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Vor 40 Jahren: Boris Becker schreibt Sportgeschichte

Zum 40. Jubiläum von Wimbledon 1985: Eine Rückschau auf die Chancen und Wirkungen des ersten Wimbledonsieges von Boris Becker.

von Tim Scheffczyk
zuletzt bearbeitet: 11.06.2025, 07:45 Uhr

Boris Becker auf seinem Weg zum Wimbledon-Sieg 1985
© Getty Images
Boris Becker auf seinem Weg zum Wimbledon-Sieg 1985

Zusammenfassung 

Der Wimbledonsieg von Boris Becker am 7. Juli 1985 stellt ein historisches Ereignis für den deutschen Sport dar. Als erster Deutscher gewinnt er das prestigeträchtigste Tennisturnier der Welt. Mit dem Turniersieg der 99. Auflage erreichte er einen bis heute gültigen Altersrekord und ein Novum. 

Zum einen war seit der ersten Auflage im Jahre 1877 kein Sieger jünger als der damals 17-Jährige Boris Becker. Zum anderen gewann er das Turnier als ungesetzter Spieler. Vor dem Turnier wurde er als Nummer 20 der Tennisweltrangliste geführt. Dadurch, dass nur die besten 16 Spieler der Weltrangliste als gesetzt klassifiziert wurden, ging Becker als ungesetzter Spieler ins Turnier. Als solcher hat man es im Turnierlauf in der Regel schwerer, da einem die formal gesehen besten Spieler schon sehr früh und somit öfter zugelost werden können. Gesetzte Spieler, zumeist die Topspieler hingegen treffen erst in den späteren Runden aufeinander. Seit Einführung der Setzliste im Jahr 1927 konnte in den 52 vorherigen Auflagen nie ein ungesetzter Spieler das Turnier gewinnen. 

Diese Meilensteine demonstrieren die hohe Bedeutung seines Wimbledonsieges für den Tennissport im Allgemeinen, ganz speziell aber für sein Heimatland Deutschland. Sein Sieg löste eine nie dagewesene Tenniseuphorie im ganzen Land aus. Der sogenannte Becker-Boom bewegte in Deutschland viele erstmals auf die Tennisplätze und machte in der Folge Spiele von Boris Becker zu einem nationalen Event mit Millionen von Zuschauern vor den TV-Bildschirmen. 

Der erste Wimbledonsieg Beckers im Jahr 1985 wird oft als Sensation betitelt. Doch schaut man sich die Zeit vor dem Turnier einmal genauer an, so kommt man zu dem Schluss, dass es sich vielmehr die Krönung seiner kontinuierlichen sportlichen Weiterentwicklung handelt. Das schmälert seine Leistung in keiner Weise. So ist sein Turniersieg, sogar ganz im Gegenteil Ausdruck von einem sich anbahnenden Erfolgs mit dem so früh in seiner Karriere kaum jemand gerechnet hat. 

Die folgende statistische Analyse soll dies mit konkreten Zahlen mittels historischer Leistungsindikatoren und historischen Wettquoten untermauern. Die sieben Siege gegen seine Konkurrenten waren für seine damalige Leistungsstärke eine Top-2%-Performance. Das bedeutet, dass Boris Becker mit seinem Leistungsstand vom Sommer 1985 eine solche Leistung- wie er sie im Wimbledon-Turnier 1985  gezeigt hat- gemäß der Statistik nur einmal in 53 Versuchen zeigen konnte. 

Das Tennistalent reift zum Spitzenspieler 

Boris Becker wurde erstmals am 2. Januar 1984 als Nummer 563 in der ATP-Weltrangliste geführt. Ein knappes halbes Jahr später bereits konnte er im Juni 1984 seine Position auf Rang 176 verbessern. Vor allem durch den Einzug in das Viertelfinale der Australian Open 1984 wurde er zum Jahresende auf Position 66 schon unter den Top 100 gelistet. Da die Australian Open bis 1987 noch auf Gras ausgetragen worden sind, ist eine gute Performance bei diesem Grand Slam Turnier ein Hinweis für eine hohe Spielstärke für Turniere auf Gras (u.a. Wimbledon). 

Nachdem er im Januar 1985 im Finale gegen Stefan Edberg Juniorenweltmeister wurde, trat er im Juni 1985 zum Vorbereitungsturnier für Wimbledon schon als Nummer 29 der Welt und auf Rang 11 der Turnier-Setzliste in Queens an. Auf dem Weg ins Finale bezwang er im Viertelfinale mit Pat Cash einen Top-10-Spieler. Gegen den zweimaligen Sieger der Australian Open (1981/1982) Johan Kriek gewann er dann im Endspiel klar in 2 Sätzen mit 6:2 und 6:3. Im Anschluss an das verlorene Finale gab Kriek zu Protokoll: «Wenn Becker so wie heute jeden Tag in Wimbledon spielt, kann er das Turnier gewinnen».

Der Turniersieg von Queens verbesserte Beckers Weltranglistenposition nochmals um 9 Plätze, sodass er vor dem Beginn von Wimbledon 1985 auf Rang 20 geführt wurde. Da nur 16 Spieler gesetzt wurden, ging Becker dennoch als ungesetzter Spieler ins Turnier. 

Der Geheimfavorit Boris Becker

Noch vor der Auslosung der ersten Runde werden bei den Buchmachern traditionell die Wettquoten für den Turniersieg der besten Spieler festgelegt. Die Buchmacher kalkulieren die Siegwahrscheinlichkeiten und reduzieren dann die faire Quote, um eine Gewinnmarge zu erhalten. Die Recherche der historischen Quoten zeigte zum Einen, dass Boris Becker kein typisch ungesetzter Spieler war, sondern als Geheimfavorit gehandelt wurde. Zum anderen sahen sie aber auch den Sieger der beiden Vorjahre John McEnroe als klaren Turnierfavoriten. Er hat im Vorjahr seinen Wimbledonsieg im Finale gegen Jimmy Connors in überragender Dominanz eingefahren. Experten und er selbst sprachen im Nachhinein von seinem wohl besten Match in seiner Karriere. Während die Bruttowettquote für den Turnierfavoriten John McEnroe über die verschiedenen Buchmacher relativ konstant bei 1.4 bis 1.6 lagen, variierte diese für einen Turniersieg von Boris Becker von 12 bis 38. Das bedeutet, dass sich eine Wette bei den Buchmachern auf McEnroe nur dann lohnte, wenn man davon ausging, dass dieser das Turnier zu etwas mehr als 60 % gewinnt. Für einen einzelnen Spieler ist dies in einem Feld von 128 Athleten ein unglaublich hoher Wert. Bei Boris Becker ist anhand von der Quote abzulesen, dass er zwar kein Topfavorit war, er jedoch zu den Geheimfavoriten zu zählen war. 

Die Titelchance von John McEnroe betrug 32.2 % bzw. einer fairen Titelquote von 3.11. Die Gewinnchance von Boris Becker belief sich vor Turnierbeginn auf 2.7 % bzw. einer fairen Quote von 36.94. Die angebotenen Wettquoten lagen deutlich unterhalb der fairen Quote, was einer hohen Marge der Buchmacher gleichkommt. Eine Wette auf einen der Spieler war damit somit sehr unattraktiv. Ein Wettanbieter bot vor dem Turnier in Queens für Beckers Wimbledonsieg noch eine Wettquote von 51 an, nach seinem dortigen Turniersieg wurde die Quote auf 21 reduziert. Nachdem bei der 21er-Quote ein nennenswerter Betrag auf Becker gesetzt worden ist, wurde sie auf 15 gesenkt. Bei den Buchmachern lag Boris Becker sogar meist unter den Top 5. Nur für Ivan Lendl (Quote: 6 bis 7) und Mats Wilander (Quote: 9) wurden neben McEnroe tiefere Quoten als für Becker angeboten. Für den zweimaligen Wimbledonchampion Jimmy Connors (1974 und 1982) wurde wie für Boris Becker eine Quote von 15 angeboten. Boris Becker wurde bereits als zukünftiger Wimbledon-Champion und als Wunderkind bezeichnet. Man glaubte jedoch nicht, dass er in diesem Jahr 1985 schon den Weg bis zum Titel würde gehen können. 

Rien ne va plus !?

Beckers Titelchance von 2.7 % lässt sich anhand des Roulette-Spiels exemplarisch gut verdeutlichen. Die Chance ist nämlich gerade so hoch, wie diejenige für das Auftreten einer einzelnen Zahl bei den Roulettezahlen von 0 bis 36 in einem Durchgang. Für Topfavorit John McEnroe würde in dieser Analogie knapp 12 ganze Zahlen, das bedeutet beispielsweise das vollständige erste Dutzend (Zahlen: 1-12) gelten. McEnroes Titelchance wurde also von den Buchmachern als 12 mal wahrscheinlicher betrachtet als diejenige Beckers. 

Eine kleine Gewinnchance aber nicht unmöglich. Die Titelchance von 2.7 % ist vergleichbar mit einem 2:6 Rückstand im Tiebreak. Deutsche Tennisfans mögen sich erinnern, wie die Chilenen Fernando Gonzáles und Nicolás Massu im Olympiafinale 2004 trotz dieses Spielstand mit der Abwehr von Matchbällen ihre kleine Chance gegen Rainer Schüttler und Nicolas Kiefer nutzten und den Deutschen noch die sicher geglaubte Goldmedaille «entrissen».   

Rien ne va plus- nichts geht’s mehr- wie es am Roulettetisch stets heisst, galt auch nicht für Boris Becker. Er konnte seine Titelchance peu à peu mit jedem gewonnen Match erhöhen. Als Viertelfinalist schon auf immerhin 4 %, vor dem Halbfinale auf 11 % und vor dem Finale dann sogar auf 37 %.  

Titelchancen für den Wimbledonsieg 1985 vor Turnierbeginn

RangSpieler

Titelprognose

Titelquote

1McEnroe

32.2%

           3.11

2Lendl

17.1%

           5.83

3Connors

10.3%

           9.72

4Wilander

8.6%

         11.66

5Cash

4.7%

         21.39

6Mayotte

4.0%

         25.27

7Jarryd

3.2%

         31.11

8Becker

2.7%

         36.94

9Edberg

2.4%

         40.83

10Curren

2.2%

         44.71

11Kriek

2.0%

         50.55

12Anderer

2.0%

         50.55

13Mecir

1.7%

         60.27

14Nyström

1.4%

         69.99

15Teltscher

1.3%

         79.71

16Noah

1.3%

         79.71

17Krickstein

1.0%

         99.15

18Davis

1.0%

         99.15

19Smid

1.0%

         99.15

Die Weltranglistenposition setzte sich aus den Resultaten bei den einzelnen Turnieren zusammen. Zwar sind die wichtigen und punkteträchtigen Turniere meist auch besser besetzt, jedoch wird die Spielstärken der eigenen Gegner nicht explizit berücksichtigt. Zudem lässt sich mittels den Weltranglistenpositionen keine Gewinnwahrscheinlichkeit für ein Match berechnen. Anhand der ELO-Zahl, welche aus dem Schachsport stammt, ist dies möglich. Hierbei erfolgt eine explizite Berücksichtigung der Bilanz und der Spielstärke der Gegner. Die allgemeine Performance beinhaltet die Leistungsstärke auf aller Spiele auf allen Belägen und ist durch die zumeist hohe Anzahl an berücksichtigen Matches sehr aussagekräftig. Da die Leistungsstärke im Tennis auch sehr stark vom zu bespielenden Belag abhängt, ist es wichtig dies miteinzubeziehen. Für die Kalkulation der Siegchance wird neben der allgemeinen Performance auf allen Belägen auch die die Performance speziell auf Gras zu gleichen Teilen berücksichtigt.

Die Achterbahnfahrt im Turnierverlauf

In der ersten Runde gegen den Amerikaner Hank Pfister (Weltranglistenposition 62) betrug Beckers Siegwahrscheinlichkeit somit 67.1 %.   Nach dem Verlust des ersten Satzes gewann er dieses Spiel doch recht klar in vier Sätzen. 

In der zweiten Runde wurde er gegen Matt Anger, seinem einzigen Kontrahenten auβerhalb der Top 100 der klaren Favoritenrolle (Siegwahrscheinlichkeit: 80.7 %) gerecht und gewann das Spiel deutlich mit 3:0 in Sätzen. In der dritten Runde gegen Joakim Nyström spielte er erstmals gegen einen gesetzten Spieler. Obwohl Nyström als Nummer 8 in der Weltrangliste vor Becker platziert war, folgt aus der ELO-Berechnung eine leichte Favoritenrolle für Becker (54.0 %). Das Spiel verlief dann auch sehr eng. Becker konnte hier nach einer Regenunterbrechung im fünften Satz mit 9:7 gewinnen. Nyström war zwischenzeitlich nur 2 Punkte vom Sieg entfernt und servierte im fünften Satz zweimal zum Matchgewinn. Beckers Siegchancen zu diesem Spielstand (5:4 und 6:5) waren hier in einem Bereich von 3-4 % zu verorten. 

Im Achtelfinale stand ihm mit Tim Mayotte, die Nummer 18 der Welt gegenüber.    

Becker knickte beim Satzstand von 1:2 mit dem Fuβ unglücklich um und wollte dem Amerikaner bereits die Hand schütteln. Nur dem Eingreifen von Manager Ion Tiriac und Trainer Günther Bosch ist es zu verdanken, dass Becker die Möglichkeit eines medizinischen Time-Outs in Anspruch nahm und am Ende den fünften Satz mit 6:2 gewann. Das Viertelfinale war erreicht und die Hoffnungen der Fans von Boris Becker auf mehr waren geweckt. 


Turnierweg von Boris Becker

RundeGegnerWeltranglistenpositionSiegwahrscheinlichkeitFaire Quote
1. RundeHank Pfister

62

67.1%

1.49
2. RundeMatt Anger

178

80.7%

1.24
3. RundeJoakim Nyström

8

54.0%

1.85
AchtelfinaleTim Mayotte

18

42.4%

2.36
ViertelfinaleHenri Leconte

26

68.6%

1.46
HalbfinaleAnders Jarryd

6

59.5%

1.68
FinaleKevin Curren

9

37.0%

2.70

Eine Top 2%-Performance sichert Becker den Turniersieg

Das Erreichen des Viertelfinales war bereits ein tolles Ergebnis für Boris Becker, denn er verbesserte damit die Bilanz aus dem Vorjahr als er in der dritten Runde verletzungsbedingt aufgeben musste. Auf Basis der Leistungsdaten Beckers und seiner Kontrahenten vor Turnierbeginn lag die Wahrscheinlichkeit für die 4 Siege bis zum Erreichen des Viertelfinales bei 12.4 % (Quote: 8.06). Echte Hoffnungen auf einen Titelgewinn waren aber auch zu diesem Zeitpunkt immer noch vermessen, da mit John McEnroe und Jimmy Connors noch die Gewinner der letzten vier Jahre im Turnier waren. Obwohl die Chance auf das Erreichen des Finales ab dem Viertelfinale schon bei 42.9% lag, betrug zu diesem Zeitpunkt die Chance auf den Turniersieg nur 4.0 %. Beckers Turnierhälfte war nämlich deutlich schwächer besetzt als die Andere. In Beckers Turnierhälfte war kein Spieler besser positioniert als er und kein Spieler konnte einen Grand-Slam aufweisen. Im Übrigen gilt das auch für die Zeit nach 1985 bis zu ihrem jeweiligen Karriereende. Die Turnierhälfte des potentiellen Finalgegners war ausschlieβlich mit Top Ten Spielern besetzt. Daher war im Finale zu diesem Zeitpunkt aus der anderer Hälfte des Turnierbaumes am ehesten mit John McEnroe (Finalchance: 65.4 %) oder Jimmy Connors (Finalchance: 32.1 %) als Finalgegner zu rechnen. Beide Spieler wiesen zu diesem Zeitpunkt 16 Grand-Slam-Siege und davon alleine 7 in Wimbledon auf. Sie bestritten auch das Vorjahresfinale. Dies führt dazu, dass Becker selbst beim Erreichen des Finals lediglich 9.4 % an Siegwahrscheinlichkeit hätte. Gegen den wahrscheinlichsten Finalgegner McEnroe wären ihm 6.0 %, gegen Connors 13.7 % zuzurechnen gewesen. Doch es sollte anders kommen.

Denn die groβe Überraschung (Eintrittswahrscheinlichkeit: 9.9 %) im Viertelfinale war das Durchsetzen von des Weltranglisten-Neunten Kevin Curren gegen den 8-fachen Grand-Slam-Sieger und topgesetzten Titelverteidiger John McEnroe. Auch das Halbfinale gewann Curren als Underdog (Chance: 21.3 %) Connors. Curren bezwang als erster Spieler überhaupt diese beiden Topspieler in einem Grand-Slam-Turnier. So stand er tatsächlich im Finale, obwohl die Wahrscheinlichkeit hierfür bei 2.1 % (9.9 % von 21.3 % entspricht 2.1 %) lag. 

Boris Becker besiegte im Viertelfinale als Favorit (Siegchance: 68.6 %) den Franzosen Henri Leconte. Currens überraschender Durchmarsch ohne Satzverlust und bei lediglich 13 Spielverlusten gegen McEnroe und Connors spielte Boris Becker sehr in die Karten. Seine Siegchancen erhöhten sich nach dem gewonnen Viertelfinale deutlich von 4.0 % auf 11.1 %. 

Das Halbfinale gegen Anders Jarryd versprach viel Spannung. Becker galt als leichter Favorit (Chance: 59.5 %). Jarryd startete gut, gewann den ersten Satz mit 6:2 und hatte bei eigenem Aufschlag die Chance auf 2:0 zu erhöhen. Er konnte diese Chance jedoch nicht nutzen. Boris Becker gewann im fünften Satz mit 9:7. 

Das Wimbledonfinale 1985 im Herreneinzel lautete damit Kevin Curren gegen Boris Becker. Eine äuβerst unerwartete Finalpaarung. Denn selbst vor dem Viertelfinale lag die Chance auf dieses Finale bei gerade einmal bei 1.0 %, was vor allem daran lag, dass Currens Siege gegen McEnroe und Connors sehr überraschend waren. 

In dieses Finale ging Becker zwar als Underdog, jedoch belief sich seine Gewinnchance immerhin auf 37.0 % (Faire Quote: 2.70). Nach dem Gewinn des ersten Satzes konnte er seine Chance auf knapp 57.6 % erhöhen. Er war ab diesem Zeitpunkt demnach der Favorit für den Wimbledonsieg. Jedoch verlor er Satz 2 im Tiebreak und seine Siegchance sank wieder auf 39.5 %. Kritisch wurde es für Becker als er sein viertes Aufschlagspiel abgeben musste und 3:4 in den Spielen zurücklag. Geht man von einer gleichen Spielstärke aus, so ist dieser Spielstand mit einer Siegchance in Höhe von 31.3 % verknüpft. Da Kevin Curren jedoch als (leichter) Favorit in Spiel ging, muss man die Chance noch etwas reduzieren und kommt dann auf ca. 21 %. 

In einem späteren Auftritt im aktuellen Sportstudio berichtete der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker davon, dass er diese Phase als kritischste Phase empfand. Darauf angesprochen sagte Beckers, dass er sich in diesem Moment dachte: «Jetzt geht’s los». Und tatsächlich: Boris Becker schafft das direkte Rebreak und gewinnt den Satz souverän im Tie-Break. Satz Nummer vier gewinnt er mit 6:4 und macht seinen (ersten) Wimbledontriumph somit perfekt. 

Eine unglaublich starke Leistung (Top 2%-Performance). Zum Vergleich: Die Big Three Federer, Nadal und Djokovic hätten mit solch einer starken Leistung beim Grand Slam auf ihrem jeweiligen Lieblingsbelag im gesamten Turnierverlauf zumeist keinen Satz und nur wenige Spiele abgegeben. Rafael Nadal gelang dieses Kunststück tatsächlich 4 Mal in Roland Garros (2008, 2010,2017 und 2020). Roger Federer 2 Mal (Australian Open 2007 und Wimbledon 2017). Rafael Nadal weist in Roland Garros eine Bilanz von unglaublichen 112 Siegen zu 4 Niederlagen auf (Siegquote: 96.6 %). Bei solch einer hohen Siegesquote ist ein Turniersieg ohne Satzverlust zwar definitiv noch beeindruckend, aber aufgrund der bereits bekannten Stärke Nadals auf Sand «nur» eine Top 11 %-Performance und damit weniger überraschend als Beckers Turniersieg anno 1985. 

Fazit

Boris Becker gewinnt als 17-Jähriger das Wimbledonturnier 1985. Fasst man all seine 7 Spiele auf dem Weg zum Turniersieg zusammen, so hat er selbst unter der Berücksichtigung seines Triumphs von Queens in Wimbledon eine sagenhaft gute Performance hingelegt. Die Wahrscheinlichkeit gegen diese Kontrahenten in SW19 (geografische Postleitzahl des All England Club) ungeschlagen zu bleiben betrug 1.9 % oder anders ausgedrückt gelänge es ihm jedes 53. Mal. Also durchaus eine phänomenale Leistung Beckers und eine sehr groβe Überraschung. Boris Becker profitierte jedoch auch von den Siegen seines Endspielgegners Kevin Curren gegen den Vorjahressieger und Topfavoriten John McEnroe, sowie Jimmy Connors. Ein Wunder stellt sein Turniersieg statistisch gesehen nicht dar, denn die Wahrscheinlichkeit von 1.9 % entspricht zum Beispiel einem Satzgewinn nach einem 0:4-Rückstand in den Spielen gegen einen gleichstarken Spieler. Das ist zwar ein seltenes, aber kein extrem ungewöhnliches Ereignis. Zudem war Beckers Talent in den vorherigen Turnieren zu offensichtlich erkennbar (Viertelfinale bei den Australian Open 1984, Turniersieg bei der Jugendweltmeisterschaft und in Queens 1985). 

Wie Becker aber selbst betont ist es eine Sache Wimbledon erstmalig zu gewinnen. Die Erwartungen waren damals im Vorfeld jedoch nicht so hoch wie dann vor der Titelverteidigung im Folgejahr 1986. Viel schwerer ist es diese Spitzenposition langfristig zu halten. Doch Becker gelang genau das. Er verteidigte seinen Titel 1986, stand insgesamt 7 Mal im Wimbledonfinale und gewann nochmals 1989 gleichzeitig mit Steffi Graf. Nach Wimbledon 1985 war er erstmalig ein Top 10-Spieler. Er hielt sich sage und schreibe bis Mitte November 1993 - das entspricht 436 Wochen- in diesem elitären Kreis. 

Sein Triumph löste in Deutschland einen nie dagewesenen Boom im Tennissport aus. Durch seine hohe Konstanz dauerte dieser Boom über Jahre an. Tennisplätze waren plötzlich voll ausgebucht und für Klein und Groβ war Becker plötzlich ein Sportidol und seine Tennismatches lockten ein Millionenpublikum vor die Bildschirme.     


Beckers Triumph ist Startpunkt von Trainerkarrieren 

Im persönlichen Gespräch mit heutigen Tennistrainer:innen aus Beckers Heimatbundesland Baden-Württemberg berichten diese davon, dass der Wimbledonsieg Boris Beckers überhaupt erst Ihr Interesse am Tennissport geweckt hat. 

Claudine Wilk (A-Trainerin DTB & seit 24 Jahren Inhaberin der Tennisschule Wilk) und Bastian Kohler (B-Trainer BTV) schildern begeistert von ihren Erinnerungen an Beckers ersten Wimbledonsieg 1985. Mehr als der Wimbledonsieg selbst ist ihnen jedoch die Folgezeit des Becker Booms in Gedächtnis geblieben. Seine Folgesiege in den Jahren 1986 und 1989 verfolgten sie intensiv und als leidenschaftliche Anhänger vor dem Bildschirm. Wimbledon 1985 war für beide vor allem aber auch der Startpunkt ihrer eigenen Tennislaufbahn. Das Tennisfieber packte sie und von da an lieβen sie die Tennisbälle stundenlang gegen die Garagenwand fliegen, um Ihrem Sportidol Boris Becker und etwas später auch Steffi Graf nachzueifern. Beide sind sich heute sehr sicher, dass sie ohne Boris Beckers Erfolg nie im Tennis tätig wären. Für beide ist die Tätigkeit als Tennistrainers/der Tennistrainerin  mehr als ein Beruf. Sie konnten ihr Hobby zum Beruf machen und sind daher sehr zufrieden. Für sie war und ist dieser Wimbledonsieg Boris Beckers vor 40 Jahren daher bis heute ein sehr positiv prägendes Lebensereignis, das ihre berufliche Laufbahn als Tennistrainer/in erst ermöglichte.

Denn der Tennissport in Deutschland erlebte dank Boris Becker auch in den Folgejahren einen nie dagewesenen Aufschwung und generierte damit eine entsprechende Nachfrage nach Trainingsstunden. 

Nur rund eine Handvoll deutscher Sportler erreichte ebenfalls den Status eines groβen deutschen Sportidols. In einer nicht abschliessenden Liste von Sportidolen aus einer Individualsportart wären hier sicherlich u.a. Franziska van Almsick (Schwimmen), Michael Schumacher (Formel 1), Jan Ullrich (Radprofi) , Timo Boll (Tischtennis) zu nennen. In der jüngeren Vergangenheit zählte Boris Becker zu den allerersten Sportler, deren Wettkämpfe regelmässig medial von der Sportnation begleitet wurden. Er ebnete damit in Deutschland den Weg für die nationale Begeisterung am Sport als Live-Event. 

Lieber Boris Becker, 

Herzlichen Glückwunsch zu dieser einzigartigen Karriere und dem 40. Jubiläum Ihres ersten Wimbledonsieges 1985 !

Chapeau für diese Leistungen und vielen Dank für die vielen besonderen Momente während ihrer erfolgreichen Tenniskarriere, die sie Ihren Fans bereitet haben !

Tim Scheffczyk

Zum Autor: Tim Scheffczyk ist hauptberuflich als Data Scientist tätig. Seine Leidenschaft ist es neben dem Beruf den Sport aus der statistischen Perspektive zu beleuchten. Für die Tischtennisbundesliga erstellt er seit 2018 die offiziellen Spielprognosen für die Tischtennisbundesliga. Parallel dazu widmete er seine Prognosen und Analysen bereits vielen verschiedenen Sportarten wie Tennis, Fußball, Darts, Zehnkampf, Badminton und dem Radsport.

 

von Tim Scheffczyk

Mittwoch
11.06.2025, 11:45 Uhr
zuletzt bearbeitet: 11.06.2025, 07:45 Uhr