Die wundersame Reise von Mutter Courage
Die 42-jährige Japanerin steht in Wimbledon in der dritten Runde und schnappte sich damit den nächsten Rekord.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
28.06.2013, 11:15 Uhr

Von Jörg Allmeroth aus Wimbledon
Es war das Jahr, in dem Deutschland letztmals Fußball-Europameister wurde. Das Jahr, in dem Frankreichs früherer Staatspräsident Francois Mitterand starb und Prinz Charles und seine Ehefrau Diana geschieden wurden. Und auch das Jahr, in dem in Wimbledon eine Serviererin vom Erdbeerstand urplötzlich nackt über den Centre Court flitzte, direkt vor den ersten Ballwechseln des Finals zwischen dem US-Amerikaner MaliVai Washington und dem späteren Champion Richard Krajicek.
„Ich bin noch nicht am Ende meiner Karriere“
Doch 1996 war auch sie schon da, in der Tenniswelt, in Wimbledon, und dort, im All England Club, in einem dramatischen Halbfinalspiel gegen Steffi Graf beschäftigt: Kimiko Date-Krumm, die japanische Veteranin des Wanderzirkus. Die Frau, die gerade alle Altersgrenzen und Rekorde sprengt, die Läuferin eines unvergleichlichen Karriere-Marathons. Erstmals seit jenem legendären Regenduell gegen ihre Freundin aus Deutschland steht die drahtige, ebenso unverzagte wie unermüdliche Tokioterin nun wieder und noch einmal in der dritten Wimbledon-Runde - 25 Jahre alt war sie damals, heute ist sie zurück im großen Spiel und 42.
Und ist damit älter als irgendeine Spielerin, die in der Profiära jemals unter die besten 32 bei den Offenen Englischen Meisterschaften gelangte, älter noch als die bisherige Rekordhalterin Virginia Wade aus England. „Ich bin überhaupt nicht müde vom Tennis. Und ich bin auch noch nicht am Ende meiner Karriere“, sagt die superfitte Altmeisterin, die am Samstag gegen Turnierfavoritin Serena Williams anzutreten hat. Auch die sonst gern mal flapsige US-Amerikanerin hat nur höchsten Respekt vor der Gegnerin, die sie früher am Fernsehen bewunderte: „Ich bewundere sie als Person und Profi. Sie bewegt sich auf dem Platz noch wie eine Teenagerin.“
Schaukampf gegen Graf als Ermutigung
Schon im vierten Jahrzehnt kämpft die sehnige Vorzeige-Athletin nun um Punkte, Spiele und Matches, zuerst in den 80er Jahren, als Debütantin auch 1989 an der Church Road, in London SW 19. Dann in den 90er Jahren, als Generationsgenossin von Steffi Graf, Monica Seles oder Gabriela Sabatini. Dann im neuen Jahrtausend, als Comeback-Königin, die 2008 nach elfjähriger Pause wieder aus dem Un-Ruhestand in den Tourzirkus einstieg. Und nun auch noch in dieser Tennis-Dekade, unterwegs mit Spielerinnen, die meist noch gar nicht geboren waren, als sie erste Weltranglisten-Zähler sammelte.
„Kimiko ist ein Phänomen. Sie ist ein großartiger Mensch, eine großartige Sportlerin“, sagt Steffi Graf. Die deutsche Tennis-Überfrau war 2007 auch indirekt verantwortlich für Date-Krumms Rückkehr auf die Centre Courts. Nach einem gewonnenen Schaukampf in Tokio gegen die „Gräfin“ entschied die damals 36-Jährige kurzerhand, „es noch einmal im Circuit zu versuchen“ – und gab damit auch dem sanften Drängen ihres deutschen Rennfahrer-Ehemanns Michael Krumm aus Reutlingen nach. „Ich wusste immer, dass sie es noch drauf hatte, im großen Tennis zu spielen. Sie war so gut austrainiert, so voller Energie“, sagt der frühere Tourenwagen-Pilot.
„Beeindruckende Hand-Augen-Koordination“
Und so begann die wundersame Reise von Mutter Courage, einer Frau, die in Wimbledon 2013 zwar einerseits wie eine aus der Zeitmaschine herauskatapultierte Besucherin wirkt. Die aber mit ihrem zeitlos modernen Spiel gleichzeitig vielen Jüngeren und ganz Jungen enorme Rätsel aufgibt. „Kimiko hat eine beeindruckende Hand-Augen-Koordination“, sagt Gegnerin Serena Williams, „sie spielt Bälle zurück, die du normaler Weise gar nicht zurückspielen kannst.“ Serenas Schwester Venus hatte die dynamische Seniorin vor zwei Jahren mächtig ins Schwitzen gebracht, unterm geschlossenen Centre-Court-Dach gewann die fünfmalige Championesse erst nach drei hart umkämpften Sätzen gegen Ü40-Frau Date-Krumm.
Daheim in Japan ist Date-Krumm schon seit ihren Teenagerjahren ein Superstar, umschwärmt von Medien, Sponsoren und Fans, ausgestattet mit Millionenverträgen von Spitzenunternehmen. In ihren Glanzzeiten, erinnert sich die 42-Jährige, „konnte ich kaum auf die Straße treten. Das gab sofort einen Riesenwirbel. Das hat sich inzwischen etwas gelegt.“ Im Hier und Jetzt des verrückten Wimbledon-Jahres 2013 folgen ihr freilich ganze Reporterscharen aus Nippon auf Schritt und Tritt, sammeln alle Nichtigkeiten und Wichtigkeiten zu Date-Krumms Grand-Slam-Abenteuer ein. Am Freitag druckten die japanischen Blätter fast alle ein rührendes Foto ab, die Szene, wie die Veteranin nach dem Zweitrundensieg gegen die Rumänin Alexandra Cadantu einem japanischen Baby ihren Schriftzug direkt aufs Kleidchen schrieb. „Die Mutter hatte mich hundertmal gebeten, es zu tun. Da habe ich es dann gemacht“, sagt Date-Krumm.(Foto: Jürgen Hasenkopf)