ATP Finals London: Roger Federer - Der Maestro als freischwebender Künstler

Roger Federer geht seine eigenen Wege. Und diese Wege dienen nur einem Ziel: Aus der Endphase seiner Karriere am das Bestmögliche herauszuholen.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 14.11.2019, 08:32 Uhr

Roger Federer ist mit sich im Reinen
© Getty Images
Roger Federer ist mit sich im Reinen

Es ist ein kleines Weilchen her in diesem Jahr, als Roger Federer in einem Schweizer Tennisclub über die letzte Phase seiner Karriere sprach. Und über die Zeit danach, ohne Tennis, ohne den Termin- und Ergebnisdruck, ohne das Leben aus dem Koffer. Er freue sich auf „Abenteuer“ auf der Tennistour in nächster Zeit, „auf das Ungewisse“, auf das „Unerwartete“, „auf „Wochen, die mir auch einfach Spaß machen.“

In diesen Tagen spielt Federer nun zwar bei einem erfreulichen Pflichttermin, an einem gewohnten Ort, zum sage und schreibe siebzehnten Mal ist er beim Saisonfinale der besten Acht dabei, bei der WM in London. Gewinnt er am Donnerstag im Alles-oder-Nichts-Gruppenmatch gegen Novak Djokovic, ist er auch weiter im großen Spiel um den Titel dabei, als Halbfinalist zunächst einmal.

Aber abseits dieses WM-Engagements ist gerade in den letzten Wochen deutlich geworden, was Federer damals in seiner Heimat meinte, an seinem verschwiegenen Trainingsort: Der Maestro ist auf der Zielgeraden seiner Laufbahn auch zu einem ziemlich freischwebenden Künstler und Unternehmer geworden, zu einem Mann, der sich von vielen alltäglichen Zwängen und Regularien seines Sports befreit.

Federer geht, mehr den je, seine eigenen Wege, verfolgt eigene Interessen. Natürlich weiß Federer, dass ihn dabei viele in der Branche argwöhnisch beäugen, auch weil er viele Turniere außen vorlässt und die Absichten mächtiger Player durchkreuzt. Aber andererseits ist auch klar: Wem sollte Federer nach all den Jahren, nach all seinen Diensten und Verdiensten, noch etwas schulden in seinem Sport. „Dass er jetzt an sich denkt, etwa auch daran, wie er Tennis am besten mit seinem Familienleben kombinieren kann, ist das Normalste auf der Welt“, sagt sein Landsmann Marc Rosset, der frühere Spitzenprofi.

Federer sagt ATP Cup ab

Gerade in den nächsten Wochen wird deutlich, wie sehr der 38-jährige Vater von Zwillingstöchtern und Zwillingssöhnen auch gegen den Strom von Mehrheiten und fremden Interessen schwimmen kann – und vielleicht auch will. Bei der umstrittenen Davis Cup-Premiere in der kommenden Woche – erstmals wird der Nationenwettbewerb ja als Abschlußturnier ausgetragen – ist Federer in Madrid nicht am Start, er ist nicht nur der prominenteste Verweigerer, er setzt sogar mit einer parallel stattfindenden Schaukampf-Tournee in Südamerika eine Art Kontrapunkt. Pikant genug, dass Alexander Zverev, einer der Stars der nächsten Generation, an Federers Seite ist. Pikant, ja. Aber nicht erstaunlich, denn Zverev ist ja neuerdings bei Team8 unter Vertrag, der Agentur, die Federer und sein Manager Tony Godsick gegründet haben. Federer ist in dieser Angelegenheit auch ein Machtpolitiker, denn mit seinem Laver Cup-Projekt, dem Wettkampf Europa gegen den Rest der Welt, blockiert er den September-Wunschtermin der Davis Cup-Veranstalter um Fußballprofi Gerard Piqué. 

Dass Federer jüngst auch der Spielergewerkschaft ATP sozusagen einen Korb gab, erstaunte die Branche deutlich mehr – auch deshalb, weil sich Federer kürzlich mit seiner Rückkehr in den Spielerrat wieder aktiver in die Sportpolitik eingeschaltet hatte. Doch vor der Tennis-WM verkündete Federer, er werde nicht am neuen Vorzeige- und Prestigeprojekt ATP Cup teilnehmen, zum Jahresbeginn in Australien.

Nach einer Schaukampfserie in China Ende Dezember werde er eine Pause einlegen und Zeit mit der Familie verbringen, teilte Federer mit – nicht gerade zur Freude des Mitveranstalters Tennis Australia, der ja auch in Federers Laver Cup involviert ist. Und auch nicht zum Vergnügen der ATP, die den Laver Cup als offiziellen Bestandteil des Jahreskalenders akzeptierte. Federers Absage wirkte nicht nur knallhart, sie war es auch, eine kühl kalkulierte Interessensrechnung. Grundsätzlich hätte der ATP Cup die ohnehin kurze Saisonpause vom offiziellen Tennis noch weiter verkürzt für ihn, und zudem hätte ohne den zweiten Schweizer Topmann Stan Wawrinka (er hatte sich für das zeitgleich stattfindende Turnier in Doha verpflichtet) keine Aussicht auf Erfolg bestanden.

Wer Federer in dieser Saison spielen sah, wäre niemals auf die Idee gekommen, dass da jemand über den Platz flitzt, dessen Karriere schon vor zwei Jahrzehnten begann. Federer gewann seinen 100. Karrieretitel in Dubai, er gewann auch zum zehnten Mal die Turniere in Halle und Basel, jeweils ein neuer Rekord für ihn. Nur knapp, nach zwei vergebenen Matchbällen im Finale gegen Djokovic, scheiterte er am neunten Wimbledon-Triumph.

Doch Federer ist in dieser Saison auch nicht müde geworden zu betonen, welch penible Detailplanung über Stunden, Tage, Wochen und Monate immer wieder nötig ist, um „den Motor am Laufen zu halten“: „Es ist alles nicht so selbstverständlich, wie es scheint. Man hat nicht mehr den Körper eines 20- oder 30-jährigen“, sagte er auch bei jenem Treffen daheim in der Schweiz. Ein wichtiger Teil aller strategischen Überlegungen sei deshalb auch, „nicht nur die ausgetretenen Wege zu gehen“, sondern „immer mal wieder Neues und Überraschendes“ zu erleben. „Das hält mich frisch, das hält mich im Tennis“, sagte Federer. Er lebt diese Maxime nun auch. Und zwar immer öfters.

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von Jörg Allmeroth

Donnerstag
14.11.2019, 11:45 Uhr
zuletzt bearbeitet: 14.11.2019, 08:32 Uhr

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