Nick Bollettieri - Rastlos bis ins hohe Alter

Der Tod von Nick Bolletieri hat den Tennissport tief bewegt. Zurück bleibt ein Lebenswerk, das seinesgleichen sucht.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 07.12.2022, 10:56 Uhr

Nick Bollettieri (hier mit Bethanie Mattek-Sands) war stets der Mann im Mittelpunkt
Nick Bollettieri (hier mit Bethanie Mattek-Sands) war stets der Mann im Mittelpunkt

Er stand die meisten Jahre seines Lebens um vier Uhr morgens auf. Um fünf Uhr sah man ihn bereits in einem der Fitnessräume seiner Tennis-Akademie an den Gewichten schwitzen. Und spätestens um sechs Uhr stand er auch mit Anfang Achtzig schon auf dem Tennisplatz und schlug mit den Schülern und Schülerinnen die ersten Bälle. Nick Bollettieri konnte nicht anders, es lag im Blut des Mannes, der einst der erfolgreichste, bekannteste und auch gewiefteste Coach der Welt gewesen war: „Wenn ich still sitze, werde ich unruhig und nervös. Ich muss immer etwas tun.“ 

Erst als ihn Krankheiten im hohen Alter plagten, wurde es ruhig und ruhiger um den Sohn eines neapolitanischen Metzgermeisters. Die Topwettbewerbe verfolgte er bloß noch aus der Ferne, von seinem Krankenbett aus. Vor ein paar Wochen wurde bereits schon einmal – fälschlicher Weise – sein Tod verkündet, er nahm es mit Humor und sagte, die Nachrufe müssten noch ein „bisschen warten.“ Nun aber ist Nicholas James Bollettieri doch mit 91 Jahren verstorben, eine der einprägsamsten, unterhaltsamsten, indes auch umstrittensten und polarisierendsten Figuren seines Sports. 

Welch ein Leben liegt hinter dem schillernden Übungsleiter, der einst zum Tennis kam, weil er sein Jurastudium nicht zu Ende bringen konnte. Seine 1978 gegründete Ausbildungsstätte in Bradenton, über 420.000 Quadratmeter umfassend, wurde zur Anlaufstation für die größten Talente des Planeten – und zum Sprungbrett von Karrieren wie etwa denen von Andre Agassi, Jim Courier, Monica Seles, Maria Sharapova oder auch Tommy Haas und Sabine Lisicki. Bollettieri war die Zentralfigur dieses Schleifer-Imperiums, unverwechselbar in seiner Erscheinung: Ein gnadenlos guter Selbstverkäufer und -vermarkter, der am liebsten fotografiert und gefilmt wurde, wie er mit freiem Oberkörper und bronzefarben getönter Haut die Anweisungen erteilte. Was auch nicht fehlen durfte: Die vollverspiegelte Sonnenbrille, selbst an regnerischen Tagen. Er trug sie auch, als er zwischenzeitlich für die Belange von Boris Becker verantwortlich war – erst höchstselbst, dann als Dirigent aus dem Hintergrund, der Coaches seiner Akademie wie den (ebenfalls schon verstorbenen) Mike dePalmer an die Seite des Deutschen stellte.

Agassi verließ Bollettieri im Zorn

Bollettieri hatte stets glühende Anhänger unter seinen Eleven, aber auch Superstars, die ihn im Zorn verließen. Dazu zählte, schmerzlich für den Übercoach, auch sein Ziehkind Agassi, das später urteilte, die Zeit in Bollettieris Camp habe angemutet „wie in einem Gefangenenlager.“ John McEnroe bezeichnete ihn als „Scharlatan“, der nichts vom Tennis verstehe. Andere wie Maria Sharapova erklärten, Bollettieri sei die entscheidende Inspiration in ihrer Karriere gewesen, die treibende Kraft beim Versuch, in die Weltspitze aufzusteigen: „Er hat nie nachgelassen in seinem Glauben an mich, er war ein ewiger Kraftquell.“ Tommy Haas, der mit zwölf Jahren in die Tennisschule des Kindes italienischer Auswanderer gekommen war, sprach davon, Bollettieri habe ihm die beste Möglichkeit gegeben, „meinen Träumen zu folgen.“

Was auch immer über Bollettieri geredet und geschrieben wurde, seine Erfolgsbilanz sprach für sich: Mehr als zehn Nummer eins-Spieler durchliefen seine harte Drillstätte, auch die Williams-Schwestern Venus und Serena waren in jungen Jahren zu Gast bei dem „Mann mit der seltsam goldenen Haut“ (New York Post). Anfang und Mitte der 90er Jahre, auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft, standen mitunter drei Dutzend aktuelle und ehemalige Schützlinge in Grand Slam-Hauptfeldern. Erst eine kleine Ewigkeit später, anno 2014, wurde er in die Tennis Hall of Fame aufgenommen, in die Ruhmeshalle seines Sports. Bei der Zeremonie überkam ihn die Rührung, er sagte, nun wisse er, wie es sich anfühle, „den Mount Everest zu erreichen.“ Umso mehr, da er, der Autodidakt, sich immer wie ein geduldeter Außenseiter unter vielen Tennis-Gelehrten und etablierten Kräften fühlte. „Ich hatte zuletzt nicht mehr geglaubt, dass mir diese Ehre erwiesen wird“, so Bollettieri.

Rastlos machte er ehemalige Fallschirmjäger und Army-Leutnant weiter, kümmerte sich mit seiner achten Ehefrau Cindi nebenher auch noch um die Erziehung seiner Adoptivsöhne Giovanni und Giacomo. Denen allerdings sah er am liebsten nicht beim Tennis zu, sondern beim Fußball spielen. 

von Jörg Allmeroth

Mittwoch
07.12.2022, 18:15 Uhr
zuletzt bearbeitet: 07.12.2022, 10:56 Uhr