Wimbledon im Schatten des Krieges: Die Diskussion hält an
Der Angriffskrieg auf die Ukraine überschattet auch den Turnierbeginn in Wimbledon. Die Tenniswelt bleibt nach dem Ausschluss der russischen und belarussischen Profis gespalten.
von SID
zuletzt bearbeitet:
28.06.2022, 14:49 Uhr

Novak Djokovic sagt von sich, er sei ein Kind des Krieges, "mehrerer Kriege in den 90er Jahren", um genau zu sein. Aufgewachsen in Belgrad inmitten der Balkankriege weiß er um das Leid der Menschen, er versteht den "Frust" seiner Tenniskollegen aus der Ukraine - und hält den Ausschluss der russischen und belarussischen Profis in Wimbledon dennoch für die falsche Entscheidung.
Der Bann sei "nicht fair", sagte Djokovic vor seinem Auftaktsieg gegen Kwon Soonwoo aus Südkorea: "Keiner von ihnen unterstützt den Krieg." Nicht der Weltranglistenerste Daniil Medvedev, der sich am Montag demonstrativ beim Golfen fotografieren ließ, und auch nicht die belarussische Top-Spielerin Aryna Sabalenka.
Und dennoch fehlen sie beim prestigeträchtigsten Tennisevent der Welt. Die Entscheidung sei "unheimlich schwer" gefallen, wiederholte Wimbledonchefin Sally Bolton vor Turnierbeginn, letztlich war sie aber alternativlos - und zumindest für die Ukraine "ermutigend", wie Ex-Profi Sergiy Stakhovsky im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte.
"Nichts sollte wichtiger sein als Menschenleben - Wimbledon macht das klar", sagte Stakhovsky, der einst auf dem "Heiligen Rasen" Roger Federer geschlagen hatte, und heute sein Land gegen die Angreifer aus dem Osten und Norden verteidigt. Der Bann, sagte Stakhovsky, richte sich dabei nicht gegen die Profis, sondern "gegen das System. Sport ist nichts anderes als russische Propaganda."
Tsurenko: "Fühle mich gut, weil ich die Spielerinnen aus diesen Ländern nicht sehen muss"
Das sieht auch seine Landsfrau Lesia Zurenko so, nach ihrem Erstrundensieg am Montag sagte sie: "Es gibt gute Gründe für alle Sanktionen. Natürlich ist die Entscheidung die richtige, die Sanktionen sind richtig." Und sie sagte auch: "Ich fühle mich gut, weil ich die Spielerinnen aus diesen Ländern nicht sehen muss. Das ist in den meisten Fällen nichts Persönliches. Nur: Wir befinden uns mit diesen Ländern im Krieg."
In der nächsten Runde trifft Zurenko auf Anhelina Kalinina, ebenfalls aus der Ukraine und ebenfalls vom Krieg gezeichnet. Das Haus ihrer Familie ist zerbombt worden. Sie stören die andauernden Diskussionen: "Wir können doch den Bann nicht mit dem vergleichen, was gerade in der Ukraine vor sich geht. Mit all den Toten, den Flüchtenden, mit den Leuten, die kein Geld haben, keine Familie, keinen Job."
Djokovic zeigt Verständnis, für ihn sei es "schwierig zu beurteilen, was richtig oder falsch ist". Doch er leidet mit den Ausgeschlossenen und ist damit nicht alleine. Etliche prominente Spieler, darunter auch Rafael Nadal und Alexander Zverev, hatten sich vor Turnierbeginn gegen die Entscheidung des All England Club positioniert.
Keine Punkte in Wimbledon - "weiß nicht, wem das hilft"
Nun läuft das Turnier - und die Diskussion hält an. Allerdings verlagert sich die Kritik, sie trifft immer häufiger die ATP und die WTA, die Wimbledon die Punkte für die Weltrangliste entzogen haben. "Ich weiß nicht, wem das hilft", sagte der zweimalige Wimbledonsieger Andy Murray: "Alle Spieler sind hier, ich sehe nicht, wie das die ATP weiterbringt."
Sally Bolton zeigte sich am Montag "erleichtert", über das herausragende Teilnehmerfeld, das "für sich sprechen" würde und nutzte die Gelegenheit, um erneut ihre Enttäuschung über die Spielerorganisationen kundzutun. Der Punkteentzug sei "eine unverhältnismäßige Entscheidung angesichts der Situation, in der wir uns befanden und im Kontext der globalen Lage". ATP und WTA würden damit "alle Spieler bestrafen", sagte Bolton.
