"Geboren, um zu gewinnen"

Der Serbe ist mit dem Wimbledonsieg und der Besteigung des Tennisthron am Ziel seiner Träume angekommen. Ein Ende seiner Erfolgsserie ist aber noch lange nicht in Sicht.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 04.07.2011, 11:26 Uhr

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Von Jörg Allmeroth

Als Novak Djokovic im Frühling seine Siegesserie in dieser Paradesaison gerade beschleunigte, da nahm er sich in Los Angeles mal Zeit für ein ausgedehntes Foto-Shooting. Bald darauf war der serbische Star in Hochglanzmagazinen rund um die Welt zu sehen: Als cooler Playboy in einem alten Chevy-Cabriolet, als leicht verwegener Rockertyp auf einer Harley Davidson und eben auch in gespielt arroganter Pose als römischer Feldherr, vollgepackt mit klirrender Metallrüstung.

„Er macht den Serben so viel Freude“

Und so wie er sich da der Welt zum schönen Schein präsentierte, wie eine Kampfmaschine ohne Angst und Furcht, die bereit ist, es mit ganzen Heerscharen von Gegner aufzunehmen, so erscheint er nun auch im Profizirkus der besten Tennisspieler: Djokovic, der neue Wimbledon-Champion und neue Ranglisten-Erste, ist der fast unangreifbare Imperator der Hochgeschwindigkeitsbranche – und der Mann, der dem Tourbetrieb seine Macht und spielerische Herrlichkeit aufzwingt. „Der Djoker ist der Kopf einer neuen Weltordnung“, titelte der „Independent“ am Tag nach Djokovic brachialem Vier-Satz-Sieg über den ratlosen Rivalen Rafael Nadal auf dem Centre Court des All England Club. „Stählerne Striktheit“ attestierte dem 24-jährigen Belgrader der „Guardian“, ein Tribut an Djokovics hartnäckigen Erfolgsmarsch in dieser Spielzeit, in der er 48 von 49 Matches gewonnen hat.

Daheim in Serbien war Djokovic, der Held des letztjährigen Davis Cup-Sieges gegen Frankreich, nun endgültig zum modernen Nationalheiligen aufgestiegen. „Das ist der größte Tag in der neueren serbischen Geschichte“, jubilierte auf der Terrasse des Spielerzentrums am Sonntag Außenminister Vuk Jeremic, „Novak ist der beste Botschafter, den man sich vorstellen kann. Er hat unserem Land ein sympathisches, erfrischendes Gesicht gegeben.“ Für die Wiedersehensfeier mit dem Wimbledon-Champion wurden Hunderttausende Menschen in Belgrad erwartet, Staatspräsident Boris Tadic, ebenfalls Augenzeuge des historischen Triumphs von Djokovic, kündigte eine „besondere Ehrung“ und eine „rauschende Party“ an: „Wir sind einfach nur stolz auf diesen jungen Mann. Er macht den Menschen in Serbien so viel Freude.“

Bestes Halbjahr aller Zeiten

Der Tenniswelt dagegen jagt der „Djoker“ Angst und Schrecken ein, seit er sich als Profi auch professionell organisiert hat und jetzt mit einem Spitzenteam aus Dienstleistern um die Welt jettet. Trainer, Physiotherapeut, Konditionscoach und einen Ernährungsberater bezahlt der millionenschwere Himmelsstürmer inzwischen, der früher gern mal Fünfe gerade sein ließ und seine mangelnde Ernsthaftigkeit mit bitteren Niederlagen bezahlt bekam. Seine Servicetruppe, zuweilen auch durch persönlichen Schlägerbespanner verstärkt, half ihm entscheidend mit auf dem Weg nach oben. Doch die letzten, alles entscheidenden Schritte konnte er nur gehen, weil er eins realisierte: Um zu den Titanen Federer und Nadal aufzuschließen, musste er selbst so ein Titan werden, ein Mann mit eiskalten Nerven, überragender Physis und Konstanz auf höchstem Niveau.

Getäuscht hatte er sich da nicht: Um sich sein altes, magisches Karriereziel zu erfüllen, den Sprung auf Platz eins, musste er tatsächlich im ersten Halbjahr 2011 diesen unglaublichen Triumphzug über Kontinente und Turnierschauplätze hinlegen. Historisch war das allemal, nie nämlich hatte ein Spieler zu diesem Zeitpunkt der Saison nun so viele Ranglistenpunkte wie Djokovic, der ins seriöse Fach gewechselte Spaßvogel. Auch Nadal und Federer versetzte er - selbstgewiss auf der Überholspur brausend- regelmäßige Hiebe, acht von neun Matches gewann er 2011 gegen die Granden, scheiterte nur im Pariser Halbfinale am Schweizer Maestro. „Roger und Rafa – das haben wir jahrelang gehört. Jetzt ist alles Novak, Novak. Novak“, sagte Djokovics Mutter Dijana am Sonntagabend. Da klangen noch der Frust und Ärger und die Bitternis der letzten Jahre nach, eine Zeit, in der Djokovic als „dritter Mann“ abgekanzelt worden war, der es niemals mit den Großmeistern würde aufnehmen können.

„Gras fressen, um Wimbledon zu gewinnen“

„Chompion“ nannte das Schmuddelblatt „Sun“ den neuen mampfenden (chomp) Regenten Wimbledons, der in einer Augenblickslaune nach dem Matchball ein paar Grashalme in den Mund steckte und dann auch tapfer herunterschluckte. „Ich fühlte mich wie ein Tier dabei“, sagte Djokovic später zur Belustigung der Pressemeute. Aber irgendwie kam einem dabei der Spruch eines Mannes in den Sinn, der als 17-jähriger einst Wimbledon verzaubert und in seinen Bann gezogen hatte - der Spruch Boris Beckers , der gesagt hatte, man müsse „notfalls Gras fressen, um Wimbledon zu gewinnen.“

Im übertragenen Sinne traf das zweieinhalb Jahrzehnte später auch auf Djokovic zu: Zwei unglaubliche Spieler und Athleten hatte er einst vor sich, Federer und Nadal, doch in seiner Hartnäckigkeit und in seinem Ehrgeiz ließ er sich nie wirklich bremsen. „Ich bin oft hingefallen, aber stärker aufgestanden“, sagte Djokovic am Sonntagabend, als seine Mission vollendet war, mit einem fabelhaften Doppelschlag binnen 48 Stunden, dem Sprung auf den Ranglisten- und den Wimbledon-Gipfel. Die Warnung an den Rest der Welt folgte umgehend, die Warnung, dass er, der Imperator, nun erst recht Lust an der Macht bekommen hat: „Ich bin dafür geboren, weitere Titel zu gewinnen.“ Beim abendlichen Talk in der BBC-Kultsendung „Today at Wimbledon“ nahm Becker, der deutsche Star der Vergangenheit, diesen Ton auf: „Der 3. Juli 2011 ist eine Zäsur im Tennis. Djokovic ist jetzt das Maß der Dinge. Und er wird noch viele große Siege feiern. Auch hier in Wimbledon.“

Und hier noch ein paar Fakten zu Novak Djokovic:

BIG BUSINESS:Zusammen mit seinem Onkel Goran dirigiert Novak Djokovic in Belgrad die Geschäfte des Unternehmens „Family Sports“. Die Firma beschäftigt inzwischen 150 Menschen, organisiert das ATP-Turnier in Belgrad, betreibt drei Restaurants und eine Tennis-Akademie mit angeschlossenem Fitnesscenter.

DIPLOMAT:Seit dem Davis Cup-Sieg mit dem serbischen Team im letzten Dezember besitzt der Nationalheld einen Diplomatenpass. „Das Mindeste, was wir für Novak tun können, ist, ihm das Reisen durch die Welt zu erleichtern“, sagte am Sonntagabend in Wimbledon Außenminister Vuk Jeremic.

QUALITÄTSTESTER:Kurz nachdem Djokovics Eltern ihren Sohn in die Tennisakademie von Niki Pilic nach München geschickt hatte, ließ der Traineraltmeister Wimbledonchampion Goran Ivanisevic einfliegen, um den jungen Burschen zu testen. „Goran hat ihm 20, 30 Minuten lang die Bälle rübergeprügelt wie ein Wahnsinnniger“, sagt Pilic, „und Novak hat nichts verschlagen. Das war schon fast unnatürlich für einen Teenager.“

ENGE BANDE:Djokovic ist bestens mit Deutschlands Damentennis-Frontfrau befreundet. Die beiden drehten zuletzt auch ein Filmchen in der „Petkorazzi“-Serie der Darmstädterin. Bei den French Open in Paris prophezeite Djokovic der Deutschen und sich selbst den Turniersieg: „Ich hatte das geträumt.“

NOCH EIN DJOKOVIC:Vielleicht bekommt das Herrentennis irgendwann einen „Brother Act“: Denn Novak Djokovic jüngerer Bruder Djordje gilt als Riesentalent und zweiter potenzieller Superstar aus der Familie. Auch Djordje trainierte schon in der Ausbildungsschmiede von Pilic in München. „Er ist in seinem Alter weiter als ich“, sagt Novak Djokovic über den 15-jährigen.

ENTDECKERIN:Die Frau hat ein gutes Auge, keine Frage. Jelena Gencic war einst nicht nur die treibende Kraft hinter der Tenniskarriere einer gewissen Monica Seles, sondern auch die erste Trainerin von Djokovic. „Ich habe gleich gemerkt, dass er ein außergewöhnliches Talent hat“, sagt die Lehrerin, „er war schon früh auf ein Ziel fixiert. Die Nummer 1 der Welt zu werden.“

FREUNDIN:Djokovics Freundin seit 2005 ist Jelena Ristic. Die Brünette zählt nicht zu der Spezies von Tennisfrauen, die wochen- und monatelang mit den Profis durch die Welt reisen und etwa durch exzessive Shoppingtouren auffallen. Die Belgraderin studiert Wirtschaftswissenschaften. „Es ist wichtig und gut, dass sie ihr eigenes Leben führt. Sie hat selbst hohe berufliche Ambitionen.“(Foto: Jürgen Hasenkopf)

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Montag
04.07.2011, 11:26 Uhr