Michael Stich exklusiv – „Heute sind nicht mehr alle lieb und nett”

Der Turnierdirektor am Hamburger Rothenbaum spricht mit tennisnet.com über das bevorstehende Turnier in der Hansestadt.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 02.06.2016, 16:52 Uhr

STUTTGART, GERMANY - APRIL 18: Michael Stich reacts during a show match during Day 1 of the Porsche Tennis Grand Prix at Porsche-Arena on April 18, 2016 in Stuttgart, Germany. (Photo by Dennis Grombkowski/Bongarts/Getty Images)

In fünf Wochen beginnt das Tennisturnier am Hamburger Rothenbaum. TurnierdirektorMichael Stichpräsentiert diesmal keine großen Stars, aber viele junge Talente. Im Interview mit tennisnet.com erzählt der 47-Jährige, wie die junge Generation tickt, dass er den Master-Status zurückerlangen möchte und dass es nie wieder einen Tennis-Boom geben wird.

Herr Stich, der JungprofiAlexander Zverevschmückt das Plakat Ihres Tennisturniers am Rothenbaum. Große Namen wie Federer oder Nadal fehlen. Hängt der Erfolg Ihres Turniers nun davon ab, wie weit die Deutschen kommen?

Nicht mehr als in den vergangenen Jahren auch. Es ist immer wirksam, wenn ein Deutscher ein starkes Turnier spielt. Alexander Zverev ist aufgrund seines Alters und seiner Entwicklung die letzten Jahre immer eine Story gewesen - das wird diesmal genauso sein.

In der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, dass die Zukunft des deutschen Herrentennis von Zverev abhängt. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?

Alexander hebt sich von der Masse ab, weil er das Tennis wirklich versteht. Er hat taktische und spielerische Momente, die vielen anderen jungen Spielern fehlen. Er muss sich natürlich körperlich weiterentwickeln. Das weiß er, und daher arbeitet er sehr professionell mit seinem Fitness- und Bewegungstrainer. Auch spieltechnisch gibt es Luft nach oben. Dadurch kommen Niederlagen wie zum Beispiel in Paris gegenDominic Thiemzustande. Aber er braucht solche Spiele, um sich weiterzuentwickeln.

Das Motto Ihres Turniers lautet:„Die jungen Wilden greifen nach der Rothenbaum-Krone.”Damit wird auf Teilnehmer wie Zverev oder Thiem hingewiesen. Was zeichnet die junge Generation aus?

Es gibt einige junge Profis, die sich nicht dem Establishment unterwerfen. Dazu gehören auch Spieler wieTaylor Fritz,Nick KyrgiosoderPablo Carreno Busta.Das sind richtig gute Typen, die erfolgreich sein wollen und ihren eigenen Weg gehen. Sicherlich haben sie Vorbilder wie Federer oder Nadal. Von der Persönlichkeit her sind sie aber komplett anders. Die meckern auch einmal auf dem Platz oder schmeißen den Schläger hin. Die Zeiten, in denen alle lieb und nett waren, sind vorbei. Das finde ich sehr angenehm. Ungewöhnlich ist, in welch jungem Alter diese Profis in die Top 100 vorgedrungen sind. Der durchschnittliche Spieler gelangt erst mit etwa 28 Jahren dorthin, weil die körperlichen Aspekte wichtiger geworden sind.

Wie viele große Namen gibt es überhaupt noch im Tennissport, die wirklich viele Fans anziehen?

Roger Federer, Rafael Nadal, Andy Murray und Novak Dokovic sind die Ticketseller - mehr gibt es bei den Herren leider nicht.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass einer dieser Stars kurzfristig zusagt, nach Hamburg zu kommen?

Das ist unser Bestreben, hängt aber auch von den Ergebnissen in Wimbledon ab. Zudem ist abzuwarten, wie sich die Verletzung von Rafael Nadal entwickelt. Unser Ziel ist und bleibt, zumindest alle zwei Jahre einen absoluten Top-Spieler nach Hamburg zu holen.

Wem trauen Sie den Sprung zum internationalen Tennis-Star zeitnah zu?

Für den Japaner Kei Nishikori gibt es einen großen Markt. Ich hätte ihn gerne in Hamburg gehabt, weil er ein sehr interessanter und talentierter Spieler ist. Danach kommen bereits die jungen Spieler wie Thiem oder Zverev, die beim Publikum eine gewisse Neugierde entfachen.

Im deutschen Herrentennis mangelt es momentan an Stars. Mit Zeverev, Philipp Kohlschreiber und Benjamin Becker haben wir nur drei Top-100 Spieler. Alleine schon aufgrund Ihrer Wildcard-Vergabe müssen Sie sich die Frage stellen: Wer kommt danach?

Der junge Marvin Möller hat sich natürlich super entwickelt. Nach Paris dürfte er zu den Top 30 der Jugend-Weltrangliste zählen. Er spielt in unseren Überlegungen durchaus eine Rolle. Leider gibt es aus deutscher Sicht nur wenig Spieler in der zweiten Reihe, die sich für eine Wildcard anbieten. Jan-Lennard Struff ist eine Option. Er hat sich wieder gefangen und ist durch die Challenger-Turniere nach oben geklettert.

Wie sieht es mit Florian Mayer, Tobias Kamke und Julian Reister aus, die in Hamburg bereits starke Turniere abgeliefert haben?

Leider war Florian Mayer lange verletzt. Aufgrund seiner Historie habe ich natürlich die Überlegung im Kopf, ihn mit einer Wildcard zu unterstützen. Julian Reister ist von den Ergebnissen und dem Ranking weit davon entfernt, für das Hauptfeld in Frage zu kommen. Genauso ist es bei Tobias - auch wenn er sich langsam wieder nach oben arbeitet.

Immer wieder wird über die Zukunft der German Open spekuliert. Ein Umbau oder Abriss des Tennisstadions geistert regelmäßig durch die Medien. Wie sehen die Planungen aktuell aus?

Eine grundsätzliche Überlegung, die Anlage zu professionalisieren, ist nicht verkehrt. Wir brauchen natürlich ein Stadion mit verschließbarem Dach. Vielleicht besteht dann sogar die Möglichkeit, außerhalb des Sommers ein Damen-Hallenturnier nach Hamburg zu holen. Wichtig wäre auch, dass wir in einem neuen Stadion eine Kapazität von 10.000 Zuschauern haben.

Klingt so, als wollten Sie den alten Masters-Status wieder zurückerlangen…

Wir haben Investoren, die daran sehr interessiert wären.

Besteht in der Hamburger Wirtschaft überhaupt die Bereitschaft, den Sport zu unterstützen? Nach dem Aus der HSV Handballer und der Hamburg Freezers könnte man daran zweifeln.

Diese Vereine sind nicht an mangelnden Sponsoren gescheitert. Sie wurden von Einzelpersonen betrieben. Deshalb setzen wir auf mehrere Pferde, also auf mehrere kleinere Partner.

Mit bet-at-home.com hat der Titelsponsor Ihnen den Rücken gekehrt. Ist die Zukunft des Turniers dadurch einmal mehr gefährdet?

Es wäre schöner, wenn wir einen Titelsponsor hätten. Wir werden das Turnier auch so über die Bühne bringen. Trotzdem wollen und müssen wir einen Titelsponsor haben. Im nächsten Jahr greifen wir wieder an.

Der Erfolg von Angelique Kerber bei den Australian Openliegt nun fünf Monate zurück. Hat sich das öffentliche Interesse am Tennis nachhaltig gebessert oder war das lediglich ein kurzer Boom?

Woran bemessen wir das Interesse? Wenn wir es an den Öffentlich-Rechtlichen festmachen, hat sich nichts gebessert. Noch immer wird kein Tennis im freien Fernsehen übertragen. Aber in den Vereinen und in der Jugendarbeit ist sicherlich einiges passiert. Dennoch wird es nie wieder einen Tennis-Boom wie zu den Zeiten von Boris Becker, Steffi Graf und meiner Person geben. Einen Boom gibt es immer nur einmal. Was danach kommt, ist nur eine Wiederholung.

Das Gespräch führte Oliver Jensen.

von tennisnet.com

Donnerstag
02.06.2016, 16:52 Uhr