Novak Djokovic – Mental unbezwingbar auf Rekordjagd
Die Saison von Novak Djokovic darf man durchaus als historisch bezeichnen und erinnert an die herausragenden Jahre von anderen Tennislegenden.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
13.11.2015, 06:15 Uhr

Erst am Wochenende purzelte wieder ein Rekord: Mit dem ATP-Masters-1000-Titel in Paris-Bercy sorgte Novak Djokovic für ein weiteres Novum im Tenniszirkus. Nie war es einem Spieler zuvor gelungen, gleich ein halbes Dutzend Turniere dieser Kategorie in einer Saison für sich zu entscheiden. Im Laufe des Jahres reckte der „Djoker“ auch in Indian Wells, Miami, Monte Carlo, Rom und Shanghai die Siegertrophäe in die Höhe. Dazu drei Grand-Slam-Siege in Melbourne, Wimbledon und bei den US Open in New York – eine Serie bei den „Majors“, die ihm auch in der Saison 2011 glückte. Es gab nur wenige Spieler, die ihn 2015 bezwingen konnten. Bei den French Open war das der SchweizerStan Wawrinka, in Cincinnati und Dubai dessen LandsmannRoger Federer, in Montreal behielt der am Finaltag in Paris-Bercy in seine Schranken gewieseneAndy Murraydie Oberhand, und auch AufschlagrieseIvo Karlovicdarf in diesem erlesenen Ensemble nicht vergessen werden – der besiegte „Nole“ im Viertelfinale von Doha.
Unter (fast) Unbesiegbaren
Alles in allem macht das – vor dem Jahresend-Turnier, den ATP World Tour Finals in London – eine Bilanz von 27:1 bei den „Majors“, 39:2 bei den 1000er-Events und eine überragende Gesamtbilanz von 78:5-Siegen (94 %), zu denen im besten Fall noch fünf weitere kommen könnten. An dieser Stelle lohnt ein Blick in die Statistik: Denn auch andere Anführer in Sachen Ranking galten über weite Strecken ihrer Karriere als schier unbesiegbar. Da wäre etwa der mit 302 Wochen an der Spitze der Weltrangliste führende Roger Federer: In seinem wohl besten Jahr 2006 hatte dieser zum Jahresabschluss eine sagenhafte Bilanz von 92:5-Siegen (95 %) aufzuweisen. Nur viermal konnte ihn damals sein ewiger WidersacherRafael Nadalbezwingen sowie einmal Andy Murray. Zwölf Titel standen Ende 2006 beim Eidgenossen zu Buche – darunter auch die drei Grand Slams in Melbourne, Wimbledon und New York. Im Jahr zuvor verlor der „Maestro” gar nur vier Matches, bei 81 siegreichen (95 %).Pete Sampras– wenn auch dessen Erfolgswerte die 87 % in der Jahresabrechnung nicht überschritten – rangierte von 1993 bis 1999 sechsmal in Folge am Jahresende an Position eins der Welt. Oder in den 70ern und 80ern: Da gab es die HerrenJimmy Connors,Björn Borg,John McEnroeundIvan Lendl, mit ebenfalls beinahe unschlagbaren Phasen. Connors etwa holte im Jahr 1974 15 Titel auf der Tour – darunter die drei „Majors“ in Melbourne, Wimbledon und New York. Am Ende des Jahres stand eine Bilanz von 93:4-Siegen. Borg errang 1979 stolze 13 Titel. Lendl siegte 1982 in 15 Finals. McEnroe glänzte 1984 mit 13 Titeln und einer Bilanz von 82:3 (96 %).
Auf dem Weg zu einem Mental-Monster?
Was der Schützling von Boris Becker seit geraumer Zeit auf den Courts dieser Welt zum Besten gibt, mutet erschreckend überlegen, fast erdrückend dominant an.Becker selbst sprach in der französischen Sportzeitung „L’Équipe“ gar von einem historischen Jahr des 28-Jährigen: „Es ist eine der besten Saisons, die je ein Spieler gespielt hat. Vielleicht die beste überhaupt.“ Vor allem seine Fähigkeit, sich in engen Spielsituationen zu fokussieren, mentalem Druck in nahezu jeder Situation standzuhalten, sich auf jeden einzelnen Ballwechsel 100-prozentig zu konzentrieren. Das, was sich Stan Wawrinka im Finale der French Open mit seinem Ausruf „Chaque Point“ fast sinnbildlich immer wieder ins Gedächtnis hämmerte – diese mentale Präsenz scheint Novak Djokovic mehr und mehr verinnerlicht und über nahezu die komplette Saison abrufbereit zu haben. Paul Annacone, Ex-Coach von Pete Sampras und Roger Federer, schrieb nach dem Finale von Paris-Bercy – wenn auch etwas interpretationsbedürftig – auf Twitter:„Just Info unforced error category does not apply when playing Novak – errors due to mental pressure of small targets not measurable.” Der Serbe hat zu seiner körperlichen Fitness, seiner unnachahmlichen Beweglichkeit und seinem unbändigen Willen eine weitere Komponente hinzugefügt, die ihn aktuell so gut wie unbezwingbar macht – mentale Stärke in einer nahezu meditativen Ausprägung.
Und wieder rekordverdächtig
Ein Ende seiner Herrschaft scheint vorerst außer Sichtweite – genauso wie aktuell sein ärgster Verfolger Andy Murray (ohne Komma) mit knapp 7000 Punkten Rückstand in der Branchenwertung. Seit 71 Wochen genießt Novak Djokovic nun ohne Unterbrechung den Platz an der Sonne, und mit insgesamt 172 Wochen an der Spitze der Weltelite konnte er kürzlich John McEnroe hinter sich lassen. Damit steht er mittlerweile auf Rang fünf der ewigen Bestenliste. Auf die Herren Connors und Lendl ist noch eine Verweildauer von knapp unter zwei Jahren an dieser Position erforderlich.
Einen weiteren Rekord kann der „Djoker“ allerdings schon am übernächsten Sonntag brechen: Mit einem Sieg bei den ATP World Tour Finals würde er diesen Wettbewerb als erster Akteur viermal in Folge gewinnen.(Text: red)