Wimbledon: Grigor sehen und leiden
Grigor Dimitrov und sein Tennis sind immer noch eine Augenweide. Aber sie befördern auch graue Haare. Wenn man noch welche hätte.
von Florian Goosmann aus Wimbledon
zuletzt bearbeitet:
03.07.2025, 18:06 Uhr

Grigor Dimitrov wirkt mittlerweile wie aus einer anderen Zeit.
Reine Ballkünstler haben es inzwischen schwer im Welttennis, in dem enormer Zug (Jannik Sinner) sowie unfassbare Wucht (Carlos Alcaraz) den Ton angeben. Verstärkt wird Dimitrovs klassischer Eindruck durch seine Ausrüster Lacoste und Wilson, zwei Edelmarken. Dass der gute Gregor einer von uns ist, vermittelt er durch die rückwärts getragene Kappe und den eben nicht hochgestellten Kragen (Gruß an Fabio Fognini).
Dimitrov an guten Tagen zuzuschauen, ist ein Erlebnis, immer noch; ihm an schlechten zuzusehen, eine Tortur; an mittleren: geht's so. Sein Spiel gegen Corentin Moutet ist zwischen letzteren beiden Kategorien anzusiedeln.
Es ist ja der Fluch der Spieler mit der feinen Klinge, dass sie auch dann spielen wollen, wenn's der Prozentschlag getan hätte; Dimitrov ist da keine Ausnahme. Und wenn der difficile Volleystopp auf den gegnerischen Slice misslingt; der vermeintliche Winner auf einen zu lang geratenen Stopp mit seitlichem Drall statt Entschlossenheit weit im Aus landet - ja, dann zehrt das an einem.
Dimitrov hatte in seiner zweiten Runde gewissermaßen Glück, mit Corenton Moutet einen Gegner zu haben, der einem nicht weh tun, aber anstregend sein kann. Wie sagte es schon der große Arthur Spooner: “Wusstest du, dass ich es bin, der mir im Weg steht?”
Wer quält hier wen?
Dimitrov vergab also eine frühe Breakführung im ersten Satz, gewann ihn aber im Nachfassen. Er fing sich ein äußerst unnötiges Break zu Beginn des zweiten Durchgangs ein, dem er erfolglos hinterherlief (zu Beginn des dritten Satzes hatte er knapp zehn Punkte mehr gemacht). Im dritten Durchgang dann spürte man beim Break zum 3:1 eine überraschende Entschlossenheit (druckvolles Tennis, merhfach die Faust), just beim Ausservieren aber legte Moutet tatsächlich ein gutes Returnspiel hin (Dimitrov holte sich den Satz im Nachfassen). Und als man gerade dachte (großer Fehler!), Dimitrov würde nach dem 2:0 im vierten Satz nun durchrauschen, legte der beim 30:0 zwei wirklich, wirklich, wirklich völlig unnötige Volleys ins Netz und brachte Moutet wieder ins Match zurück.
Der Franzose schlug sich danach, wie es die Franzosen nun mal machen, energisch auf die Brust - fast so, als hätte er tatsächlich etwas zu diesem Break beigetragen. Und die drei Ballermann-Touristen ("MOOUUUUTET, MOOUUUTET") am Spielfeldrande, die zwischenzeitlich (nach wohl nächtlichem Queueing) mal kurz im Nachmittagstief hingen, waren nun auch wieder agil. Moutet gelang zum Dank kurz darauf mit einem Tweener-Lob-Winner der Punkt des Tages.
Wobei man ihn auch mal loben muss. Er holt ja schon das Maximum aus seinen Spiel raus, die üblichen Mätzchen ließ er ebenfalls größtenteils aus. Zwei, drei Mal flog der Schläger und ein Mal fast ein Ball in die Prärie - Moutet aber besann sich rechtzeitig und warf ihn sich sinnigerweise selbst an den Kopf.
Dimitrov quälte sich am Ende durch, 7:5, 4:6, 7:5, 7:5 hieß es dann endlich. Es spricht für Dimitrovs Resilienz, sich seine drei Sätze allesamt im Nachfassen geholt zu haben.
Dimitrov ist halt ein Guter
Aber die Gedanken, sie hängen, wie immer bei Dimitrov, am Hätte, Wäre, Wenn. Die “Baby Fed”-Zeiten sind längst vorbei, schon 2019 hatte er bei den French Open einem besonders originellen Zuschauer auf dessen “Come on, Baby Fed” zurückgegeben: “Do I look like a baby to you?”
Dimitrov hatte sich nach einem retromäßigen Jahr 2024 mit ungeahnter Konstanz noch mal unter die Top Ten gespielt, zuletzt vor allem aber durch viele Aufgaben von sich reden gemacht, man sprach nach vier Verletzungen bei den vergangenen vier Major schon vom “Dimitrov-Slam”.
34 Jahre ist er nun alt, vor elf Jahren (!) stand er zum einzigen Mal im Halbfinale von Wimbledon. Im Achtelfinale in diesem Jahr könnte nun Jannik Sinner warten, es wäre ein Clash der Generationen und Spielstile, und mit einem Dimitrov in Hochform ein spannendes Matchup. Ob Grigor sich noch mal aufschwingen kann? Dazu müsste er zunächst Tommy Paul oder Sebastian Ofner schlagen.
Am Ende des Spiels gegen Moutet applaudierte Dimitrov beim Abgang des Franzosen, die beiden klatschten sich noch mal ab - Dimitrov ist ja zurecht einer der beliebtesten Spieler der Tour. Und wenn man ihn zwischendurch dabei erwischt hatte, wie er die Plastikverschlüsse seiner Snackpackages vor und seitlich seiner Bank verteilte, aus Frust über den verlorenen zweiten Satz, musste man innerlich schnell Abbitte leisten für diese Gedanken. Es waren letztlich nur kleine Eisstücke des Eisbeutels. Die Dimitrov wenige Sekunden später mit dem Schläger hinter seine Bank beförderte, wo sie entspannt dahinschmelzen konnten.