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US Open: Der Preis der Verschönerung - Schulden treiben Re-Start voran

Seit ein paar Tagen wird in Palermo wieder professionelles Tennis gespielt. Der ganz große Test wartet aber erst Ende August in New York City, wo drei Wochen lang unter Ausnahmebedingungen aufgeschlagen werden soll.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 07.08.2020, 13:03 Uhr

Schmucker, teurer Neubau: das Louis Armstrong Stadium in New York City
© Getty Images
Schmucker, teurer Neubau: das Louis Armstrong Stadium in New York City

Es war in den 90er Jahren, als Boris Becker sich einmal wie folgt über die US Open äußerte: „Es gibt hundert Tennisturniere auf diesem Planeten“, so Becker. „Und dann gibt es auch noch die US Open.“ Charmant hatte Becker das nicht gemeint, er war allerdings auch nur einer der vielen Stars aus dem Wanderzirkus, die das Grand-Slam-Spektakel vor den Toren New Yorks für Organisationspannen, wirre Spielpläne, das übermächtige Diktat der US-Fernsehstationen und die marode Infrastruktur geißelten. Am liebsten würde er eine „Atombombe“ über Flushing Meadow abschmeissen lassen, grantelte gar der kroatische „Herr der Asse“, Goran Ivanisevic, über den Major-Wettbewerb: „Es ist mir ein Rätsel“, gab der Aufschlagkanonier zu Protokoll. „Wie es die Amerikaner geschafft haben, Menschen zum Mond zu schicken.“

Lange Jahre galt der letzte Grand Slam im jährlichen Terminkalender als „Grusel Slam“, zwischenzeitlich stand der Ortstermin im Big Apple sogar auf der Kippe. Doch die Chaoszeiten sind vorüber, im Schönheitswettbewerb der vier Grand-Slam-Turniere haben die Amerikaner wieder aufgeholt, können sich mit Wimbledon oder den Australian Open messen. Seit 2018 verfügen die US-Open-Bosse sogar über drei Toparenen, zum Ashe-Stadion, der größten Tennisbühne der Welt, kamen der erneuerte Grandstand und der aufgerüstete Louis Armstrong-Court hinzu. 

Das Facelifting hatte seinen Preis

Aber das Facelifting hatte seinen Preis, und die 600 Millionen Dollar, die der US-Verband USTA in die Bauprojekte und u.a. das Dach überm Centre Court investierte, sind nun auch der wesentliche Grund, warum die Turniermacher in der Corona-Pandemie um beinahe jeden Preis die Grand-Slam-Pokalkämpfe ab Ende August ausrichten wollen. Zwar verdienen die US Open traditionell mehr als alle anderen Majors an Eintrittsgeldern und dem Verkauf von Fanartikeln und Souvenirs, aber von den 350 Millionen Dollar Umsatz aus dem Jahr 2018 flossen allein 120 Millionen von TV-Partnern aus aller Welt. „Diese Summe will die USTA auch 2020 einnehmen – mindestens“, sagt ein Topfunktionär des Weltverbands ITF. „Sie braucht das Geld auch dringend.“

Kaum anders sieht es bei den French Open aus, die der französische Verband eigenmächtig und selbstherrlich in der Herbst verlegt hatte – nachdem ein Start zur traditionellen Frühlingszeit unmöglich geworden war. Nach den jahrelangen Querelen um Umzugspläne und, ähnlich wie in New York, den Sorgen um einen Verlust des Grand Slam-Status wollten die Pariser Veranstalter 2020 eigentlich stolz ihr neues Centre Court-Dach einweihen. Doch nun geht es Ende September und Anfang Oktober nur noch darum, irgendwie die beiden Major-Wochen mit größtmöglicher Corona-Disziplin und ohne Fauxpas` über die Bühne zu bringen. Auch bei der FFT (Federation Francaise de Tennis) drücken die Schulden, die die ehrgeizige Aufhübschungs-Initiative der letzten Jahre verursacht hat. Die Gesamtkosten beliefen sich auf mindestens 400 Millionen Euro, manche Szeneinsider sprechen sogar von einer halben Milliarde Euro. Ein Komplettausfall des Turniers müsse „unbedingt“ vermieden werden, sagt der umstrittene FFT-Häuptling Bernard Giudicelli. Anders als Wimbledon haben weder French Open noch US Open eine Ausfallversicherung auch gegen eine Pandemie abgeschlossen.

Djokovic, Zverev und Co. haben sich nicht mit Ruhm bekleckert

Jenseits der straff durchorganisierten Showevents in Deutschland und etwa auch im Nachbarland Österreich hat sich das Tennis-Wandervolk freilich bisher in der großen Gesundheitskrise nicht mit Ruhm bekleckert – milde ausgedrückt. Selbst nach den missratenen Einladungsevents von Novak Djokovic oder einem Quarantäneverstoß von Alexander Zverev werden die Schlagzeilen nicht besser – trotz langem Organisationsvorlauf verblüfften die Organisatoren des WTA-Turniers in Palermo in dieser Woche nun damit, dass sich im offiziellen Hotel Spielerinnen und Touristen wie in sorgenfreien Zeiten begegnen konnten: Von wegen Tennis-Blase. Frankreichs Starspieler Richard Gasquet nannte die Ereignisse einen „Skandal“: „So etwas hätte nie passieren dürfen.“ Kein Wunder, dass der amerikanische Ex-Profi James Blake, neuerdings Turnierdirektor der Miami Open, seine Sorgen äußerte, wie man ein Grand-Slam-Event mit mehreren Hundert Beteiligten „ohne Fehler“ über die Bühne bringen könne: „Es wird unheimlich schwer, diese Schutzsphäre aufrecht zu erhalten.“

Viele in der Tenniswelt blickten schon länger sorgenvoll nach Amerika, zu den US Open und den anderen Turnieren dort. Viele zogen auch schon früh ihre Konsequenzen und ließen ihren Rückzug vom New Yorker Spektakel vermelden, gerade eben erst kamen Rafael Nadal und Julia Görges zu dieser Liste hinzu. Weitere Absagen werden folgen, gewiß. Aber auch in Europa und für den Rest der Saison sieht es nicht verheißungsvoll aus. Das Masters in Madrid wurde abgesagt, die Pläne der French-Open-Verantwortlichen, täglich bis zu 20.000 Zuschauer auf die keineswegs großzügig bemessene Anlage zu lassen, stoßen auf Skepsis und Ablehnung. Die traditionelle Asien-Tour im Herbst ist größtenteils schon zu den Akten gelegt, alle China-Turniere wurden per staatlichem Dekret abgesagt, auch in Tokio finden keine Wettbewerbe statt. „Regionale, lokale Turniere sind im Moment sicher am verlässlichsten“, sagt DTB-Vize Dirk Hordoff. Wobei das „im Moment“ noch für viele weitere Monate gelten könnte.

von Jörg Allmeroth

Freitag
07.08.2020, 12:55 Uhr
zuletzt bearbeitet: 07.08.2020, 13:03 Uhr