Andy Murrays eigensinnige Wege – mit Amélie Mauresmo auf zu neuen Höhen?
Andy Murray steht in Wimbledon nicht nur im Mittelpunkt, weil er der Titelverteidiger des Turniers ist.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
24.06.2014, 11:01 Uhr

Von Jörg Allmeroth aus London
Natürlich fehlt in dieserWimbledon-Geschichte all das, was in all den Wimbledon-Geschichten über britische Tennisspieler eine kleine Ewigkeit wie festgemeißelt gestanden hat. Das lange Warten auf einen heimischen Champion, das Versagen der lokalen Matadore unter dem mächtigen Erwartungsdruck der Millionen Fans - und ganz besonders die Jahre, die schon vergangen waren seit dem letzten Sieg von Fred Perry in London SW19. 50 Jahre, 60 Jahre, 70 Jahre. 74 Jahre, 75 Jahre, 76 Jahre. All das hat Andy Murray dann doch endlich zunichte gemacht, vor 50 Wochen, am 7. Juli 2013. Mit dem historischen, denkwürdigen, unvergesslichen Sieg gegen Novak Djokovic, mit einem Sieg, mit dem er auch Perry in seinem Grab „ruhiger ruhen ließ", wie die „Times" damals schrieb.
Jetzt also ist Murray wieder zurück in seinem Revier. Der erste britische Wimbledonsieger der Moderne. Und irgendwie scheint es, als müsse sich Murray gerade noch einmal neu erfinden für die schwere Mission Titelverteidigung, die er unter den äußerst gespannten Blicken der Öffentlichkeit am Montagmit einem Drei-Satz-Sieg gegen den Belgier David Goffin begann.Wenig lief ja für Murray zusammen, seit er an jenem strahlenden Sommertag den Siegerpokal unter Tränen in die Höhe hielt, selbst sein Chefstratege und kongenialer PartnerIvan Lendlist ihm inzwischen ja abhandengekommen. Nun, shocking, shocking, versucht es Murray mit einer Frau als Trainerin, der FranzösinAmélie Mauresmo, die im Tennisbetrieb als Nervenbündel bekannt war, ehe sie als Eiserne Lady doch auch einmal auf den grünen Feldern des All England Clubs gewann.
„PR-Gag" und „Unfug"
So viel lässt sich dazu schon einmal sagen: An Mut und der Courage zu überraschenden, unpopulären, aus der Reihe fallenden Entscheidungen mangelt es dem Vorjahres-Helden der Nation weiter nicht. Was man schon an der Aussage der letzten britischen WimbledonsiegerinVirginia Wadefestmachen kann, die Murrays Wahl als „PR-Gag" geißelte, als „Unfug" gar, der „alles komplett durcheinanderbringt". Wade steht keineswegs allein mit dieser Meinung, sie war allerdings die einzige Kritikerin, die sich aus der Deckung wagte. Die Zweifel, ob sich Murray mit Mauresmo zu ähnlichen Höhen aufschwingen kann wie mit Lendl, der grimmigen, strengen Lehrkraft, sind, gelinde gesagt, mächtig. Und weit verbreitet. „Dass sie zusammen lachen und Spaß haben im Training, sagt noch nicht viel aus", stichelte bereits Ex-FlegelJohn McEnroe, „ich bin gespannt, was da rauskommt."
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Mit dieser Neugier steht er nicht alleine, denn Murray hat mit der Verpflichtung von Mauresmo ja auch eine Art Naturgesetz gebrochen - nämlich, dass männliche Superstars nur von männlichen Übungsleitern trainiert werden. Zwar gibt es in den hinteren Reihen der Weltrangliste auch ein paar Spieler, die von ihren Müttern und Trainerinnen geführt werden, doch niemals gab es eine vergleichbare Kooperation im exklusiven Führungszirkel der Herren-Tour. „Ein interessantes Experiment" hat Roger Federer die Partnerschaft mit aller diplomatischen Etikette genannt, aber als er selbst unlängst noch einen Mentor brauchte, holte er sich ja keineswegs seine Landsfrau Martina Hingis oder Martina Navratilova, sondern den alten Schweden Stefan Edberg.
„Ich warte noch auf den Tag, an dem Wayne Rooney über ein Match von mir spricht"
Das Interessante und Bemerkenswerte ist, wie cool Murray das große Diskussionsrauschen ignoriert. Und gar nicht wortreich verteidigt, was er für den richtigen Schachzug im richtigen Moment gehalten hat. Während Wimbledon verbiete er sich fast alle Kontakte zur Außenwelt, ließ er am Montag nach seinem Auftaktsieg wissen, „keine Zeitungen, kein Internet, kein Fernsehen". Murray, das war die Botschaft, ist sich selbst genug: „Ich mache mein Ding, Ende und aus", sagte er. Manch törichter Frage in den obligatorischen Pressekonferenzen kann er gleichwohl nicht entkommen, etwa der, ob er nun nach dem Scheitern der englischen Kicker den Sportsommer retten müsse. Murray lächelte verbindlich, konterte aber kühl: „Ich warte noch auf den Tag, an dem Wayne Rooney über ein Match von mir spricht." Auch die Frage, ob er sich mit der Hobbywinzerin Mauresmo schon über Weinthemen unterhalten habe, nahm der Schotte tapfer hin - und verneinte: „Das wäre ein ziemlich einseitiger Dialog. Ich habe kaum Ahnung von Wein."
Dafür umso mehr vom Tennis. Und da finde er in Mauresmo eine „ruhige, überzeugende Erklärerin des Spiels", jemanden, der weiß, „wie die Dinge bei einem Grand Slam funktionieren." So ist er denn auch als Avantgardist unterwegs in diesem Wimbledon-Jahr, das ganz besonders von seinem Anlauf zur Titelverteidigung geprägt wird - Murray muss sich zwar selbst nicht überzeugen, dass eine Frau genau die Richtige ist auf dem Thronweg. Aber doch noch fast die ganze Tenniswelt und das Vereinigte Königreich seiner Fans.
Hier die Herren-Ergebnisse aus Wimbledon.