Sabine Lisicki: Geplatzte Träume und Hoffnung auf ein besseres Morgen
Sabine Lisicki kehrte in Charleston zurück an die Stätte ihres ersten großen Triumphes vor zehn Jahren - allerdings ohne Erfolg. Aufgeben kommt für die Wimbledonfinalistin aus 2013 aber nicht in Frage.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
02.04.2019, 11:49 Uhr

Von Katy Dunne oder Louisa Chirico hat die Tenniswelt bisher noch nicht viel gehört. Die Britin und die Amerikanerin stehen auf Platz 298 und Platz 300 der Weltrangliste, sie sind nie wirklich über die Zweite oder Dritte Liga des Damen-Wanderzirkus hinausgekommen. Was bei der Spielerin, die sich zwischen diesem Duo findet, ganz anders ist.
Sabine Lisicki, aktuell eben die Nummer 299 der WTA-Hitparade, stand schon im Mittelpunkt der Tenniswelt – vor allem 2013, als sie auf der größten Bühne dieses Sports, in Wimbledon, ins Finale vorpreschte und dann als Favoritin durchaus sensationell der Französin Marion Bartoli unterlag. Aber auch vor genau zehn Jahren richtete sich schon die Aufmerksamkeit hin zu der Berlinerin, in jenem magischen April 2009, in dem sie in Charleston als 19-jährige ihren ersten Turniersieg feierte. Und danach Schlagzeilen produzierte wie: „Ein neuer Stern am deutschen Tennishimmel.“ Oder auch: „Flotte Biene lässt uns träumen.“
Lisicki mit Aus in Runde eins
Am Montag war Lisicki nun wieder in Charleston, an einem Ort, über den sie sagte, er habe für immer einen „besonderen Platz“ in ihrem Herzen. Lisicki spielte dort nicht als einer der Topstars, als topgesetzte Spielerin, sondern mit der Gnade einer Wildcard des Veranstalters – eben weil sie einstmals dieses Turnier schon einmal gewonnen hatte.
Es war eine sentimentale Geste, aber ansonsten blieb für Sentimentalitäten wenig Platz. Lisicki schied gegen die aufstrebende Amerikanerin Sofia Kenin in zwei Sätzen aus, es war die vierte Niederlage im vierten Wettbewerbsspiel in dieser Saison. Und es war einer dieser vielen kleinen, bitteren Rückschläge bei den Comebackbemühungen der 29-jährigen Berlinerin. Sie wisse, dass „noch viel in mir steckt“, hatte Lisicki vor diesem Auftritt gesagt, aber leicht fällt es ihr nicht, genau das zu beweisen auf dem Centre Court, Dort, wo es allein zählt. Es gab Hoffnungsschimmer in diesem Spiel, durchaus, Lisicki führte nach selbstbewusstem Auftakt sogar 5:3 in Satz eins. Aber die Endabrechnung lautete dann 5:7 und 4:6, mehr als Hoffnung auf Morgen oder Übermorgen blieb wieder einmal nicht.
Durchbruch in Charleston vor zehn Jahren
Wie anders sah Lisicks Welt in der Tenniswelt noch 2009 aus, damals in Charleston, als irgendwie alle Türen offenstanden nach diesem Turniertriumph. Und ein Triumph war es, auch das erste Achtungszeichen überhaupt nach vielen Jahren der deutschen Tennis-Tristesse. Lisicki schlug die amtierende Wimbledonsiegerin Venus Williams, und später auch noch Marion Bartoli und die ehemalige Weltranglisten-Erste Caroline Wozniacki. Nick Bollettieri, ihr Teilzeit-Trainer, sparte nicht mit Komplimenten: „Sie hat die Gene eines Champions, hervorragende Augen-Hand-Koordination und die Qualität, ein Spiel nach ihren Regeln zu bestimmen.“
Es stimmte auch. Jedenfalls im Optimalfall. Aber der trat dann zu selten ein, viel zu selten. Lisicki machte gelegentlich zwar das Unmögliche möglich, wie bei ihren verwegenen und geglückten Aufholjagden gegen die Polin Agnieszka Radwanska und Serena Williams hinein ins Wimbledon-Endspiel 2013. Aber zu oft blieb das Mögliche unmöglich, weil Lisicki sich mit Verletzungen herumschlug. Oder auch, weil sie nicht das ideale Team um sich herum aufstellte – eine inzwischen professionelle Minimalanforderung. Irgendwann war sie nicht mehr die große Hoffnungsträgerin, das Versprechen auf die Zukunft, sondern die Pechmarie mit auch privaten Beziehungsproblemen, die sich auf dem Court nicht wegdrücken ließen. Andere, wie Angelique Kerber oder Julia Görges, überholten sie. Kerber gewann drei Grand-Slam-Titel, wurde die Nummer 1. Erfolge, die man Lisicki auch einmal zugetraut hatte. Und keinesfalls komplett zu Unrecht.
Lisicki: "Habe langen Atem"
Eins kann man Lisicki nicht absprechen. Nicht bloß jetzt, sondern immer schon. Und das ist ihre Weigerung, sich kampflos aufzugeben in all dem Schlamassel, der in den letzten Jahren passierte, ob nun Trennungen, Verletzungen, Trainerdiskussionen. Eitelkeiten haben auch keinen Platz dort, wo Lisicki sich gerade befindet, im großen, großen Abstand zur Weltspitze. Unter Kolleginnen, die wie sie selbst um den Anschluss an die Elitetruppe bei einem Comeback kämpfen. Oder die, wie Lisicki selbst vor vielen Jahren, als Talente auf dem Weg nach oben sind.
Lisicki haut sich, wie sie sagt, „im Training voll rein“, gerade hat sie ein paar Übungswochen bei ihrem alten Mentor und Förderer Bollettieri hinter sich. Aber die einzige Währung, die zählt und die sie voranbringt, sind Siege. Lisicki wird es weiter versuchen. Kürzlich, in Dubai, sagte sie nach dem Qualifikations-Aus in der ersten Runde gegen die Kasachin Zarin Diyas: „Ich liebe diesen Sport immer noch. Und ich bin eine Fighterin, die langen Atem hat.“ Sie wird ihn brauchen, diesen langen Atem. Mehr denn je.
