"Ich hoffe, dass sich hier alles dreht für mich"
Die 22-Jährige ist mit einer Negativserie von vier Niederlagen in Folge zum Grand-Slam-Turnier gekommen.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
24.06.2012, 10:42 Uhr

Von Jörg Allmeroth
Es war eine Laune des Zufalls, im letzten Wimbledon-Jahr. Denn gerade als die stolze Wildcard-StarterinSabine Lisickidamals nach ihrem Halbfinaleinzug bei den All England Champions ins Spielerzentrum zurückgekehrt war, lief sie einem kroatischen Riesen über den Weg, dessen Gesicht und Geschichte sich unauslöschlich ins kollektive Gedächtnis dieses Turniers eingebrannt haben. Natürlich: Goran Ivanisevic war es, der da auf Lisicki stieß, der einzige Spieler, der je mit einem Freiticket der Veranstalter den berühmtesten, ruhmreichsten Wettbewerb der Welt gewonnen hatte, 2001 gegen den Australier Patrick Rafterin einem denkwürdigen Finale am Montag.„Kompliment, ein Superturnier“, sagte Ivanisevic also zu der jungen Deutschen, dabei eine leichte Verbeugung andeutend, „das ist ja wirklich eine verrückte Geschichte.“
Tatsächlich: Die Lisicki-Story war die erstaunlichste Story bei den 125. Offenen Englischen Meisterschaften, aber in der hektischen, schnelllebigen Welt des professionellen Wanderzirkus scheint sie nun auch wieder eine gefühlte Ewigkeit zurückzuliegen. Umso mehr, da die blonde, lebenslustige Berlinerin ausgerechnet vor der Rückkehr zum Schauplatz des strahlenden 2011er-Auftritts in einer Krisenlage steckt. Nach einer Knöchelverletzung, im April beim WTA-Wettbewerb im amerikanischen Charleston erlitten, kommt die 22-jährige Deutsche buchstäblich nicht mehr in Tritt – statt Selbstbewusstsein vor dem wichtigsten aller Grand-Slam-Turniere zu tanken, verlor Lisicki bei den letzten vier Toureinsätzen jeweils gleich zum Auftakt.
Äußerst heikle Erstrundenaufgabe
Auch beim einzigen Rasenturnier, das sie im Wimbledon-Countdown im Arbeitskalender stehen hatte, schied die Weltranglisten-Fünfzehntein Birmingham unerwartet und unerwartet deutlichgegen die PolinUrszula Radwanskaaus. „Ich muss Geduld haben, die Ruhe bewahren. Ich muss körperlich und mental erst wieder Anschluss an die Weltspitze finden“, sagt Lisicki. Wobei es der bekanntermaßen ehrgeizigen Deutschen schwer genug fällt, die eigenen Schwächen zu tolerieren – und Hoffnungen auf ein ungewisses Morgen zu tagen. Die Erstrundenaufgabe gegen die aufstrebende KroatinPetra Marticdürfte da äußerst heikel und kompliziert werden, allemal ein Nervenspiel.
Fast wirkt Lisickis Wimbledon-Anlauf wie jener des Vorjahres, ein Sprung ins Unbekannte, eine Mission ohne jegliche Gewissheiten und Sicherheiten. Zwar startet sie als eine der nominell Etablierten und Großen der Szene, eben von jenem Weltranglistenplatz 15 aus. Doch wo sie 2011 mächtig und unwiderstehlich aus der Tiefe des Raumes kam, als krasse Außenseiterin, und irgendwie nur gewinnen konnte als Comeback-Künstlerin nach langer Tennispause, droht nun als Folge einer insgesamt wenig glücklich verlaufenen Saison ein empfindlicher Absturz in der WTA-Tabelle. Um vorne dran bleiben zu können, an den Superstars der Brache, müsste Lisicki schon einen Großteil ihrer im Vorjahr fürs Halbfinal-Mitwirken gewonnenen Punkte verteidigen.
Erinnerungen an den Sieg gegen Li Na
Heißt: Die zweite Turnierwoche erreichen, wenigstens einmal die drei ersten Runden überstehen und dabei der jährlich auftretenden realen Rasen-Allergie trotzen. „Ich traue es ihr absolut zu. Sie ist eine Fighterin. Wenn Sabine es schafft, über erste Erfolge neues Selbstbewusstsein zu tanken, wenn sie wieder mehr Konstanz in ihre ersten Aufschläge reinbringt, wird sie gefährlich für den Rest“, sagt Fed-Cup-Chefin Barbara Rittner. Doch wie schwer noch deprimierende Erstrunden-Niederlagen wie bei den French Open gegen die US-AmerikanerinBethanie Mattek-Sandsnachhängen, weiß keiner so recht im Umfeld von Lisicki. Immerhin, das wissen Freunde wie Familie, sollte der Wechsel von den beschwerlichen Sandplätzen aufs schnelle Gras, die Laune der vom Verletzungspech verfolgten „Miss Bum Bum“ (The Sun) grundsätzlich aufhellen.
Mit der Power ihres Aufschlags, der den Gegnerinnen konstant mit 200 Stundenkilometern um die Ohren flog, hatte Lisicki im letzten Wimbledon-Jahr sogar für magische Momente gesorgt. Etwa im Spiel gegen die damals frischgebackene French-Open-SiegerinLi Na,die zwar zwei Matchbälle gegen die Deutsche hatte, aber nicht den Hauch einer Chance besaß, sie auch zu verwerten. Beim Stand von 3:6, 6:4, 3:5 und 15/40 knallte Lisicki der Pariser Tenniskönigin zwei unreturnierbare Aufschläge ins Feld, danach folgten zwei Asse als Nachspeise. Es stand 4:5, es war der Anfang vom Ende für die Chinesin – und der eigentliche Beginn des Lisicki-Märchens. „Ich denke manchmal an dieses Spiel, an diese Situation zurück“, sagt Lisicki nun, „und das gibt mir auch Kraft. Und die Hoffnung, dass sich in Wimbledon alles wieder dreht für mich.“(Foto: Jürgen Hasenkopf)