„Für die ATP-Tour wäre das zu viel gewesen“
Björn Phau verkündet im Interview mit tennisnet.com sein Karriereende und blickt auf seine lange Profilaufbahn zurück.
von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet:
14.10.2014, 10:14 Uhr

Herr Phau, seit Juni haben Sie kein Match mehr auf der ATP-Tour bestritten. Wenn sehen wir Sie wieder auf dem Tennisplatz?
Ich musste meine Karriere leider beenden. Seit anderthalb Jahren habe ich eine chronische Entzündung an der Patellasehne im Knie. Für die Bundesligasaison hat es noch gereicht, weil ich dort nicht mehrere Matches in der Woche bestreiten musste. Aber für die ATP-Tour wäre das zu viel gewesen. Ich hätte gerne noch dieses Jahr zu Ende gespielt und auch noch im nächsten Jahr, aber ich habe dann entschieden, dass es besser ist aufzuhören.
Im Februar standen Sie beim ATP-Turnier in Zagreb noch überraschend im Halbfinale. Wie schwer ist Ihnen der Abschied vom Profitennis gefallen, wenn man weiß, dass man oben noch mitspielen kann?
Speziell die Phase vor Zagreb war schwer für mich, weil ich in den Monaten davor nicht richtig spielen konnte und im Winter in der Vorbereitung auch noch eine Gürtelrose bekommen habe. Das Turnier in Zagreb hat mir aber gezeigt, dass ich da oben noch mitspielen kann und es nicht am Tennis liegt. Vor allem in den Wochen danach habe ich gemerkt, dass mein Knie die vielen Matches innerhalb kürzester Zeit nicht mehr mitmacht. In der Sandplatzsaison bin ich dann noch im Training gestürzt, habe mir eine Rippe angebrochen und musste deswegen pausieren. Es war ein Seuchenjahr mit dem Ausreißer in Zagreb. Selbst wenn die diversen Verletzungen und Erkrankungen nicht gewesen wären, hätte ich mit dem Knie nicht mehr lange spielen können.
Welche Spuren haben 16 Jahre Profitennis sonst bei Ihnen hinterlassen?
Ich hatte das Glück, dass ich in meiner Karriere von richtig großen Verletzungen verschont geblieben bin, abgesehen vom Ende meiner Karriere. Aber das sind sicherlich die typischen Verschleißerscheinungen nach so vielen Jahren. Als Tennisspieler zwickt immer mal wieder der Körper, vor allem im Rücken und an der Schulter.
Wie geht es jetzt für Sie weiter?
Ich habe nach der Bundesliga zwei Monate Pause gemacht und bin außerdem Vater geworden. Von daher war es vom Timing her gar nicht so schlecht, dass ich mich auf die Familie konzentrieren kann. Vor zwei Wochen habe ich damit angefangen, meinen ehemaligen Trainer Robert Orlik an dessen Akademie zu unterstützen. Dort coache ich Profis, aber auch ambitionierte Jugendliche.
Sehen Sie sich Zukunft als Trainer auf der ATP-Tour?
Ja, auf jeden Fall. Aber ich lasse das erst mal auf mich zukommen. Ich möchte alles mal probieren. Gerade die Arbeit in der Akademie mit den Jugendlichen finde ich sehr wichtig, sodass man alle Altersstufen durchläuft und die Arbeit an der Basis sieht. Die ATP-Tour würde mich natürlich auch reizen und würde mir sicherlich wegen meiner Profierfahrung etwas einfacher fallen, aber das, was ich jetzt mache, macht mir sehr viel Spaß ist, ist neu für mich und auch sehr aufregend.
Wenn man jahrelang ein Leben aus dem Koffer führt, ist die Umstellung zu einem normalen Alltag sicherlich nicht einfach. Wie ist es Ihnen damit ergangen?
Wenn es plötzlich gewesen wäre, wäre das sicherlich eine große Umstellung gewesen. Dadurch dass ich in den letzten anderthalb Jahren viele Verletzungen hatte, konnte ich mich an den Gedanken gewöhnen. Klar juckt es einen ab und zu, mal eine Woche wegzufahren. Ich genieße die Zeit jetzt, viel zu Hause zu sein und werde das auch bis Ende des Jahres machen.
Eine Ihrer Stärken war sicherlich Ihre Konstanz über viele Jahre. Sie standen über ein Jahrzehnt nahezu durchgehend in den Top 200. Es fehlten aber vor allem auf der ATP-Tour oder bei den Grand Slams die Ausreißer nach oben. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Karriere?
Wenn man viele Tausende Spieler betrachtet, die vergeblich versuchen, mit Tennis ihren Lebensunterhalt zu verdienen, kann ich mit meiner Karriere sehr zufrieden sein. Ich habe sehr gut vom Tennis gelebt und lebe immer noch sehr gut davon. Ich war jahrelang Top-100-Spieler und fast ständig unter den besten Zehn in Deutschland. Wenn man das sieht, kann man damit zufrieden sein. Natürlich waren meine Ansprüche am Anfang meiner Karriere wie bei jedem anderen auch etwas größer, mit dem langfristigen Ziel, sich ganz oben zu etablieren. Das ist mir nicht ganz gelungen. Ich hatte immer mal wieder Serien mit Siegen gegen Topspieler, aber mein Manko war, dass ich die Konstanz auf Topniveau nicht halten konnte.
Sie waren Mitglied des Mercedes-Junior-Teams, das unter anderem von Boris Becker ins Leben gerufen wurde, und standen zu dieser Zeit im Fokus der Öffentlichkeit. Wie haben Sie diese Jahre erlebt?
Das war eine sehr spannende Zeit. Da ist sehr viel sehr schnell auf mich eingestürzt, da ich mich auch erst im letzten Juniorenjahr weit nach oben gespielt habe. Ich habe mir vor allem am Anfang viel Druck gemacht. Mir ging das nicht schnell genug. Im Nachhinein hätte ich vielleicht etwas lockerer damit umgehen sollen. Die Zeit im Team hat mir jedoch sehr geholfen.
Von einigen Kollegen wurden Sie als Spieler mit den schnellsten Beinen auf der ATP-Tour bezeichnet. Sehen Sie sich selbst in dieser Hinsicht auch als Nummer eins oder gibt es noch flinkere Spieler?
Es ist immer schwer, sich selbst zu beurteilen. Ich weiß, dass ich sehr schnell bin bzw. war und auf den ersten zehn Metern mit den schnellsten Spielern konkurrieren konnte. Der Unterschied zu Spielern wie Federer, Nadal, Djokovic oder Monfils ist, dass diese Jungs dann aus der Position noch viel mehr machen können als ich.
Was war Ihr schönster Sieg in Ihrer Karriere?
Da sticht definitiv der Sieg gegen Andre Agassi im Jahr 2006 in Dubai hervor. Das wird mir ewig in Erinnerung bleiben, weil Agassi eines meiner Idole war.
Beim Challenger in Marburg im Jahr 2011 haben Sie an einem Tag vier Matches (zwei im Einzel und zwei im Doppel) bestritten, alle vier gewonnen und beide Titel geholt. Welche Erinnerungen haben Sie an den Tag?
Der Tag war nicht einfach. Am Samstag hatte es durchgeregnet. Wir hatten diese theoretische Möglichkeit mit dem Turnierdirektor vorher gar nicht besprochen. Ich haben dann im Einzel mein Halbfinale und das Finale jeweils in drei Sätzen gewonnen. Laut ATP-Statuten wäre noch ein zusätzliches Match möglich gewesen. Ich habe mit Martin Emmrich dann noch das Doppelhalbfinale gespielt und auch gewonnen. Der Supervisor hat dann den Vorschlag gemacht, das Doppelfinale auf Montag zu legen. Ich habe dann darauf bestanden, am gleichen Tag zu spielen, weil ich noch etwas Reserven hatte und in der folgenden Woche das Challenger in Braunschweig anstand, wo ich rechtzeitig da sein wollte. Wir haben das Finale in zwei Sätzen gewonnen, auch wenn ich nicht mehr weiß, wie ich das geschafft habe.
Was war die bitterste Niederlage, die Sie kassiert haben?
Eine meiner bittersten Niederlagen war die gegen Janko Tipsarevic 2012 beim ATP-Turnier in Stuttgart. Ich habe im zweiten Satz zum Match aufgeschlagen, hatte 40:15 und insgesamt fünf Matchbälle. Das war schon sehr schade, dass ich nicht die Chance hatte vor heimische Kulisse ein Halbfinale zu spielen mit der Aussicht auf mein erstes ATP-Finale.
Welche Kollegen auf der ATP-Tour werden Sie am meisten vermissen?
Ich werde Alexander Peya vermissen, mit dem ich früher in Deutschland trainiert habe und der einer meiner besten Freunde ist. Dustin Brown auch, mit dem ich sehr gut befreundet bin. Eigentlich alle deutschen Spieler. Ich bin mit allen gut zurechtgekommen. Es war immer schön, wenn dich deine Kollegen in schlechten Momenten unterstützt haben.
Trotz Ihres konstanten Rankings wurden Sie nie ins deutsche Davis-Cup-Team berufen und haben auch nie beim World Team Cup in Düsseldorf gespielt. Wie groß ist die Enttäuschung?
Die Enttäuschung war phasenweise schon sehr groß. Im Jahr 2006 wurde ich für den World Team Cup nachnominiert, hatte aber gleichzeitig für das ATP-Turnier in Pörtschach gemeldet. Für einen Start beim World Team Cup hätte ich die Freigabe von Turnierdirektor Ronny Leitgeb gebraucht, der sie mir aber nicht gegeben hat, weil er für das Turnier wegen der Zuschauer viele deutsche Spieler haben wollte. Am Ende habe ich vor zehn Zuschauern gespielt. Beim Davis-Cup-Relegationsspiel 2012 gegen Australien war ich kurz davor, ins Team zu rücken. Letztendlich fiel die Entscheidung aber nicht für mich aus.
Das deutsche Davis-Cup-Team sorgte in den letzten Jahren wegen einiger Streitereien für Negativschlagzeilen. Wie sehen Sie die Zukunft im deutschen Herrentennis?
Es wurde viel schlechter geredet, als es war. Mit Tommy Haas, Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler gab es in meiner Generation drei Top-Ten-Spieler. In den letzten Jahren waren wir bei den Grand Slams immer mit vielen Spielern präsent, allerdings ohne echte Titelchance. Man muss etwas Geduld haben. Es wird schon wieder einer kommen, der fähig ist, ein Grand Slam zu gewinnen.
Sie haben in drei Dekaden gespielt. Inwiefern hat sich aus Ihrer Sicht das Profitennis in den letzten Jahren verändert?
Es hat sich schon einiges verändert. Das Spiel ist viel athletischer geworden. Als ich auf der Tour angefangen habe, war es so, dass man sich zunächst ins Match reintasten und schauen konnte, wohin die Reise geht. Das ist heutzutage nicht mehr möglich. Ich habe in den letzten Jahren viel gegen jüngere Spieler gespielt. Da geht es sofort hundert Prozent zur Sache. Da muss man voll konzentriert sein, sonst kommt man ganz schnell unter die Räder.
Sie haben Roger Federer glatt geschlagen, als dieser gerade 18 Jahre alt geworden war. Konnten Sie damals schon erkennen, welches Potential in ihm steckte?
Ja, auf jeden Fall. Das war 1999 in Washington. Er stand schon kurz vor den Top 100. Wenn ein 18-Jähriger in der Weltrangliste so gut platziert ist, ist es klar, dass er riesengroßes Potential hat. Dass er so gut und so erfolgreich werden würde, konnte aber keiner voraussagen.
Im Tennis wird viel über Regeländerungen oder auch Verschiebungen im Terminkalender diskutiert. Was würden Sie im Tennis ändern, wenn Sie könnten?
Ich würde zum einen die Balance bei den Preisgeldern zwischen ATP-Turnieren und Challengern verbessern. Die Preisgelder auf der Challenger-Tour sind in den letzten Jahrzehnten nur ganz leicht angehoben worden. Das macht es für junge Spieler extrem schwer zu reisen. Die ATP arbeitet derzeit an einer Verbesserung. Ich würde sonst noch den Turnierkalender auf der Challenger-Tour dem auf der ATP-Tour angleichen und zur gleichen Zeit enden lassen. Viele Spieler sehen am Ende der Saison noch die Chance, sich direkt für Australien zu qualifizieren, wo es vielleicht besser wäre, zwei Wochen Pause zu machen und einen vernünftigen Saisonaufbau zu betreiben. Die ATP wäre da gut beraten, die Challenger-Saison Mitte November enden zu lassen, sodass jeder Spieler gezwungen ist, eine ordentliche Pause zu machen.
Das Gespräch führte Christian Albrecht Barschel
Zur Person:
Björn Phau (35 Jahre alt) gehörte zu den konstantesten deutschen Spielern in den letzten Jahren und hielt sich über ein Jahrzehnt nahezu durchgängig in den Top 200. Der gebürtige Darmstädter hatte im Juni 2006 seine beste Karriereplatzierung mit Platz 59. Phau stand im Einzel 25-mal im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers, kam aber nie über die zweite Runde hinaus. Auf der ATP-Tour erreichte er fünfmal das Halbfinale eines Turnieres. Auf der Challenger-Tour reichte es zu sieben Turniersiegen.