Peter Lehrner im Interview, Teil I: „Ich war immer ein Materialfetischist“

Seit über 45 Jahren bespannt Peter Lehrner Schläger für die besten Tennisspieler der Welt. Im ersten Teil des Interviews mit tennisnet.com verrät der Niederösterreicher, wie sich dieser Bereich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt hat und was in diesen Jahren die ganz großen Herausforderungen für ihn als Bespanner waren.

von Michael Rothschädl
zuletzt bearbeitet: 14.06.2021, 17:02 Uhr

Peter Lehrner hat so manches Jahr an Erfahrung im Schläger-Tuning vorzuweisen
Peter Lehrner hat so manches Jahr an Erfahrung im Schläger-Tuning vorzuweisen

Herr Lehrner, Sie bespannen seit 45 Jahren Tennisschläger. Was war der kurioseste Schläger, den Sie in dieser Zeit besaitet haben?

Eigentlich hat es für mich bereits vor fünfzig Jahren begonnen, weil ich als junger Spieler immer wieder mit Schlägern und Saiten experimentiert habe. 1976 habe ich dann meine erste Bespannmaschine gekauft. Wenn ich jetzt aber an die größten Kuriositäten denke, dann fällt mir auf jeden Fall der Wilson T2000 von Jimmy Connors ein. Das war der Rahmen, der sicherlich am schwierigsten zu bespannen war. Den konnte man ohne Anleitung nicht bespannen. Wenn man diesen dann auswendig konnte, dann war das schon so etwas wie die Meisterprüfung.

Ebenfalls kurios war diese doppelseitige Spaghetti-Bespannung. Da gab es einen Deutschen, Werner Fischer hat der geheißen, der hat eine Methode entwickelt, bei der bei den Längssaiten immer zwei Saiten durchgezogen wurden und nur wenige Quersaiten verwendet wurden. Beweglich hat er das dann mit Gummiringerln gemacht und das hat dazu geführt, dass die Längssaiten auf der Quersaite enorm gearbeitet haben und gerutscht sind und so dem Ball einen wahnsinnigen Drall gegeben haben. Das war damals auch ein Grund, dass (Guillermo Anm.) Vilas nach 53 Siegen auf Sand gegen (Anm. Ilie) Nastase verloren hat, weil der mit dieser Bespannung gespielt hat. Das war dann nur noch Topspin von drei, vier Metern hinter der Grundlinie und Flugbahn ohne Ende. Im Endeffekt hat es dazu geführt, dass der Verband das verboten hat und begann, das Saitengeflecht zu reglementieren.

Das war dann schon so etwas wie die Meisterprüfung.

Lehrner über seinen anspruchsvollsten Rahmen. 

In diesen 45 Jahren ist wohl nicht nur einigermaßen viel Kurioses geschehen, es hat sich bestimmt einiges verändert. Wie hat sich der Tennissport in Hinblick auf die Saiten im letzten halben Jahrhundert weiterentwickelt?

Der wirklich entscheidende Schritt war die Möglichkeit, Polyester aus dem Extruder rauszuziehen. Die Polyestersaiten haben das Ganze sehr stark verändert. Bis 76, 77, teilweise sogar 1980 wurde nur Naturdarm gespielt, weil die Kunststoffsaiten damals noch nicht so weit waren. Ich selbst habe sogar einmal mit Drahtsaiten experimentiert. Als junger Spieler jedes Mal 600 Schilling für die Bespannung zu bezahlen, da hat mein Vater bald einmal gestreikt. Dann haben wir das mit einem dünnen Draht versucht, aber das haben die Bälle dann wieder nicht ausgehalten. Die waren nach einer gewissen Zeit ohne Filz. Der Naturdarm ist aber nach wie vor das hochwertigste und elastischste Grundmaterial.

Nur im Zuge der Entwicklung der Schläger – es wurde ja auch an der Schlägerfront enorm viel verändert -  waren die Naturdarmsaiten irgendwann nicht mehr haltbar genug, um mit den vergrößerten Schlagflächen zu funktionieren und haben das hohe Bespanngewicht zum Teil nicht ausgehalten. Für viele Hobbyspieler, die in dieser Zeit ins Tennis gekommen sind, war es außerdem eine Kostenfrage. Und da war dann eben die Polyestersaite sehr beliebt, allen voran die der Firma Kirschbaum, die 1987 begonnen hat, den Markt aufzumischen.

Aus dem Polyesterbereich sind dann natürlich auch Firmen gekommen, die Naturdarmsaiten nachbauen wollten, die mit Multifilamenten gearbeitet haben. Hier kann man die Firma Isosport erwähnen, die 1989 begonnen hat, Tennissaiten zu produzieren und vor allem am Anfang nur mit Polyamidsaiten, das waren so Bändchen, die verdrahtet wurden, gearbeitet hat. Das war ja die Saite mit der der Tom (Anm. Thomas Muster) jahrelang gespielt hat.

Da war Roger Federer sicher einer der ersten. 

Über die Verwendung von hybriden Saiten. 

Der letzte Schrei vom Level der Kunststoffsaiten war dann aber eigentlich die Firma Luxilon, die 1991 begonnen hat. Die sind aus dem Flugzeug- und Medizinbereich gekommen und wurden mit den Saiten durch die Spieler Woodforde und Woodbridge konfrontiert, die australischen Doppelspezialisten. Woodforde hat einen Schläger der Firma Snauwaert  gespielt - mit nur zwölf Längssaiten und auch mit dementsprechend wenigen Quersaiten. Die Reglementierung war dann ja die, dass du nicht 18 Längssaiten und nur fünf Quersaiten machen durftest. Es mussten nämlich die Quadrate in einer gleichmäßigen Form angeordnet sein.

Die von der Firma Snauwaert haben dann gesagt, dass man es gleichmäßig macht, mit zwölf Längssaiten aber nur 13 Quersaiten. Das war aber mit den herkömmlichen Saitenstärken so, dass Woodford gerade einmal zehn Minuten gespielt hat, weil die Saiten so stark verrutscht sind und sich durchgescheuert und durchgebrannt haben. Daraufhin ging also Snauwaert zur Firma Luxilon, die mit Tennis eigentlich gar nichts am Hut hatten, aber eben mit Kunststoffschnüren, und die haben eine 1,6 Millimeter dicke Kunststoffsaite produziert für Woodforde. Damit hat das dann funktioniert. Da haben die von Luxilon Lunte gerochen und haben versucht, ihre Saiten immer dünner und dünner zu machen - mit den Möglichkeiten, die sie hatten. Am Ende ist dann die berühmte Alu Power rausgekommen, die in Wahrheit den Tennismarkt im Topbereich, im Spielerbereich, vollkommen aufgemischt hat. Von den besten 200 haben dann 80% die Alu Power von Luxilon gespielt. Also da war schon ein riesiger Wechsel von Darm zu Monofilsaiten, zu Polyestersaiten, auch im hochprofessionellen Bereich zu beobachten.

Ins Heute hat es sich dann so entwickelt, dass sich die beste Naturdarmsaite, die Babolat VS mit der besten Kunststoffsaite, sprich mit der von Luxilon, bei den Spielern durchgesetzt hat. Da war ganz sicher der (Anm. Roger) Federer einer der ersten, der längs Naturdarm und quer mit der Alu Power rough spielte, was dazu geführt hat, dass die Längssaite auf der Quersaite im Treffmoment ein bisschen arbeiten kann. Die Längssaite gibt im Treffmoment ein bisschen nach, rutscht dann aber wieder zurück. Für Tennisspieler ist es ja unangenehm, wenn die Längssaite zu rutschen beginnt und dann stecken bleibt – also nicht wieder in die Ausgangsposition zurückrutscht. Denn dann bekommt man ein offenes Saitenbild und wenn du den Ball dann auf so einem offenen Bereich triffst, dann hast du in Wahrheit eine Streuung von bis zu einem halben Meter.

Das führt dazu, dass die Topspieler den totalen Kontrollverlust bekommen, denn die würden dann Rallyes mit über 20 Schlägen spielen, in denen bei den letzten fünf Schlägen das Geflecht verrutscht ist. Du kannst ja nicht während dem Spielen die Saiten richten. Die guten Monofilsaiten bzw. die Mischung aus Naturdarm- und Monofilsaiten aber führt dazu, dass die Saite wieder in die Ausgangsposition vom Geflecht zurückrutscht und damit die gesamte Rallye lang die Ballkontrolle beibehalten werden kann. Das ist in Wahrheit der Grund, warum die das so spielen. Darüber hinaus sind die Schmelzpunkte der Monofil- und Naturdarmsaite unterschiedlich, was dazu führt, dass sich die Saite nicht so schnell einkerbt und die Naturdarmsaite wesentlich länger hält. Da hat sich in den Produktionsmöglichkeit natürlich sehr viel getan.

Wenn Sie zurückblicken: Wieso haben Sie sich für die Profession als Besaiter entschieden?

Ich war immer ein Materialfetischist, mir ging es in meiner kurzen aktiven Zeit immer darum, dass die Schläger gleich waren, dass die Bespannung gut war. Ich bin etwa 1971 zur Orange Bowl gefahren und hatte damals einen Vertrag mit der Firma Slazenger und wir haben aus 50 Holzschlägern mit gleicher Griffstärke nur fünf Rahmen gefunden, die gleich schwer waren und den gleichen Balancepunkt hatten. Ich habe das nämlich einfach gespürt, wenn mir ein Schläger gerissen ist und der nächste etwas anders war. Das hat mich irritiert, da habe ich immer ein bis zwei Games gebraucht, um mich daran zu gewöhnen. Wenn das dann aber in einer entscheidenden Phase des Matches passiert, macht dich das als Spieler nervös. Genauso ist es auch mit der Bespannungshärte und der Bespannungsart. Mir war das sehr früh schon sehr wichtig, dass diese Dinge immer gleich waren und gepasst haben.

Als ich dann aufhören musste, weil ich ein Augenproblem bekommen habe, dann bin ich etwas geschwankt, ob ich Trainer werde, oder ob ich mich aufs Sportgeschäft werfe. Nachdem ich da den Roland Gusenbauer kennengelernt habe, hat sich das so ergeben, dass ich in die Sportartikelbranche eingestiegen bin – mit dem Spezialgebiet auf Tennis. Ich war aber auch sehr fanatisch, was den Skiservice betrifft, das ist sehr stark verwandt mit dem Bespannen von Tennisschlägern. Denn auch der beste Schi läuft nicht ohne guten Belag und Kantenschliff. Genau so wird aus einem guten Schläger erst mit der optimalen Saite eine „Waffe“

Und was hält auch 45 Jahre später Ihre Faszination für diesen Beruf noch aufrecht? 

Mir taugt es einfach, wenn ich weiß, dass die Spieler egal welcher Spielklasse, zufrieden sind. Wenn ich den Schläger für sie mache, ihn herrichte und sie berate, was sie verbessern und optimieren können, dann bereitet mir das viel Freude. Außerdem bin ich ein Bastler, ich bin sehr viel handwerklich unterwegs und es macht mir einfach einen Spaß, zu merken ´Hoppla`, dem taugt das und der spielt dann auch besser. Früher im Geschäft war es immer mein oberstes Credo, dass ich den Schläger so mache, als wäre er für mich oder für den Tom. Das ist dann natürlich auch eine gewisse Form der Professionalität, die mir einfach immer wichtig war. Deswegen bin ich wahrscheinlich auch noch dabei und darf auch heute noch einige SpielerInnen begleiten.  

Schlägerservice auf Weltklasse-Niveau bietet Peter Lehrner seit über 40 Jahren in seinem „House of Tennis“ in  Mödling. Alle Infos zum Schlägerservice des Tuningexperten findet ihr hier!

Das Interview mit Peter Lehrner findet sich auch im brandaktuellen Tennismagazin von tennisnet.com. Hier könnt ihr euch euer Exemplar sichern! 

von Michael Rothschädl

Montag
14.06.2021, 20:15 Uhr
zuletzt bearbeitet: 14.06.2021, 17:02 Uhr