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Angelique Kerber - Wimbledon als Lebenswerk

Der 14. Juli 2018 ist in die deutsche Sportgeschichte eingegangen - als jener Tag, an dem Angelique Kerber ihr Lebenswerk im All England Lawn Tennis Club gekrönt hat.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 22.12.2018, 21:23 Uhr

Unglaublich, aber wahr: Angelique Kerber ist Wimbledonsiegerin
© Jürgen Hasenkopf
Angelique Kerber in Wimbledon

Es ist ein strahlend schöner Tag, als Angelique Kerber spät in diesem Jahr in einem Münchner Hotelfoyer sitzt. Sie hat gerade einen Sponsorentermin hinter sich gebracht. Nun ist sie in aufgeräumter Stimmung, sie ist, was selten bei ihr vorkommt, in richtiger Plauderlaune. Vielleicht hat es damit zu tun, dass sie an einen noch strahlenderen Tag denkt, an den Tag ihres Wimbledonsieges in diesem Jahrhundertsommer. Ob man mit einem leichteren Gefühl durch den Tag geht, wenn man diesen Sieg denkt, ist eine Frage an Kerber. Sie muss da nicht lange überlegen, bevor sie sagt: „Es macht einen gelassener, entspannter. Es sorgt für innere Ruhe. Weil ich weiß: Ich habe diesen Sieg geschafft, den größten aller möglichen Siege.“

Kerber, die ruhige, zurückgenommene, eher öffentlichkeitsscheue Kielerin, stand lange im Schatten anderer Generationskolleginnen, etwa Andrea Petkovic oder auch Julia Görges. Aber während bei den Mitstreiterinnen, eben auch bei Lisicki, die Erfolgserlebnisse eher so etwas wie blitzlichtartige Momentaufnahmen waren, eher flüchtig und sehr vergänglich, zeigte das tüchtige Nordlicht schon Stabilität auf hohem Niveau, bevor sie überhaupt einer breiteren Öffentlichkeit so richtig bekannt wurde. Sie gewann Topturniere, sie stand in den Top Ten, sie qualifizierte sich regelmäßig für die Weltmeisterschaft zum Saisonschluss, sie genoss Anerkennung und Respekt in der Szene der herumziehenden Tenniskünstler. Aber es fehlte eben der große, aufsehenerregende Coup. Und die wirkliche öffentliche Wertschätzung.

Kerbers Erfolg kommt nicht als Einmal-Knaller

Der Erfolg kam, fast typisch für Kerber, schließlich nicht als Einmal-Knaller daher. Sondern in Form einer Traumsaison. 2016 war das, Kerber hatte auf einmal das Gespür für die Siege in den ganz großen Matches, sie gewann gleich das erste Spitzenevent in Melbourne, die Australian Open – nicht gegen irgendwen, sondern gegen Serena Williams. Und dann ging es 2016 weiter, immer weiter. Wimbledon-Finale, eine knappe Niederlage gegen Williams. Dann die olympische Silbermedaille. Und dann der Sieg bei den US Open, der Sprung auf Platz 1 der Weltrangliste. Und schließlich auch noch mal die Finalteilnahme bei der WTA-WM. Es war eines der besten Jahre, die überhaupt eine Tennisspielerin in jüngerer Vergangenheit gespielt hatte, Kerber war ganz oben angekommen.

Und doch. Nichts kam dem Tag gleich, den Kerber viel später erlebte. Natürlich geht es um Wimbledon, es ist Samstag, der 14. Juli 2018, um 18.22 Uhr deutscher Zeit. Es ist ein Bild für die Ewigkeit. Das Bild, wie Kerber hinabsinkt auf den heiligen Rasen, im Augenblick des größten Glücks. Das Bild der Königin des All England Club, die Freudentränen weint. Und natürlich ist der ewige Bezug nicht weit in diesem strahlenden, historischen Moment, der Bezug zu Steffi Graf, der Legende. Kerber wird zur ersten Spielerin, die es seit Graf auf den Wimbledon-Thron geschafft hat, 22 Jahre nach der Großmeisterin.

Ich habe jede Sekunde Wimbledon geschaut

Sie hat ihr Erbe auch hier angetreten, im grünen Tennisparadies, dort, wo es zählt im Tennis. „Wimbledon ist das Turnier der Turniere“, sagt Kerber in einem der vielen Interviews an jenem  Abend, „und es zu gewinnen, war der Traum der Träume.“ Und zwar seit jenen Kindertagen, als Kerber daheim vor dem Fernseher saß und Graf sah, ihr Idol. „Ich habe jede Sekunde Wimbledon geschaut, stundenlang, tagelang“, sagt Kerber später aus der Erinnerung, „und am Ende hat fast immer Steffi gewonnen.“

Eine Saison zum Vergessen

Wimbledon war immer der Fixpunkt im Denken und Handeln bei Graf. Und er ist es auch bei Kerber gewesen. „Wegen Wimbledon habe ich eigentlich angefangen, Tennis zu spielen“, sagt die 30-jährige, „ich wollte es immer einmal gewinnen. Wenigstens ein Mal.“ 2017 war dieses Ziel aber weit, weit entfernt. Kerber war aufs Neue in die Krise gerutscht, tiefer sogar als zuvor - dem gigantischen Jahr 2016 folgte schließlich ein schwarzes Jahr.

Eine Saison zum Vergessen. Kerber kämpfte mehr mit sich selbst als mit ihren Gegnerinnen. Sie wollte alles gut machen, die Matches auf dem Platz gewinnen, eine ansehnliche Figur abgeben in der Terminhatz der Nummer eins-Spielerin. Aber es funktionierte nicht, Kerber wurde zur Zweiflerin, zur Grüblerin.

Auch daran muss Kerber denken, als sie ein paar Monate nach ihrem Triumph in der Lobby ihres Münchner Hotels sitzt. „Viele denken, du musst einfach nur zwei Wochen deine Form finden, hier und da auch ein bisschen Glück haben, und dann wird das auch was mit dem Titel“, sagt Kerber, „aber in Wahrheit ist Wimbledon die Langstrecke. Bei mir war es ein Sieg mit Marathon-Vorlauf. Ich brauchte viele, viele Jahre, um dieses Puzzle zusammenzukriegen.“

Nicht der erste Grand-Slam-Sieg

Und dazu gehörten eben auch die bitteren Momente in manch anderen Spielzeiten, auch das verlorene Finale 2016, so Kerber: „Das alle steckt auch in dem Sieg drin, diese Erfahrungen und Enttäuschungen, das Auf und Ab.“ Auch dies gibt Kerber noch zu Protokoll, ganz betont, sozusagen mit Ausrufezeichen: „Es ist gut, dass Wimbledon nicht der erste Grand-Slam-Sieg war. Sonst hätten viele gesagt: Zufallstreffer, Überraschungsding. 2018 war der Höhepunkt eines Reifeprozesses, der letzte Akt meines komplizierten Comebacks. Der Sieg in London stand auch für eine neue Angelique Kerber.“

Alles endete in jenem Moment, in jener Szene, die sich Kerber jederzeit an jedem Ort plastisch ins Gedächtnis rufen kann – die Siegerehrung mit ihr drin als Hauptperson: „Als ich die Siegerschale hochhielt, war es die absolute Krönung. Wenn ich daran denke, kriege ich immer noch Gänsehaut. Dieser Moment war der Lohn für ein ganzes Tennisleben, für Tausende Stunden harter Arbeit.“ Und, was hat dieser Tag und dieser Sieg verändert? Kerber lächelt in ihrem Loungesessel, sie schaut für einen Augenblick hinaus in den blauen Münchner Himmel. Dann sagt sie: „Wimbledonsiegerin, das ist der Höchstpreis. Ich war nie stolzer auf mich als an jenem Tag.“

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