Autogramme in Trance
Die 25-Jährige verspielte in Nürnberg in der zweiten Qualifikationsrunde ihren größten Erfolg seit zwei Jahren.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
10.06.2013, 10:33 Uhr

Normalerweise verschwinden Tennisspielerinnen nach Niederlagen sofort vom Platz. Der Kopf ist dann starr auf den Boden gerichtet, der Blick geht ins Nichts, das Feld bleibt dem Sieger überlassen. In der zweiten Runde des Qualifikationsturniers für den Nürnberger Versicherungscup täuscht dieses gewohnte Bild. Justine Ozga sitzt da auf ihrer Bank, räumt geduldig die angesammelten Utensilien weg, wirft einen Blick auf das Mobiltelefon und schreibt: Autogramme. Einen großen gelben Filzball signiert sie, nur ihre Mimik offenbart ihre wahre Befindlichkeit. Der Gesichtsausdruck gleicht einer Mischung aus Schock und Enttäuschung. Enttäuschung, weil sie ein enges Spiel gegen die Schweizerin Lara Michel verloren hat, das sie nicht unbedingt hätte verlieren müssen. Der schockhafte Zustand hat damit zu tun, dass sie um kurz nach 15 Uhr auf dem Show Court eine große Chance verpasst hat – mit einem leichten Vorhand-Schlag ins Netz.
Der Tennis-Weltverband führt Ozga aktuell auf einer Position jenseits der besten 300 Spielerinnen, sie muss sich bei WTA-Turnieren regelmäßig über die Qualifikation ins Hauptfeld (zuletzt gelang ihr das 2010) manövrieren, falls die 25-Jährige überhaupt für das Vor-Turnier zugelassen wird. Deswegen habe sie auch besonders gekämpft gegen Michel. Die Begegnung nahm sie sogar so sehr ein, dass sie einem Ziehen im Oberschenkel, das „vom Gefühl her“ einer Zerrung glich, keine Aufmerksamkeit widmete. Sie kämpfte eben.
"Mache ich noch weiter oder studiere ich lieber?"
Schließlich hielt sie eine Teilnahme beim Nürnberger Versicherungscup lange Zeit für so ausgeschlossen, dass sie Turnierdirektorin Sandra Reichel erst gar nicht nach einer Wildcard gefragt hatte. Für die Qualifikation wohlgemerkt. Eigentlich wollte sie schon nach Hause reisen, nach Murcia an die spanische Mittelmeerküste. Dort, wo ihr Trainer und Freund wohnt. Die aktuelle Situation zermürbt, der Kampf um die eigene Existenz auf den Hinterplätzen dieser Tenniswelt belastet die Psyche. „Viele Qualifikationen stehen von der Qualität einem 250er-Turnier in wenig nach.“ Ein kleiner Hilfeschrei. Man kann in jedem Fall verstehen, warum sie so langsam einen Punkt gekommen sieht, an dem man überlegt: „Mache ich noch weiter oder studiere ich lieber. Ich habe mir gesagt, dieses Jahr ziehe ich noch voll durch.“ Ozga spricht bemerkenswert offen über ihre Lage, es mag an ihrem Alter und der damit verbundenen Erfahrung liegen, sie kennt ihren Sport mit seinen Vor- und Nachteilen seit Jahren. Und an der Tatsache, dass die Enttäuschung über die schmerzlich erlittene Niederlage bei ihr erst später auftauche, im Hotel.
Dort wird es einiges aufzuarbeiten geben, den fatalen Start in die Partie, als sie im ersten Satz schnell mit 2:5 ins Hintertreffen geriet, den ernüchternden Spielausgang, aber auch Positives. Der gewonnene zweite, die zahlreich abgewehrten Matchbälle, die eigene Willensleistung – nur überwiegt das eben nicht. Bleiben wird dieses Aufschlagspiel bei 5:6 im finalen Durchgang, als ein paar leichte Fehler das Aus besiegelten. Statt der Chance aufs Hauptfeld suchte sie schon in der Umkleidekabine nach einem passenden Flug. Weg vom Valznerweiher, weg aus Nürnberg. Die Tennisszene ist hart, aber „ich liebe meinen Sport und dafür tue ich immer noch alles“, wenngleich sie parallel über eine Fernschule an ihrem Abitur bastelt; die Prüfungen finden wohl im April nächsten Jahres statt. Ab und an klingt es, als würden sich gerade ihre Prioritäten verschieben: die Tenniskarriere geht in ein Leben ohne Schläger und gelbe Filzbälle über.
Matchball abgewehrt, ohne es zu wissen
Noch aber ist sie Tennisspielerin, das merkt man an ihrer Analyse. „Ein verrücktes Match“ sei das gewesen, zeitweise habe sie im Tiebreak des zweiten Durchgangs gar nicht gewusst, wie es steht. So wehrte sie beim Stand von 5:6 einen Matchball ihrer Gegnerin ohne Kenntnis darüber ab und glich nach Sätzen aus. Mehr noch: Ozga gelang im Anschluss direkt ein schnelles Break zum 2:0, Michel holte sich Hilfe von ihrem Trainer. „Bei den Matchbällen hatte ich zu viele Gedanken, die mich auch in den dritten Satz begleitet haben“, sagt die in Lausanne lebende Schweizerin. Sie konnte das Momentum ein weiteres Mal drehen und kehrte zurück zum alten Leistungsniveau. Ein erneuter Erfolg nun in Runde drei und Lara Michel würde den Nürnberger Versicherungscup wohl auf ewig in Erinnerung behalten – das Hauptfeld eines WTA-Turniers hat die 19-Jährige mit Geburtstag an Weihnachten noch nie erreicht.
Justine Ozga kann sich maximal damit trösten, dieses Spiel erst nach zwei Stunden und 56 Minuten verloren zu haben – 120 Sekunden länger als die deutsche Nachwuchshoffnung Anna-Lena Friedsam für ihren Erfolg in der ersten Runde benötigt hatte. Als Ozga von diesem neuen Rekord erfährt, mischt sich in ihre Stimme ein verlegenes Lächeln und ein Schluchzen der Resignation, sie sagt: „Aber Anna-Lena hat wenigstens gewonnen.“(Text: Sven Haist / Nürnberger Versicherungscup; Foto: Matthias Huber)
Hier die Ergebnisse aus Nürnberg:Einzel,Doppel,Qualifikation,Spielplan
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