Angst im Kopf: Warum positives Denken allein nicht reicht
Viele Matches werden im Kopf gewonnen. Der Tennis-Insider Marco Kühn hat dazu mal wieder spannende Gedanken formuliert.
von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet:
25.05.2022, 04:42 Uhr

Sie wollte nur eine Kleinigkeit aus dem Keller holen. Doch auf dem Weg die Treppe hinunter ins kühle Dunkel stand er plötzlich vor ihr. Sie sah ihn deutlich, obwohl sie es nicht glauben konnte. Kurze, dunkle Haare. Hose und ein Shirt. Der kleine Junge schien echt. So schnell sie ihn sah, so schnell war er auch wieder weg.
In dem großartigen Film "The Conjuring" ziehen im Jahre 1971 Carolyn und Roger Perron mit ihren fünf Töchtern in ein altes Farmhaus. Der Einzug klappt reibungslos. Das Haus wird nach ihren Vorstellungen - inklusive wunderschöner Dekoration - eingerichtet. Aber irgendwas scheint nicht zu stimmen. Neben dem kleinen Geisterjungen, den Carolyn im Keller gesehen hat, greift der Geist einer älteren Dame sogar eine der Töchter an.
Dominic Thiem befindet sich noch in einem Spukhaus
Ähnlich gruselig wie in dem Haus der Perron`s geht es in unseren Köpfen auf dem Tennisplatz vor. Obwohl man sich vor einem Match so perfekt wie möglich vorbereitet, seine Schläge trainiert, Spielzüge durchgeht und einen kleinen Matchplan aufstellt, so scheint im Match ein Dämon im Kopf sein Unwesen zu treiben.
Als würde eine übernatürliche Kraft über uns Besitz ergreifen reden wir uns schlecht, verzweifeln an unserer zuvor gestellten Erwartung und können nicht im Ansatz das auf den Platz bringen, was wir eigentlich können. Dominic Thiem befindet sich derzeit leider noch mitten in einem solchen Spukhaus. Er will, er kann - aber irgendetwas scheint noch zwischen ihm und einem erlösenden ersten Sieg nach seinem Comeback zu stehen. Was könnte dieses "Etwas" sein? Wir werfen mal einen gezielten Blick in den Kopf von uns Tennisspielern
Das positive Denke
Sven ist ein spielerisch hervorragender Spieler, der motiviert ist am Wochenende seinen Einzelpunkt für sein Team zu holen. Er trainiert innerhalb der Woche dreimal, nimmt zusätzlich noch eine Trainerstunde und versucht durch positives Denken seinen Kopf für das Wochenende auf Erfolg zu programmieren. Er bereitet sich dafür bestmöglich auf sein Match vor. Er googelt den Gegner nicht, fokussiert sich auf seine spielerischen Stärken und geht mit Selbstvertrauen aus seinen Trainingssessions in das Match.
Leider hat Sven einen Zwirbler erwischt, der aufgrund seines extremen Vorhandspins und dem ekligen Rückhand-Slice Sven`s spielerische Stärken komplett aus dem Spiel nimmt. Sven unterlaufen zahlreiche Fehler bereits zu Beginn es Matches. Er hadert mit sich, dem langsamen Platz, den Löchern auf Höhe der T-Linie, dem sich ständig drehenden Wind und der Spielweise des Gegners.
Schnell liegt Sven 1:4 hinten und sitzt nun mit einer Menge Frust und Verzweiflung auf der Bank. Den Platz des positiven Denkens in seinem Kopf hat nun ein ziemlich großer Berg Enttäuschung eingenommen. Sven befindet sich in einem Spukhaus, ähnlich wie die Familie Perron aus dem Intro dieses Artikels.
Die entscheidende Komponente für ein starkes Match
Warum kennen so viele Tennisspieler die Geschichte von Sven? Beim Tennis wird immer sehr viel davon gesprochen, wie viel denn der Kopf über Sieg oder Frust entscheidet. Aber wie genau funktioniert das denn? Was kann man als Spieler tun, um diese so entscheidende Komponente zu trainieren?
Wir haben aus Sven`s Beispiel gelernt, dass positives Denken allein leider nicht reicht, um in dem Wahnsinn eines Tennismatches einen klaren Kopf, voll fokussiert und konzentriert, zu bewahren. Es braucht neben dem positiven Denken noch eine weitere Komponente, die maßgeblich darüber entscheidet, welche Performance man im Match zeigen kann.
Und diese Komponente sind die Emotionen.
Das Katastrophen-Szenario
Wir bleiben bei Sven und analysieren kurz, wo bei ihm der Fehler im Denksystem war. Im Unterbewusstsein entsteht durch ein gutes Training fast schon automatisch eine Erwartungshaltung an das bevorstehende Match. Jeder Spieler weiß, dass Training und Match zwei vollkommen verschiedene Sportarten sind. Aber dennoch weckt ein starker Trainingsauftakt euphorische Emotionen. Was auf der einen Seite richtig, auf der anderen aber auch gefährlich ist.
Im Training spielen wir befreit, locker und mit einer zumeist neutralen bis positiven Emotion. Im Match aber wird, unter anderem durch die fast automatisch erstellte Erwartungshaltung, diese Emotion verändert. Durch viele verschiedene Umstände wie Gegner, Matchverlauf, ärgerliche Fehler oder das Wetter fühlen wir uns hilflos, kraftlos und in manchen Matches auch schlicht nicht in der Lage gewinnen zu können.
Da stellt man sich die Frage, wie man sich so vorbereiten kann, um die entscheidende Komponente der Emotionen besser für sich nutzen zu können. Und eine mentale Technik dafür ist das Katastrophen-Szenario. Ja, du hast richtig gelesen. Du bereitest dich vor einem Match gedanklich auf den Worst-Case vor. Das bedeutet nicht, dass du ein mit hängenden Schultern auf der Bank sitzender Pessimist sein sollst. Viel mehr bist du ein Realist, der für den psychisch sehr fordernden Verlauf eines Matches auf alles vorbereitet ist.
Bei einem Katastrophen-Szenario ist es wichtig, dass man sich auf die Bereiche fokussiert, über die man Kontrolle hat. Leider hat man nicht immer die Kontrolle darüber, ob die Vorhand-Longline bei 4:4 und 30:30 noch das Band streift oder knapp daneben im Aus landet. Wir haben aber Kontrolle darüber, wie wir auf solche eventuellen Rückschläge reagieren.
Mit diesem Gedanken auf der Bespannung könnte ein Katastrophen-Szenario-Plan wie folgt ausschauen:
- Lege fest, welche Schlagvariationen du spielen willst, wenn du dich unsicher und ohne Selbstvertrauen fühlst (Tipp: Ich würde erstmal hoch und mit mehr Spin und Länge spielen)
- Bereite dich mental darauf vor schnell mit 0:3 oder 1:4 zurückzuliegen. Wie könntest du mit einer solchen Situation umgehen? Willst du den Satz laufen lassen, um im zweiten anzugreifen? Oder willst du einfach nur um jeden Ball fighten? Lege dies für dich fest
- Wie willst du dein Spiel umstellen, wenn deine große Stärke (z.B. Vorhand) nicht funktioniert?
Wie kann ein solcher Katastrophen-Plan deine Leistung im Match verbessern? Da du mental auf Rückschläge vorbereitet bist, kannst du emotional cooler reagieren. Du wirst nicht rasant in einen negativen Kreislauf gezogen, der dich schwindelig zurück lässt und deine Leistung massiv negativ beeinflussen kann.
Fazit
Wir haben mit einem Spukhaus begonnen und sind mit einem Katastrophen-Plan zu Ende gekommen. Lass uns kurz noch festhalten, was dazwischen in diesem Artikel passiert ist und was du für dein Tennis mitnehmen kannst.
Training und Match sind zwei verschiedene Disziplinen, in denen allen voran die Emotionen eine gravierende Rolle spielen
Positiv zu denken ist wichtig, reicht aber leider für grandiose Leistungen im Turnier nicht aus. Mindestens ebenso wichtig sind deine Emotionen und wie du diese kontrollieren kannst
Wer es schafft sich ausschließlich auf die Bereiche eines Tennismatches zu fokussieren, auf die er selbst Einfluss hat, der ist mental ein sehr großen Schritt weitergekommen
Eine mögliche mentale Technik, um den Wahnsinn eines Matches im Kopf besser zu bestehen, ist ein Katastrophen-Szenario-Plan
Alles klar, das war es von meiner Seite. Ich wünsche dir viel Spaß und Erfolg bei deinem nächsten Match.