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"Ein Hometown-Hero wäre schön"

Die Australian Open setzen seit Ende der 1980er-Jahre traditionell das erste Highlight eines Tennis-Jahres. Wie zu jedem Grand-Slam-Turnier hat tennisnet auch vor den am kommenden Montag beginnenden "Aussie Open" einige dringende Themen in größerer Runde besprochen. Im Tennis-Panel diesmal dabei: Andrej Antic (Chefredakteur "TennisMAGAZIN"), Jörg Allmeroth (tennisnet), Marcel Meinert (SKY), Christian Schwell ("Sandplatzgötter"), Oliver Faßnacht (Eurosport/DAZN), Markus Theil (Eurosport), Florian Regelmann (SPOX) und Alexander Antonitsch (Eurosport).

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 13.01.2017, 13:59 Uhr

Andy Murrays Turnier-Sieg bei den Australian Open steht noch aus

Teil 2: Die Lage bei den Herren

Novak Djokovic besiegt Andy Murray im Finale von Doha - welche Rückschlüsse darf man aus diesem Match für die Australian Open ziehen?

Alexander Antonitsch (Eurosport): Für mich geht der Titel nur über Murray oder Djoker. Wobei ich trotz Finalniederlage in Doha Murray leicht vorne hätte.

Jörg Allmeroth (tennisnet): Novak Djokovic hat in Doha wiederbelebt gewirkt. Mit neuer Lust aufs Tennis. Allerdings sieht man auch, unter welchen Druck ihn der eigene Ehrgeiz setzt. Sein Ballschlagen ins Publikum im Finale in Doha hätte bei manch anderem Spieler und in einer anderen Runde tatsächlich für eine Disqualifikation sorgen können. Er ist für mich der Favorit in Australien. Trotz der schwierigen Auslosung mit Verdasco gleich in Runde eins!

Marcel Meinert (SKY): Djokovic war ja nie wirklich weg von den Favoritenlisten, aber er scheint wieder etwas fokussierter und auch aggressiver zu sein. Der Sieg über Murray war sicherlich eine Kampfansage vom Djoker, aber auch Murray hat seinen Teil zu einem epischen Match beigetragen. Dennoch ist ein Finale "Djokovic - Murray" keinesfalls ausgemacht, dafür hat die Konkurrenz zu sehr aufgeholt.

Das Tennis-Panel zu den Australian Open, Teil 1: "Für Serena ist der Titel diesmal nicht drin"

Florian Regelmann (Spox): Ich war mir nicht ganz sicher, wie Djokovic in 2017 reinkommt, nach dem Match hab ich zugegeben etwas Angst um meinen "Andy gewinnt alle 4"-Tipp bekommen. Vor allem, wie er es im 3.Satz dann zu Ende gespielt hat, war groß. Der einfachste Rückschluss ist, dass wir uns in Melbourne potentiell auf eine epische 6-Stunden-Schlacht freuen können.

Christian Schwell (Sandplatzgötter): Ich habe gesehen, dass Nole wieder Biss hat und mit Murray auf Augenhöhe agieren kann. Und dass ein Finale zwischen genau diesen beiden Spielern zu den wahrscheinlicheren Varianten gehört.

Oliver Faßnacht (Eurosport/DAZN): Beide haben den Willen, sind fit und hochmotiviert - das gibt ein Re-Match im Finale. Auf der einen Seite: Die Rückkehr von Dušan Vemić gibt Djokovic ein besonders gutes Gefühl und neuen Halt. Auf der anderen Seite: Ivan Lendl wird Murray die Marotten von Doha austreiben und ihn perfekt einstellen.

Markus Theil (Eurosport): Es war so ausgeglichen, dass es da nicht viel zu interpretieren gibt. Djojkovic hat kleine Schwächen beim Ausservieren im zweiten Satz gezeigt, dann aber im dritten Satz bewiesen, dass er das auch gegen die Nummer Eins weg stecken kann. Generell aber ist Doha zwar ein 250er-Turnier, aber eben doch nur ein Vorbereitungsturnier, wo es bei Djokovic und Murray ums Prestige ging, aber nicht um eine groß angelegte Standortbestimmung für Melbourne.

Roger Federer schlägt beim Hopman Cup Evans und Gasquet glatt, verliert knapp gegen Zverev. Ist der Maestro schon so weit, dass er wieder ganz vorne mitspielen kann?

Oliver Faßnacht (Eurosport/DAZN): Best-of-Five könnte ihm zum Verhängnis werden. Die Ansätze sind gut, aber sein Spiel bleibt anfällig, ist nicht konstant genug.

Andrej Antic (tennisMAGAZIN): Ich glaube, Federer ist richtig gut trainiert. Das ist das, was ich von vielen Leuten gehört habe. Er hat mit viel Akribie trainiert, und ich glaube auch, wenn es gut läuft, wird er in den ersten Runden gar nicht so viel Kraft lassen. Spielerisch ist er von den Top Ten ohnehin nicht weit weg. Ich traue Federer auf jeden Fall das Viertelfinale zu.

Markus Theil (Eurosport): Federer ist immer - überall - alles zuzutrauen. Punkt. Widerspruch verboten.

Christian Schwell (Sandplatzgötter): Federer ist definitiv immer noch konkurrenzfähig, habe ich aber auch nicht anders erwartet. Ich glaube auch, dass sein Ego und Selbstvertrauen weniger erfolgreich bestrittene Matches braucht, als es z.B. bei einem Rafa Nadal der Fall ist. Er muss die ersten Runden mit möglichst wenig Kunstpausen (Satzverlusten) überstehen, gegen zwei Qualifikanten sollte das möglich sein.

Florian Regelmann (Spox): Ich will es glauben, deshalb ist die Antwort: ja. Auf mich hat er einen extrem guten Eindruck gemacht, er will nochmal, das ist klar, er will. Es ist auch nicht die Frage, dass er weit kommen kann. Natürlich kann er. Die Frage ist, was passiert, wenn er gegen Nole oder Andy spielt und es dann in die kritischen Phasen geht? Das ist einzig eine Frage des Kopfes, weil das jetzt länger nicht mehr funktioniert hat. Das ist der Moment, in dem er sich hoffentlich noch mal beweisen wird, dass er auch die beiden immer noch schlagen kann.

Alexander Antonitsch (Eurosport): Bei Roger würde es mich sehr freuen. Aber normales Turniertennis und Best-of-Five bei den Australian Open kann man nicht vergleichen. Die Auslosung passt soweit. Ich bin sehr gespannt, wie weit er wirklich ist. Ich sehe übrigens auch Rafa noch nicht soweit, um am letzten Wochenende noch dabei zu sein.

Marcel Meinert (SKY): Ich würde es mir als alter Tennis-Romantiker wünschen. Spannend bleibt, wie der Körper auf die Belastungen nach dieser langen Pause bei Grand Slam-Turnieren reagiert. Am Kopf und der nötigen Lockerheit sollte es nicht scheitern. Auch von der Auslosung wird viel abhängen. Das Viertelfinale wäre bereits ein Riesenerfolg.

Jörg Allmeroth (tennisnet): Nein. Federer wird gut spielen. Aber ich denke, dass er nicht übers Viertelfinale hinauskommen wird. Ihm drohen wegen seines aktuellen Rankings schon früh dickste Brocken.

Alexander Zverev hat die letzte Saison früher beendet, an seiner Physis gearbeitet. Was muss eintreten, dass die deutsche Nummer Eins in Melbourne weit kommt? Wer sollte nicht auf seinen Ast zugelost werden?

Marcel Meinert (SKY): Da gibt es Einige, die man gerne vermeiden möchte, aber es macht keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen jetzt zu überlegen, gegen wen man früher und wen man später spielen möchte. Sascha muss seinen Weg Schritt für Schritt weitergehen und das macht er bisher hervorragend. Melbourne wird einen ersten Aufschluss darüber geben, in wie weit er körperlich in der Saisonvorbereitung einen kleinen oder einen großen Schritt nach vorne gemacht hat. Mit seinen Stärken kann er jeden Gegner bin Gefahr bringen. Spielerisch würde ich mir für 2017 wünschen, dass er noch offensiver wird und häufiger ans Netz geht.

Oliver Faßnacht (Eurosport/DAZN): Kurz gesagt: Nadal, Dimitrov, Raonic ... und natürlich : Thiem. Und gegen Nadal könnte es ja schon recht früh gehen.

Jörg Allmeroth (tennisnet): Zverev schreitet gut voran in seiner Entwicklung. Er ist einer der dark horses im Feld. Natürlich möchte jeder Murray und Djokovic so lange wie möglich meiden, dazu auch noch Raonic. In dieser Hinsicht hat er es ja nicht schlecht getroffen.

Alexander Antonitsch (Eurosport): Vom Tennis her kann Sascha ja bereits fast jeden Topspieler bezwingen Die Auslosung mit Nadal schon früh hat es nicht so gut mit ihm gemeint. Die zwei entscheidenden Fragen: Wie viel Kraft lässt er in den ersten Runden und wie oft kann er Topleistungen bei einem Turnier abrufen.

Markus Theil (Eurosport): Es ist doch eh schon toll, welche Erwartungen man mit Zverev verbindet! Da darf er aus meiner Sicht auch früher verlieren, die Tenniswelt ist so eng beisammen. Ich schaue bei ihm auf die langfristige Entwicklung im körperlichen und mentalen Bereich und nicht jetzt schon auf die Ergebnisse bei den Grand Slams.

Christian Schwell (Sandplatzgötter): Genau diese verbesserte Physis muss so weit entwickelt sein, dass er sein enormen spielerischen Fähigkeiten über mehrere Best-of-Five-Runden einigermaßen konstant ausspielen kann. Denn dann kann er mit den Allermeisten mehr als mithalten. Er profitiert zunächst davon, diesmal gesetzt zu sein, ab einer dritten Runde wäre er natürlich trotzdem auch vom Losglück und Turnierverlauf abhängig, um die ganz dicken Brocken zu vermeiden. Frühe mögliche Stolpersteine? Gegner, bei denen das Publikum stark ins Spiel kommt. Lokalmatadore oder andere Profis mit lautstarker Anhängerschaft wie z.B. ein Marcos Baghdatis.

Andrej Antic (tennisMAGAZIN): Also, die großen Namen und die großem Plätze liegen ihm sogar besser, als wenn er irgendwo weit draußen gegen, sagen wir mal, einen Dimitrov spielen müsste. Nishikori ist natürlich auch ein Spielertyp, wo Zverev Probleme bekommen könnte.

Florian Regelmann (Spox): Ich sehe im Moment nicht mehr als eine dritte Runde für Zverev. Ich sehe zum Beispiel nicht, dass er da dann Nadal schlägt. Oder Berdych. Vielleicht beweist er mir das Gegenteil, wäre ja schön, aber noch traue ich ihm das nicht zu.

Dominic Thiem verliert in Brisbane gegen Dimitrov, geht an Position Acht gesetzt ins Rennen. Was muss sich im Spiel von Thiem verbessert haben, damit er in einem Best-of-Five-Match auch gegen die ganz Großen eine Chance hat?

Alexander Antonitsch (Eurosport): Struff ist natürlich gleich eine schwierige Aufgabe. Die ersten beiden Turniere waren sicher nicht so, wie Dominic sich das vorgestellt hat. Er liebt es ja, mit vielen Matches zu einem Slam zu kommen, umso wichtiger wird es sein, gut ins Turnier zu starten. Phasenweise hat er auch schon richtig gutes Tennis gezeigt , es war aber einfach noch zu unkonstant. Wenn er seine Setzung bestätigt wäre es super!

Florian Regelmann (Spox): Für mich ist es bei Thiem eine mentale Geschichte. Er kommt jetzt in die Phase, dass es "normal" ist, dass er in den Top 10 steht. Jetzt muss der nächste Schritt her, jetzt muss vom Anspruch eben mal ein Grand-Slam-Halbfinale und jetzt müssen größere Siege her. Das kann er nur schaffen, wenn er im Kopf bereit dafür ist.

Jörg Allmeroth (tennisnet): Wahrscheinlich muss er das Netzspiel verbessern. Um unter ungünstigen bedingungen Ballwechsel auch mal abzukürzen, sollte man Vertrauen in sein Offensivspiel haben - und dieses Vertrauen auch in Punkte umsetzen.

Marcel Meinert (SKY): Da geht es wohl mehr um Details, als um einen speziellen Schlag, vor allem aber um das nötige Selbstvertrauen. Ihm fehlt in wichtigen Momenten vielleicht noch manchmal das Selbstverständnis eines Top 10-Spielers und der Glaube an einen ganz großen Sieg (vor allem auf Hartplatz). Körperlich scheint er in guter Verfassung zu sein, er sollte sich aber noch nicht zu viel Druck machen. Das Erreichen der 2.Woche wäre sicher ein gutes Resultat, mit weniger kann ein Top 10-Spieler aber auch schon nicht mehr zufrieden sein...

Christian Schwell (Sandplatzgötter): Meiner Meinung nach hat er gegen einen Murray oder Djokovic in Grand-Slam-Topform immer noch nur wenig Chancen. Gegen alle anderen hat er mittlerweile Chancen, wenn er es schafft (Achtung Phrasenschwein) in frühen Runden Körner zu sparen und im direkten Vergleich zu den Ranglisten-Nachbarn seine herausgespielten (Break-)Möglichkeiten konsequent zu nutzen.

Markus Theil (Eurosport): Das sind Nuancen, die man nicht in ein, zwei kurze Sätze fassen kann. Statistisch gesehen sicherlich eine höhere Quote bei Returnspielen. Da liegt er relativ deutlich hinter den ganz Großen, aber auch hinter Spielern, die er in den Matches dann beherrscht. Oder vielleicht doch Boris Becker als Assistenten von Günter Bresnik verpflichten, wenn der nicht für uns am Mikro ist?

Analoge Frage zu den Damen: Wer außerhalb der ersten Zehn könnte bis tief ins Turnier hinein dabei sein?

Jörg Allmeroth (tennisnet): Für das Turnier wäre ein Hometown-Hero schön. Nick Kyrgios hat das spielerische Potenzial, um ein Grand Slam-Sieger. Aber hat er auch da mentale Potenzial? Das kann man, Stand jetzt, noch nicht mit Ja beantworten. Aber er kann vielen, sehr vielen sehr große Schwierigkeiten machen. Ansonsten wünschte man sich unter ästhetischen Motiven auch eine Renaissance von Grigor Dimitrov.

Oliver Faßnacht (Eurosport): An Dimitrov glaube ich auch. Dazu noch Steve Johnson und Fernando Verdasco.

Marcel Meinert (SKY): Ich bin auch gespannt, ob Nick Kyrgios endlich mal seine Nerven in den Griff bekommt und die Aussies mal nachhaltig begeistern kann. Wenn er irgendwo für den großen Knall sorgen kann, dann in seiner Heimat. Dimitrov hat Brisbane endlich mal ein dickes Ausrufezeichen gesetzt. Wenn er diese Leistungen jetzt bestätigt, kann er richtig gefährlich werden.

Andrej Antic (tennisMAGAZIN): Kyrgios! Auch für mich.

Christian Schwell (Sandplatzgötter): Bei Federer würde ich das nie ausschließen, auch wenn ich überrascht wäre. Weitere Kandidaten sind für mich Kyrgios (wenn Kopf und Körper mitspielen und er so aufschlägt wie beim Hopman Cup) und Dimitrov (wenn er weiter wie in Brisbane spielt).

Florian Regelmann (Spox): Schon lustig, wenn man da jetzt Federer sagen könnte... Aber da Federer gefühlt für immer Top-5 stehen wird, gilt das nicht. Ohne del Potro kann man bei den Herren auf jeden Fall nicht weit nach hinten gehen im Ranking, den verrückten Halbfinalisten wird es einfach nicht geben. Ich bin 2017 besonders auf Lucas Pouille gespannt, für mich hat er von allen Youngsters die beste Zukunft vor sich - und das lässigste Spiel.

Alex Antonitsch (Eurosport): Ich hab auch immer Wawrinka auf der Rechnung, wenn er mal in der zweiten Woche ist. Auch wenn der natürlich generell zu den Favoriten zählt und längst Top Ten ist.

Markus Theil (Eurosport): Wenn ich mich auf vier festlegen muss: Tsonga (erstmals unverletzt in die Vorbereitung gegangen! Wird Vater, das heißt er hat das Wichtigste im Leben bald erreicht), Pouille (das haben wir ja bei den US Open gesehen, aber bei ihm ist das Körperliche eine unberechenbare Komponente bei den Temperaturen), Dimitrov war überzeugend, aber mein Hot-Shot-Tip ist Fernando Verdasco. Der will unbedingt wieder zurück nach oben, hat mit Nacho Truyol wieder zu seinem früheren Coach zurückgefunden, hat durch einen neuen Physio seine Nackenprobleme in den Griff bekommen - und hat mich in Doha überzeugt Da ich schon seit seiner Cosmopolitan-Kampagne zu ihm aufschaue, gönne ich ihm ein sentimentales Comeback bei den Australian Open, wer erinnert sich nicht an das Drama gegen Nadal? Dass er nun wieder gegen Djokovic spielen muss, gegen den er gerade fünf Matchbälle vergeben hat, ist schon spannend.

Andrej Antic (tennisMAGAZIN): Und ich habe auch noch einen Deutschen: Jan-Lennard Struff kommt in die dritte Runde! Keine guten Nachrichten also für die österreichischen Tennisfans.

von Jens Huiber

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13.01.2017, 13:59 Uhr