Als Anna Kournikova die "Yips" hatte

Die Russin servierte sich 1999 in Melbourne in die Rekordbücher.

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 23.12.2017, 14:01 Uhr

Von Christian Albrecht Barschel

Der Aufschlag ist nicht nur eine der komplexesten Schlagbewegungen im Tennis, sondern wird auch als wichtigster Schlag im Tennis angesehen. Denn der Aufschlag ist der einzige Schlag, auf den man vollständig Einfluss nehmen kann, ohne vom Gegner unter Druck gesetzt worden zu sein. Daher ist es besonders schlimm, wenn man die Kontrolle über diesen Schlag verloren hat und Doppelfehler um Doppelfehler schlägt. Viele Freizeitspieler und ambitionierte Amateurspieler können davon ein Lied singen, wenn der Aufschlag einem ein ganzes Match versaut.

Aber auch einige Profis und Weltklassespieler kennen die Situation, wenn der Aufschlag und seine komplexe Bewegung nicht mehr so abläuft, wie 1000 Mal trainiert - dann, wenn man sich die "Yips" eingefangen hat. Was sind die "Yips" überhaupt? Die "Yips" sind plötzliche ruckartige Muskelzuckungen, die das Aufschlagen erschweren. Dieses Phänomen tritt auch sehr häufig im Golfsport auf. Eines der prominentesten "Yips"-Opfer im Tennis war Anna Kournikova . Zwischen Oktober 1998 und dem Ausscheiden bei den Australian Open 1999 kam Kournikova auf 182 Doppelfehler in nur zehn Matches. In Melbourne servierte sich die Russin in die Rekordbücher.

31 Doppelfehler - und dennoch gewonnen

Ihr unterliefen im Jahr 1999 in der zweiten Runde gegen die Japanerin Miho Saeki unfassbare 31 Doppelfehler. Sie hält bis heute den Rekord in dieser Kategorie - sowohl bei Damen und Herren. Erstaunlicherweise gewann Kournikova dennoch das Match, genauso wie in der ersten Runde mit 23 Doppelfehlern und in der dritten Runde mit 14 Doppelfehlern. Nach insgesamt 73 Doppelfehlern war für Kournikova dann im Achtelfinale Schluss. "Ich bin wirklich frustriert darüber, weil jeder zuguckt. Im Training fühle ich mich gut. Da serviere ich normal, es gibt keine Anzeichen von Doppelfehlern. Aber wenn ich zum Wettkampf komme, passiert irgendwas. Ich muss darüber hinwegkommen und versuchen, das zu bekämpfen, wie ich es heute geschafft habe", sagte Kournikova nach ihrem "Rekordmatch".

"Es ist mehr ein biomechanisches Problem als ein Kopfproblem", sagte der renommierte Psychologe Dr. Jim Loehr, der unter anderen mit Pete Sampras und Jim Courier zusammengearbeitet hatte, damals über die "Service Yips" von Kournikova. "Von Zeit zu Zeit bekommen Leute es mit den Nerven zu tun. Normalerweise sind es dann die schwächsten Schläge, die unter Druck fehlschlagen. Und das ist deshalb so, weil die Mechanik so schwach ist, dass sie dir keinen Spielraum gibt, wenn du angespannt bist und dennoch aggressiv spielen möchtest. Die Spieler, die flache Schläge haben und kaum Spielraum für Fehler haben, machen viele Fehler, wenn sie anfangen, nervös zu werden. Ein Weg, um das zu stoppen, ist, dem Ball mehr Spin zu geben", sagte Loehr über die "Service Yips".

Loehrs Empfehlung: Video-Studie

"Bei Annas Fall kommt eine emotionale Sache hinzu. Sie hat ihr komplettes Selbstvertrauen verloren. Wenn sie trainiert, ist es in Ordnung. Da hat sie selten Probleme mit Doppelfehlern. Und dann geht sie ins Match und beginnt damit, 15 bis 25 Doppelfehler zu schlagen", sagte Loehr über Kournikova und gab ihr folgenden Rat: "Meine Empfehlung wäre, dass sie sich auf Video aufnehmen lässt, um ihr zu zeigen, wie sich die Mechanik des Schlags ändert, wenn sie in einer Stresssituation ist - verglichen mit einer entspannten Situation." Kournikova kam schließlich über die "Yips" hinweg und servierte bis zu ihrem Karriereende wieder recht normal.

Neben Kournikova gab es immer wieder prominente Spielerinnen, die ebenfalls mit ihrem Aufschlag zu kämpfen hatten. So machte sich Elena Dementieva durch ihren teilweise unterklassigen zweiten Aufschlag immer wieder das Leben schwer und servierte zahlreiche Doppelfehler (Dementievas Rekord liegt bei 29), was noch größere Karriere-Erfolge der Russin teilweise verhinderte. Auch unter der aktuellen Generation gibt es einige Spitzenspielerinnen, bei denen eine zweistellige Anzahl von Doppelfehlern pro Match immer wieder an der Tagesordnung ist. Maria Sharapova, Victoria Azarenka, Petra Kvitova und Sabine Lisicki streuen gelegentlich Doppelfehler-Orgien ein.

"Yips" zerstören Corias Karriere

Aber auch vor den Herren machten die "Service Yips" nicht Halt. Der ehemalige Weltranglisten-Dritte Guillermo Coria litt zeitweise unter einer eklatanten Aufschlagschwäche, die letztlich sein Karriereende einläutete. Der Argentinier fing sich kurz vor den US Open 2005 die "Yips" ein und wurde sie nicht mehr los. 20 Doppelfehler pro Spiel waren keine Seltenheit, auch vier Doppelfehler in Folge kamen bei ihm vor. Coria ist Spitzenreiter für Doppelfehler in zwei Sätzen (23) und drei Sätzen (ebenfalls 23). Trotzdem gelang dem Argentinier oft noch der Sieg, was sein herausragendes Talent zeigt. So servierte er 2006 im Achtelfinale von Monte Carlo gegen Nicolas Kiefer 23 Doppelfehler und verbuchte dennoch den Sieg.

Generell scheinen die Australian Open viele Doppelfehler anzuziehen. Petra Kvitova servierte sich 2013 in der zweiten Runde mit 18 Doppelfehlern aus dem Turnier. Gael Monfils kam im gleichen Jahr gar auf 23 Doppelfehler und gewann trotzdem. Ein Rekord ist allerdings für die Ewigkeit bestimmt. Maria de Amorin aus Brasilien schlug 1957 in der ersten Runde von Wimbledon unfassbare 17 Doppelfehler, und das in Folge!

von Christian Albrecht Barschel

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23.12.2017, 14:01 Uhr