"Wahnsinnig bitterer Moment"

Die Deutsche hat nach dem verlorenen Endspiel in Peking sowie mit der Absage in Linz keine Chancen mehr auf einen direkten Startplatz in Istanbul.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 10.10.2011, 09:01 Uhr

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Von Jörg Allmeroth

Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis nach dem obligatorischen Handschlag mit der Schiedsrichterin die Tränen flossen. Es waren Tränen der Enttäuschung bei Andrea Petkovic, die Tränen über den verpassten Turniersieg in Peking, die Tränen über das sichere Scheitern in der WM-Qualifikation, die Tränen nach einem ausgebliebenen Happy-End im bisher vielleicht dramatischsten und wichtigsten Spiel ihrer ganzen Karriere. „Das ist jetzt schon ein wahnsinnig bitterer Moment“, sagte die Darmstädterin, als sie im Endspielduell auf der Olympiaanlage von Peking nur zweite Siegerin gegen die Polin Agnieszka Radwanska geblieben war.

Einen Punkt mehr für Petkovic

101 Punkte für Petkovic zeigte die Matchstatistik später an, 100 für Radwanska, doch die flächendeckende Gewinnerin des Tages war nur die 22-jährige Warschauerin, die sich mit dem 7:5, 0:6, 6:4-Triumph auf dem entscheidenden achten Platz im Rennen für einen der Masters-Plätze in Istanbul festsetzte. Radwanska hatte vor Wochenfrist in ihrer heißen Herbstoffensive schon das Turnier in Tokio gewonnen und damit das Überholmanöver gegen die lange vor ihr platzierten Rivalinnen Marion Bartoli (Frankreich) und eben auch Petkovic eingeleitet.

Da Petkovic noch Sonntagnacht ihre Teilnahme am WTA-Turnier in Linz absagte, bleibt der deutschen Nummer 1 nun keine Chance mehr aufs Mitwirken bei der Weltmeisterschaft. Die große Chance, sich noch einmal im Kreis der Weltelite beim Masters zu messen, vergab sie nach einem lange Zeit grandiosen Auftritt in Pekings Tennis-Olympiastadion mit einer gewissen Leichtfertigkeit. Gerade als die formstarke Radwanska nach dem kräftezehrenden Schwergewichtsduell auf dem Centre Court in den Seilen hing, bei einem 3:4 und 30:40-Rückstand im dritten Satz, verlor Petkovic ihre klare, saubere Linie und machte mit einer Serie von unnötigen Fehlern den Weg frei für ein Comeback der jungen Polin.

„Habe mich selbst geschlagen“

Statt einer 5:3-Führung hieß es plötzlich 4:4 in dem faszinierenden Zweikampf, kurz darauf kassierte die Deutsche ein Break zum 4:5, und noch ein paar Minuten später klatschte dann eine krachende Vorhand Radwanskas genau auf die Linie: Petkovic ließ den Ball durch das „elektronische Auge“ prüfen, doch der unbestechliche digitale Richter bestätigte nur den Triumph für Radwanska – und den geplatzten Titeltraum für Petkovic. „Am Ende habe ich mich irgendwie selbst geschlagen“, befand die Südhessin tieftraurig, die nach derzeitigem Planungsstand nun einzig beim Turnier in Luxemburg übernächste Woche antretren wird. Nach Linz wird die Deutsche allerdings an diesem Montag reisen, um Medien- und Sponsorentermine abzuwickeln.

Der deutschen Nummer eins bleibt so nach der stärksten Saison ihrer Laufbahn und der stärksten Saison einer deutschen Spielerin seit den Zeiten von Steffi Graf und Anke Huber nur der bittere Platz auf der Reservebank in Istanbul – dann, wenn die gegenwärtigen Top 8 der Weltrangliste auch ausnahmslos am Bosporus an den Start gehen. Davon ist allerdings auszugehen, nachdem auch Maria Sharapova, die zuletzt angeschlagene Russin, erklärt hat, ihrem Mitwirken in Istanbul stehe medizinisch nichts im Wege. Durch den Sieg von Radwanska qualifizierten sich an diesem Sonntag automatisch auch noch die Russin Vera Zvonereva und die US-Open-Siegerin Samantha Stosur (Australien) für den finalen Saisonhöhepunkt. Zuvor hatten sich bereits Caroline Wozniacki, Sharapova, Wimbledonsiegerin Petra Kvitova (Tschechien), Victoria Azarenka (Weißrussland) und die Chinesin Li Na ihre Plätze bei dem mit 4,5 Millionen Dollar dotierten Spektakel gesichert.

Weinkrampf im doppelten Finale

Es war eine wahre Tennis-Achterbahnfahrt mit höchsten Höhen und tiefsten Tiefen, nach der Andrea Petkovic letztlich geschlagen am Boden lag – ausgeknockt durch einen eigenen Blackout in den finalen Momenten des 154-Minuten-Thrillers. Dabei hatte sie lange Zeit alle möglichen Schläge in diesem Klassespiel weggesteckt, einen herausragenden Start ihrer Angstgegnerin Radwanska, neue Schmerzen in ihrem noch immer nicht hundertprozentig auskurierten rechten Knie und auch den Verlust des ersten, sage und schreibe 84 Minuten dauernden ersten Satzes.

„Als mir der Schmerz wieder ins Knie fuhr, dachte ich erst: Jetzt ist alles vorbei“, sagte Petkovic später, „aber ich konnte mich dann wieder ins Match zurückfighten.“ Zu Beginn der Behandlungspause durch eine Physiotherapeutin der WTA, beim Stande von 3:4 im ersten Satz, wurde die Darmstädterin freilich noch von einem Weinkrampf geschüttelt, ein Moment, der auch die ungeheure Spannung illustrierte, die über diesem doppelten Endspiel lag – einem Finale um den Titel von Peking und einem Finale um den letzten Platz im WM-Qualifikations-Endspurt.

Tanzeinlage bei der Siegerehrung

Über welche Härte und Willenskraft die beste Deutsche im Wanderzirkus verfügt, war dann im zweiten Satz des artistischen Matchs zu bestaunen. Fast ungerührt vom Malheur des verlorenen Auftaktdurchgangs, legte Petkovic los und reihte Punkt an Punkt – bis nach 25 Minuten der 1:1-Satzausgleich durch ein makelloses 6:0 hergestellt war. Die gnadenlose Präzision, eine abbauende Gegnerin auch bis zum glücklichen Schluss im dritten Satz souverän zu dominieren, kam Petkovic dann aber abhanden – genau bei den wirklichen Big Points auf der Zielgeraden, die ein ganzes Spiel entscheiden können. Statt eines Jubelsturms sank Petkovic, als alles vorbei war, erst einmal deprimiert auf ihre Bank nieder – in der Erkenntnis, mehr als nur dieses eine Match verloren zu haben. Auf ihr Petko-Tänzchen verzichtete die Deutsche gleichwohl nicht, sie animierte bei der offiziellen Siegerehrung Rivalin Radwanska noch zu einer gemeinsamen Einlage.(Foto: GEPA pictures)

von tennisnet.com

Montag
10.10.2011, 09:01 Uhr