„Meine letzte Chance“

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 29.12.2010, 18:08 Uhr

Philipp Oswald hat sportlich ein schwieriges Jahr hinter sich: Als Weltranglisten-206. ins Jahr gestartet, kassierte der 2-jährige Vorarlberger im Einzel 18 Auftakt-Niederlagen und fiel im Ranking bis auf Platz 413 zurück. Deutlich besser lief es hingegen im Doppel, wo er insgesamt fünf Challenger-Titel holte und im Sommer mit Platz 81 sein bisheriges Career High erreichte. Im tennisnet.com-Interview spricht „Ossi“ über Technikumstellungen, finanzielle Schwierigkeiten und seine Ziele für die nächste Saison.

Ende November hast du in London an der ATP-University teilgenommen – was ist dort auf deinem Stundenplan gestanden?

Es war ein Workshop für Spieler, die entweder im Einzel unter den besten 150 sind oder im Doppel zu den Top 100 zählen. Als Member-One-Spieler muss man einmal an dieser Veranstaltung teilnehmen. Das Highlight dabei war sicher am ersten Tag, als wir beim Masters-Finale zwischen Roger Federer und Rafael Nadal live dabei waren. Ansonsten hat es zum Beispiel Vorträge über Regelkunde und die Anti-Doping-Bestimmungen gegeben. Viele Dinge waren uns sowieso schon bekannt, es war aber alles in allem ein netter Ausflug zum Saisonabschluss.

Du hast heuer die zweite volle Saison mit Joachim Kretz trainiert – wie bist du mit deiner Entwicklung seit dem Weggang aus der Südstadt zufrieden?

Im ersten Jahr habe ich mich sehr gut weiterentwickelt und mich in die Nähe der Top 200 gespielt. Heuer hat es leider überhaupt nicht nach Wunsch geklappt: Ich war erstmals in der Situation, viele Punkte aus dem Vorjahr verteidigen zu müssen, habe auch bei größeren Turnieren und auch bei den Grand-Slam-Events Quali gespielt. Es waren zwar immer wieder gute Partien gegen besser platzierte Spieler dabei, aber über das ganze Jahr gesehen, hat mir die Konstanz gefehlt.

Ein gutes Beispiel dafür war dein Auftritt beim Challenger in Astana: In Runde eins hast du mit MikhailKukushkin, der die Woche davor seinen ersten ATP-Titel geholt hat, die Nummer 58 der Welt geschlagen. In Runde zwei war gegen Denis Matsukevitch (ATP 349) Endstation.Wie erklärst du dir diese Leistungsschwankungen?

Das ist reine Kopfsache. Gegen Kukushkin habe ich mir nicht allzu viel erwartet. Im ersten Satz hat er mir dann auch die Bälle um die Ohren gehaut. Danach hab ich volles Risiko genommen, es ist aufgegangen und ich hab das Match nach Hause gebracht. Nach dem Spiel war ich wirklich zufrieden mit der Leistung. Aber ich hab dann sofort wieder zu rechnen begonnen, was mir ein Viertelfinale für das Ranking bringen würde. In solchen Situationen bin ich zu kopflastig, denke viel zu viel nach. Im nächsten Jahr möchte ich auf jeden Fall mit einem Mentaltrainer arbeiten, um diese Schwäche auszumerzen.

Bei deinem Trainingskollegen Martin Fischer wurde zu Beginn sehr viel an der Technik gearbeitet. Hat Joachim Kretz auch bei dir die Technik umgestellt?

Ja, zu Beginn unserer Zusammenarbeit haben wir viel an meiner Technik gefeilt. In der Südstadt haben sie mir immer gesagt, dass der Aufschlag und meine Vorhand die besten Schläge sind. „Jogi“ hat gemeint, dass meine Rückhand technisch der sauberste Schlag ist. Wir haben dann bei der Vorhand viele Kleinigkeiten verändert, an der Beinarbeit gearbeitet und versucht, meine Körperposition zu stabilisieren.

Was hat sich im Vergleich zur Südstadt noch geändert?

Ich habe mit keinem anderen Trainer die Spiele so genau analysiert wie mit „Jogi“. Wir zerlegen die Matches bis ins kleinste Detail – das ist direkt nach der Partie zwar oft anstrengend, aber es gibt uns wichtige Anhaltspunkte. Nur so können wir die taktischen Fehler beheben.

Wie hat sich die finanzielle Situation durch die Heimkehr nach Vorarlberg entwickelt?

Finanziell ist es schwieriger geworden. Vom ÖTV bekomme ich keine Unterstützung mehr. Der VTV hilft uns finanziell, wodurch wir heuer wieder einen eigenen Konditionstrainer haben. Den Rest muss ich aus der eigenen Tasche finanzieren.

Wie schwierig ist es in Österreich, als Tennisprofi um Weltranglisten-Position 400, Sponsoren zu finden?

Mir ist mein Hauptsponsor heuer abgesprungen, und neue Partner zu finden, ist extrem schwierig. Die örtlichen Geschäfte investieren lieber in kleine Fußballvereine, wo bei den Spielen regelmäßig 300 bis 400 Leute zuschauen kommen. Für Sponsoren bin ich als Tennisspieler zu wenig in den Medien vertreten, und ich muss von den Preisgeldern und dem Geld, das ich durch meine Ligaeinsätze verdiene, die Saison finanzieren. Wobei ich heuer mit meinen Vereinen nicht gerade Glück gehabt habe.

UTC Vandans hat sich ja aus der österreichischen Bundesliga zurückgezogen …

… und genauso ist es mir mit Ravensburg in Deutschland gegangen. Im nächsten Jahr werde ich mit Johannes Ager und Herbert Wiltschnig für Burghausen auflaufen. In Österreich habe ich noch keinen neuen Verein gefunden. So wie es derzeit aussieht, werde ich wohl im kommenden Jahr in Österreich nicht Liga spielen, sondern eher in Italien.

Erfreulich waren heuer deine Leistungen im Doppel, wo du zwischenzeitlich auf Platz 81 gestanden bist. Ist die Spezialisierung auf das Doppel ein Thema?

Ich möchte in der kommenden Saison auf jeden Fall das Einzel weiter forcieren, mich im Ranking wieder nach vorne spielen. Im Sommer war die Spezialisierung aber ein Thema, weil ich mich durch die Challenger-Siege im Ranking raufgespielt habe. Ich war in Stuttgart und Gstaad fix für den Hauptbewerb qualifiziert. Aber ohne fixen Partner ist es schwer, bei diesen Turnieren zu bestehen. Am Ende bin ich bei beiden Turnieren in der ersten Runde gescheitert und habe außer dem Antrittsgeld nichts Zählbares gehabt.

Wie lange gibst du dir im Einzel noch Zeit?

Wenn ich sehe, dass ich im Einzel nicht weiter komme, dann kann ich mir den Umstieg auf das Doppel schon vorstellen. Das kann in einem halben Jahr sein, das kann aber auch erst in zwei Jahren passieren. Momentan liegt mein Hauptaugenmerk jedenfalls voll auf dem Einzel. Ich möchte in der  kommenden Saison noch einmal alles geben und mich weiterentwickeln. Aber ich weiß auch, dass es wohl meine letzte Chance ist, den Durchbruch zu schaffen.

Worauf konzentriert ihr euch derzeit, um gut in die Saison zu starten?

Ich habe vor zwei Wochen mit dem Intensivaufbau begonnen. Da stehen täglich ungefähr vier bis fünf Stunden Konditions-, Kraft- und Schnelligkeitstraining auf dem Programm. Tennis gespielt wird in dieser Phase deutlich weniger. In rund zwei Wochen ist dieser harte Kondi-Block dann beendet, und die Fitness für die ersten Turniere sollte passen. Zusätzlich habe ich vor einem Monat meine Ernährung umgestellt, esse jetzt gesünder und habe in der kurzen Zeit schon vier Kilo abgenommen.

Wie sieht deine Turnierplanung für den Saisonbeginn aus?

Ich starte in der zweiten Jänner-Woche bei einem Future in Deutschland. Danach geht es nach Reunion zu einem Challenger und Ende Jänner werde ich voraussichtlich beim Grand Prix in Johannesburg in der Quali spielen.

Für Furore hat heuer dein Trainingskollege Martin Fischer gesorgt: Er hat seinen ersten Challenger-Titel geholt, sich in Paris und Wimbledon für den Hauptbewerb qualifiziert und hat im Davis Cup gegen Israel den entscheidenden Punkt geholt. Blickst du manchmal neidisch auf seine Bilanz?

Nein, im Gegenteil – ich habe mich brutal für ihn gefreut. Wir kennen uns schon so lange, haben in den letzten zehn Jahren so viel miteinander erlebt, da vergönne ich ihm den Erfolg. Außerdem macht die gute Saison von „Fisch“ auch mir Mut. Ich sehe, dass das Trainerteam und das gesamte Umfeld hier passen, und dass hier einiges drinnen ist.

Was muss passieren, damit du beim Saisonabschluss-Interview 2011 zufrieden Bilanz ziehst?

Ich möchte am Ende der Saison sagen können, dass ich meine Aufgaben erfüllt habe, und das Jahr über professionell gearbeitet habe. Ob ich am Ende auf Rang 80, 120 oder 170 stehe, ist mir dann nicht so wichtig. Ein zweiter Wunsch von mir wäre, dass ich mir am Ende der Saison eine Wohnung mieten kann, ohne jeden Cent zweimal umdrehen zu müssen. Ich werde im Jänner 25 und wohne, wenn ich in Vorarlberg bin, immer noch zuhause.(Foto: GEPA pictures)

Das Interview führte Bernt Baumgartner

von tennisnet.com

Mittwoch
29.12.2010, 18:08 Uhr