Federer, Safin und die große Geburtstagssause
tennisnet.com blickt auf das legendäre Halbfinale bei den Australian Open 2005 zwischen Roger Federer und Marat Safin zurück.
von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet:
27.01.2015, 10:02 Uhr

Von Christian Albrecht Barschel aus Melbourne
Die Australian Open sind das mit Abstand heißeste Grand-Slam-Turnier - und wahrscheinlich auch das stimmungsvollste der vier "Majors". Die Tennis-Festspiele in Melbourne heißen nicht ohne Grund "Happy Slam". Denn die Atmosphäre in "Down Under" ist einzigartig und geprägt von guter Laune. Das scheint auch auf die Spieler abzufärben. Die Zuschauer im Melbourne Park erleben jedes Jahr immer wieder Herren-Matches, die unvergessen bleiben .
So wie das Marathonfinale zwischen Novak Djokovic und Rafael Nadal im Jahr 2012 oder der beinharte Achtelfinalkampf zwischen Djokovic und Stan Wawrinka im Jahr 2013. Weitere Beispiele gefällig? Die Hitzeschlacht zwischen Boris Becker und Omar Camporese im Jahr 1991, das Fünfstzadrama zwischen Andy Roddick und Younes El Aynaoui im Jahr 2003 oder das Late-Night-Finish (4:33 Uhr) zwischen Lleyton Hewitt und Marcos Baghdatis im Jahr 2008 . tennisnet.com blickt anlässlich des zehnjähriges Jubiläums auf ein weiteres denkwürdiges Australian-Open-Match zurück - das 2005er-Halbfinale zwischen Roger Federer und Marat Safin.
Wieder eine Geburtstagsfeier in der Rod Laver Arena
Am 27. Januar 2005 kam es im Halbfinale zur Neuauflage des Australian-Open-Finals von 2004: Titelverteidiger Roger Federer traf auf Marat Safin. Das Besondere: Safin feierte an jenem Tag seinen 25. Geburtstag. Für den Russen sollte es erneut ein gelungener Ehrentag in Melbourne werden. Ein Jahr zuvor hatte er in der Nacht zu seinem 24. Geburtstag Andy Roddick in fünf Sätzen bezwungen und dann gegen Andre Agassi einen weiteren Fünfsatzsieg nachgelegt. Im anschließenden Finale gegen Federer war Safin allerdings chancenlos. Nun sollte es nicht nur für das verlorene Finale die Revanche geben, sondern auch für die Niederlage beim Masters Cup in Houston zwei Monate zuvor. Im Gruppenspiel beim Saisonfinale hatte sich Federer mit 6:3, 7:6 durchgesetzt und dabei den Monster-Tiebreak mit 20:18 gewonnen . Safin vergab sechs Satzbälle, ehe Federer seinen achten Matchball verwertete. Die beiden stellten damals im Jahr 2004 den Rekord für den längsten Tiebreak aller Zeiten ein.
Der Weltranglisten-Erste Federer ging als klarer Favorit ins Halbfinale. Der "Maestro" war ohne Satzverlust ins Halbfinale vorgestoßen und war seit der Niederlage bei den Olympischen Spielen in Athen im August 2004 ungeschlagen. Zudem hatte er seit Oktober 2003 alle seine 24 Matches gegen Top-10-Spieler gewonnen. Das Head-to-head sprach mit 6:1 ebenfalls eine klare Sprache für Federer. Doch Safin, bei dem Genie und Wahnsinn so dicht beieinander lagen, war ebenfalls in Topform und wollte an seinem 25. Geburtstag den nächsten großen Schritt zu seinem zweiten Grand-Slam-Titel machen. Das Besondere an dem Match: Federer hatte sich im Dezember 2003 von seinem Trainer Peter Lundgren getrennt, der dann direkt im Anschluss bei Safin anheuerte. Die Zuschauer bekamen von Beginn an hochklassiges Hochgeschwindigkeitstennis mit allen Facetten, die den Tennissport so besonders machen, geboten. Was kaum jemand wusste: Federer ging mit Schmerzen im linken Fuß ins Spiel.
"Tweener" beim Matchball
Doch eine Beeinträchtigung beim Schweizer war lange Zeit nicht zu sehen. Mit dem ersten Break der Partie sicherte sich Federer mit 7:5 den ersten Satz. Safin schlug zurück und transportiere ein frühes Break zum 6:4 und damit zum Satzausgleich. Der Russe hielt auch im dritten Satz voll dagegen, glich einen schnellen 0:3-Rückstand zum 3:3 aus. Der Satzgewinn ging jedoch an Federer, der sich mit 7:5 die erneute Satzführung erspielte. Bei Safin flog nun der Schläger des Öfteren und auch bei Federer gab es die eine oder andere Unmutsäußerung zu hören. Auch im vierten Satz blieb es ein Match auf Augenhöhe. Geburtstagskind Safin agierte weiterhin so, als ob er an seine Siegchance glaubte. Federer war bemüht, die Punkte noch kürzer zu gestalten als ohnehin schon. Der Schweizer wollte seinen schmerzenden Fuß entlasten und zog sich deswegen eine Verspannung im Rücken zu. Der Schmerz eines eingeklemmten Nervs strahlte vom Rücken bis in einen Finger an der rechten Hand aus, was Federers Vorhand etwas beeinträchtigte. Doch das hielt den Schweizer nicht davon ab, Traumschläge zu fabrizieren.
Safin stemmte sich gegen die drohende Niederlage und machte nun vermehrt die Big Points. Bei Federer flog sogar deswegen aus Frust der Schläger. Der vierte Satz ging schließlich in den Tiebreak. Dort zog der Weltranglisten-Erste das Tempo an und erspielte sich eine 5:2-Führung bei zwei eigenen Aufschlägen. Safin konterte mit drei Punkten in Folge. Doch dann hieß es nach einem spektakulären Stoppball 6:5 und Matchball für Federer - und das bei eigenem Aufschlag. Der Schweizer spielte Serve-and-Volley und wurde von Safin überlobt. Anstatt beim Zurücklaufen einen herkömmlichen Lob zu spielen, probierte Federer den Ball durch die Beine, seinen heute so berüchtigten "Tweener, und scheiterte am Netz. Das Publikum tobte. Safin gewann den Tiebreak mit 8:6 und schaffte erneut den Satzausgleich.
Federer mit dem Rücken zur Wand, Safin macht den Sack nicht zu
Federer ließ sich nach dem verlorenen Satz am linken Bein behandeln und wirkte müde. Doch spielerisch war er immer noch voll auf Augenhöhe mit Safin. Der Schweizer erspielte sich nach dem längsten Ballwechsel des Matches zweimal einen Breakball zum 2:1. Safin konnte sich in diesen brenzligen Situationen auf seinen gewaltigen Aufschlag verlassen. Stattdessen schaffte der Russe später das Break zum 4:2 - dank eines Doppelfehlers von Federer. Bei 5:3 erspielte sich Safin mit zwei Assen in Folge seinen ersten Matchball. Federer wehrte diesen und auch den zweiten ab. Und dann war urplötzlich das Break für den Schweizer da. Nach vier Stunden Spielzeit hatte Safin seinen dritten Matchball. Federer wehrte auch diesen Matchball nach einem spektakulären Ballwechsel ab und schaffte um kurz vor Mitternacht Ortszeit den Ausgleich zum 5:5.
Der Schweizer war obenauf und schnupperte am nächsten Break, doch Safin hielt sein Aufschlagspiel zum 6:5. Beide Spieler gingen volles Risiko und wurden größtenteils dafür belohnt. Einen Tiebreak im fünften Satz gibt es bekannterweise nur bei den US Open, sodass es beim Stand von 6:6 weiterging. Federer bekam den Breakball zum 7:6, doch verzog eine Vorhand. Wenig später hatte Safin zwei Matchbälle am Stück, - die Nummern vier und fünf - auch weil Federer einen Schmetterball versemmelte. Der Weltranglisten-Erste und Titelverteidiger wankte gewaltig, fiel aber noch nicht. Wieder gab es den Ausgleich, und wieder legte Safin mit seinem gewonnenen Aufschlagspiel vor. Federer war bei 7:8 erneut mit dem Rücken zur Wand und stand sich bei 15:40 zwei weiteren Matchbällen gegenüber. Den sechsten Matchball konnte er mit einem Ass noch abwehren. Beim siebten Matchball war er dann jedoch machtlos. Er rutschte aus, sodass Safin nur noch ins leere Feld spielen musste. Nach 4:28 Stunden um 0:26 Uhr Ortszeit entschied Safin diesen Fünfsatzkrimi mit 5:7, 6:4, 5:7, 7:6 (6), 9:7 für sich und beendete die Siegesserie von Federer.
Federer: "Ich muss mir keinen Vorwurf machen"
Das Publikum in der Rod Laver Arena bedankte sich für das großartige Spektakel mit stehenden Ovationen und einem Geburtstagssong für Safin. Der Russe hatte drei Jahre zuvor an seinem 22. Geburtstag das Endspiel bei den Australian Open gegen Thomas Johansson als klarer Favorit verloren und die wohl bitterste Niederlage seine Karriere kassiert. Nun feierte Safin einen der süßesten Siege in seiner Karriere. "Das war eines der härtesten Matches meines Lebens. Vielleicht bekomme ich jetzt die Chance, in meinem Hotelzimmer ein Glas Champagner zu trinken", kommentierte Safin nach dem Match. Federer nahm die Niederlage und das Ende seiner Siegesserie gelassen auf. "Es ist schade. Ich hatte meinen Chancen, aber er hat es mir nicht erlaubt, diese zu nutzen. Ich denke, dass ich unter diesen Umständen extrem gut gespielt habe. Ich muss mir keinen Vorwurf machen, ich habe alles gegeben. Es war ein guter Kampf zwischen zwei fairen Männern, und am Schluss hat der Bessere gewonnen. Ich hoffe auf ein Rematch, aber ich bin stolz, Teil davon gewesen zu sein", sagte Federer.
"Es ist egal, wie viele Matchbälle du hast. Du musst es wirklich gewinnen. Es ist Roger Federer, deshalb ist es schon psychologisch schwer genug. Er setzt dich unter Druck, egal, wie viele Matchbälle du hast", sagte Safin zu seinen sechs vergebenen Matchbällen. Drei Tage später zeigte er, dass aller guten Dinge drei sind. In seinem dritten Australian-Open-Finale holte sich Safin den ersten Titel - zum Leidwesen der Australier. Denn sein Finalgegner war Lleyton Hewitt, der die Titeldürre der australischen Herren in Melbourne nicht beenden konnte.
Hier könnt ihr euch das Match zwischen Federer und Safin in voller Länge anschauen!