Alle wollen an einem Strang ziehen – Folgen den Lippenbekenntnissen Taten?

Die Podiumsdiskussion zur Zukunft des Österreichischen Tennissports in Amstetten brachte viel Einigkeit und wenig Streit.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 13.05.2015, 22:00 Uhr

Die Podiumsdiskussion zur Zukunft des Österreichischen Tennissports im Rahmen der 36. Internationalen Spring Bowl presented by Simacek beim UTC Amstetten war ein voller Erfolg. ÖTV-Präsident Robert Groß, ÖTV-HeadcoachMichiel Schapers, Trainer und Spielervater Wolfgang Thiem, Kitzbühel-Turnierdirektor, tennisnet.com-Herausgeber, Ex-Profi und SpielerinnenvaterAlexander Antonitsch, Trainer, Ex-Profi und SpielervaterMichael Oberleitnerund „KURIER“-TennisexperteHarald Ottawadiskutierten im Stadthotel Gürtler in Amstetten am Dienstagabend knapp zwei Stunden vor etwa 100 teils prominenten Zuschauern, Vertretern des Sport.Land.Niederösterreich, des NÖTV, der Stadt Amstetten, sowie einem ORF-Kamerateam und zahlreichen weiteren Journalisten.

ÖTV will in fünf Jahren fünf Top-100-Spieler

Robert Groß bezeichnete sich als Brückenbauer. In den zwei Monaten seit seinem Amtsantritt habe er das Gespräch mit wichtigen Meinungsbildnern und Experten im heimischen Tennis gesucht, auch mit den Anwesenden Alexander Antonitsch und Wolfgang Thiem. Der Plan des Verbands sei klar: Man will innerhalb der nächsten fünf Jahren fünf Top-100-Spieler hervorbringen. Bei den Herren stehe man mit drei Top-100-Spielern derzeit bereits keineswegs schlecht da, bei den Damen räumte auch Groß Aufholbedarf ein.

Im durch zahlreiche Grabenkämpfe, persönliche Eitelkeiten und Interessen recht zerrissenen Tennis-Österreich plädierte Michiel Schapers dafür, „zusammenzuhalten und miteinander zu arbeiten. Das versuchen wir in der Südstadt zu machen.“ Auch der Niederländer schätzte die Lage bei den Mädchen als „schwierig“ ein: „Es spielen zu wenige.“ Es sei gut, „früh in den ETA-Turnierbereich(von Tennis Europe organisierte U12/U14/U16-Turniere; Anmerkung)einzusteigen, dann hat man auch im ITF-Bereich(vom Tennis-Weltverband ITF organisierte U18-Turniere; Anmerkung)später gute Chancen.“ Doch das sei zurzeit zu wenig der Fall.

Wohin mit dem Geld?

Harald Ottawa formulierte die These, „Tennis muss leistbar werden“ und regte zu Gedanken über die aktuell verfügbaren finanziellen Ressourcen des Verbandes und deren Einsetzung an. Alarmierend sei, „dass bei den Mädchen nichts nachkommt, außerMira Antonitsch“. Dass der „Förder-Dschungel“ gelichtet gehört, steht für Wolfgang Thiem, den Vater vonDominic Thiem, ebenfalls außer Frage: „Es muss nach Leistung gefördert werden. ÖTV-Südstadt-Spieler werden derzeit gegenüber besseren externen Spielern bevorzugt. Das ist eine Schweinerei!“

Auch Fed-Cup-KapitänJürgen Waber, der einer der prominenten Publikumsgäste war, meldete sich zu Wort und pflichtete Thiem bei: „Ab 16 sollte individuell gefördert werden, und da ausschließlich nach Leistung.“ Auch Alexander Antonitsch ist für ein dezentralisiertes System: „Die Aufgabe des Verbandes ist es, die Besten zu fördern – egal wo man trainiert.“ Er nannte Österreichs besten U18-SpielerAlexander Erler, der in Oberhaching trainiert, als Paradebeispiel.

„Optimale Arbeit“ in der Südstadt?

Michiel Schapers möchte, dass auch die privaten Initiativen an einem Strang ziehen. Unter seiner Leitung lädt er die hoffnungsvollsten Talente regelmäßig zu Nationaltrainings, mit deren Privattrainern. Gemeinsam soll eine gute Turnierbetreuung angeboten werden. Er ist überzeugt, dass beim Österreichischen Tennisverband „optimale Arbeit“, geleistet wird. Er sieht jedoch einen Mangel an qualifiziertem Trainerpersonal in Österreich. Dass in der Südstadt alles erstklassig funktioniere, stellte allerdings sogar ÖTV-Sportkoordinator Florian Pernhaupt in Abrede: „Wir versuchen, noch weitere Junge herzuholen. Es stimmt, dass es in der Südstadt noch nicht optimal läuft.“

Mit guter Arbeit ist dennoch freilich einiges möglich. Wolfgang Thiem zeigte sich überzeugt, dass mit guter Jugendarbeit pro Jahrgang ein Bursche und Mädchen bei den Junioren-Grand-Slam-Turnieren realistisch sei. Erste Schritte zur (Wieder-)Belebung des Nachwuchstennis und der Möglichkeit, sich mit Spielern anderer Länder zu messen, will der ÖTV noch heuer eröffnen. Vor dem Davis Cup gegen die Niederlande in Kitzbühel werde man einen Burschen-Vergleichskampf nach dem Vorbild des Junior Davis Cups gegen die Niederlande veranstalten, selbiges im Oktober bei den Generali Ladies Linz in Form eines Mädchen-Vergleichskampfes Österreichs gegen Deutschland.

Neues Förderkonzept soll im Juni kommen

Michael Oberleitner befand, dass man „mit zwei Spielern in den Top 50 und vielen guten im Doppel derzeit nicht so schlecht“ dastehe. Freilich ist dies bloß eine Momentaufnahme, in der Jugend sieht es über weite Strecken sehr schlecht aus. Man müsse nun dringend „den Hintern hochkriegen und mehr Kinder zum Tennis und zum Wettkampf-Tennis bringen und ihnen ein lückenloses Führen durch die Karriere ermöglichen“. Ihm sei es außerdem ein Anliegen, dass Spitzenspieler keine Kompromisse eingehen müssen. „Einen Spitzenspieler zu produzieren, ist eine sehr individuelle Geschichte.“ Gruppen, die gemeinsame Turnierpläne und Ausbildungspläne haben, seien für ihn schwer umsetzbar. Je nach Ranking und Anlagen sehe er individuelle Betreuung und einen individuellen Turnierplan als notwendig: „Ab einem gewissen Level ist es unrealistisch, dass alle gemeinsam trainieren und zu Turnieren fahren. Die erfolgreichsten Spieler gehen derzeit aus Einzelaktionen hervor. Je flächendeckender wir das zusammenbekommen, desto besser ist es fürs österreichische Tennis.“

Auch für Oberleitner sei ganz klar: „Die Besten müssen ganz einfach gefördert werden.“ Der Verband werde laut Florian Pernhaupt schon im Juni sein neues Förderkonzept präsentieren.Präsident Groß hatte bereits in einem tennisnet.com-Interview angekündigt, künftig wieder ein Fördersystem einrichten zu wollen– und bekräftigte dies nun vor versammelter Runde ganz deutlich: „Es wird wieder eine Förderung eingeführt. Egal, wo Spieler trainieren, wir wollen sie bestmöglich unterstützen.“ Auch das System Südstadt sei hinterfragt worden. „Wir sind für alles offen, wir verschließen uns vor keiner Idee“, so Groß, „aber wir haben eine Verpflichtung unseren Jugendlichen und der BSO gegenüber, das Zentrum bestmöglich weiterzuführen.“ Alle Anwesenden gaben ein Bekenntnis zur individuellen Förderung der besten Spielerinnen und Spieler ab, unabhängig von deren Trainingsort.

Antonitsch: „Kein Konzept für Jugendliche und Damen“

Um genügend förderungswürdige Spieler hervorzubringen, meinte Wolfgang Thiem, dass bei den 10- bis 14-Jährigen angesetzt werden sollte. Die Landesverbände sollen die Strukturen schaffen, um die Kinder technisch auf ein konkurrenzfähiges Niveau zu bringen. „Ich kann da nur den Ist-Zustand beurteilen, und der ist nicht gut.“ Die seit einigen Jahren praktizierte Förderung des NÖTVs nach dem Gießkannen-Prinzip kam an dieser Stelle äußerst schlecht weg. Über die Aufgabe der Landesverbände, die Jugendlichen unter 14 technisch auszubilden, waren sich alle Diskutanten einig. Alexander Antonitsch machte sich für das Sportkonzept von Michael Ebert stark: Jugendliche arbeiten spielerisch an ihren koordinativen Fähigkeiten, kleinere Schläger und weiche Bälle kommen am Tennisplatz zum Einsatz. Seiner Meinung nach hapert es bei der koordinativen Ausbildung im Nachwuchsbereich, was zu einem Mangel an konkurrenzfähigen Nachwuchssportlern führt – nicht nur im Tennissport. In anderen Ländern seien die Kinder von Anfang an besser koordinativ ausgebildet.

Auch Michael Oberleitner befürwortet das Konzept von Ebert und betreibt seine Tennisschule nach diesen Gesichtspunkten. Weil es mehr nach Tennis aussehe, als wenn man Kindern Erwachsenen-Material in die Hand drücke, biete es auch „die bessere Chance, Kinder beim Tennis zu halten“. Harald Ottawa konnte ebenfalls schwer nachvollziehen, warum das System in unzähligen Ländern angenommen werde und erfolgreich sei – „und bei uns hat es nicht geklappt“(der ÖTV hatte die Zusammenarbeit mit Ebert im Zuge der Präsidentschafts-Ära Ronnie Leitgeb beendet; Anmerkung). Die Nachwirkungen: Bei Österreichischen U12-Meisterschaften kommt es mittlerweile sogar zu Freilosen im Hauptbewerb. Antonitsch: „Da kann man sich nicht hinstellen und sagen, ‚Es schaut gut aus, warten wir einfach’.“ Der Kärntner warf dem Verbandsteam auch vor, „dass man die Kinder nicht so oft aus den Bundesländern herholen, sondern lieber öfter mal zu ihnen fahren soll, um zu sehen, wie bei den Privatinitiativen und in den Leistungszentren gearbeitet wird.“ Antonitsch kritisierte, dass man in der Südstadt „für die Jugendlichen und die Damen kein Konzept“ habe.

Kommt das „Leistungszentrum Ost“?

Die Diskussionen liefen über weite Strecken überraschend sachlich und ruhig ab, doch der wohl hitzigste Punkt war erreicht, als Michiel Schapers einwarf, man habe „in der Südstadt zwei Gruppen: eine Jugendgruppe und eine Tour-Spielergruppe“. Der ÖTV verfügt mit dem TirolerGabriel Huberderzeit jedoch tatsächlich nur über einen einzigen Jugendlichen. „Ein Spieler ist keine Gruppe. Ich weiß nicht, wie das in den Niederlanden ist, aber bei uns ist das keine Gruppe“, polterte Antonitsch in Richtung Schapers. Florian Pernhaupt versicherte, dass man sich bemühe, Huber mit Spielpartnern zu versorgen und dabei auch auf ÖTV-externe, in der Südstadt trainierende Spieler zurückzugreifen.

Antonitsch schlug indes vor, die Kräfte regional zu bündeln und die Landesverbände von Wien, Niederösterreich und dem Burgenland zu einem „Leistungszentrum Ost“ in der Südstadt zusammenzufassen. Laut Groß sei das seitens des Verbandes bereits angedacht. Wolfgang Thiem sei gerne bereit, sein Wissen einzubringen – auch in einem möglichen Leistungszentrum Ost und baute damit eine Brücke. Der Michiel Schapers noch mit Skepsis begegnete: „Es gibt viele Leistungszentren“ – nicht nur jenes unter Günter Bresnik arbeite gut. „Für uns wäre eine Zusammenarbeit aber vorstellbar. Die Frage ist, ob sie das wollen“, meinte er in Richtung Thiem. Die Würfel sind in vielen Bereichen noch nicht gefallen. Gespannt darf man also sein, ob den Ankündigungen, Überlegungen und Lippenbekenntnissen auch Taten folgen werden. Denn auf diese wird es letztendlich ankommen. Und nicht auf die bloßen Worte.

von tennisnet.com

Mittwoch
13.05.2015, 22:00 Uhr