruck-Aktionen“ hätten das Spiel seiner Chefin früher geprägt, sagt Nensel, „jetzt spielt sie die Ballwechsel mit Überlegung und Ausdauer.“ Auch da ist die Parallele zu Petkovic augenfällig: Denn die bescheinigte sich vor ein paar Monaten auch noch, in „Krawalltennis“ zu verfallen, wenn es wirklich ernst wurde.(Foto: J. Hasenkopf)

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