Cool bleiben zwischen Zuschauern, Applaus und Gegner: Die Kontrolle der Ablenkung

Unser tennis-insider.de, Marco Kühn, beschäftigt in seiner aktuellen Analyse mit einem wichtigen Thema für Hobby- und Leistungssportler gleichermaßen - wie umgehen mit den Ablekungen auf dem Tennisplatz? Wie behalte ich die innere Ruhe und den Fokus? Hier findet ihr wertvolle Tips.

von Stefan Bergmann
zuletzt bearbeitet: 19.12.2023, 11:37 Uhr

© Getty Images
Nick Kyrgios ist ein Beispiel dafür, wie man mit Ablenkungen auf dem Platz eher nicht umgehen sollte

Mitten im Stau verändert eine Fliege sein gesamtes Leben. Auf dem Weg zur Arbeit, mitten in der Hitze, verliert William Foster seine Nerven. Er steigt aus dem Wagen, schnappt sich einen Koffer und startet einen Feldzug gegen alles und jeden. Michael Douglas spielt seine Rolle in dem Film “Falling Down” so überzeugend, man könnte meinen, er hätte den Film selbst gelebt.

Auch auf dem Tennisplatz können Ablenkungen deine Konzentration stören und einen großen Einfluss auf dein Leistungsniveau nehmen. Wer hat sich noch nicht darüber aufgeregt, wenn ein Zuschauer einen Fehler beklatscht hat? Oder wenn der Gegner nach einem 0:3-Rückstand beginnt, knappe Bälle Aus zu geben?

Wir besprechen in diesem Artikel, wie Ablenkungen funktionieren und wie du die Kontrolle über deine Nerven zurückerlangen kannst.

Wir starten.

Was lenkt dich im Match ab?

Ablenkungsmanöver erwarten dich in einem Match von überall. Intern, wie auch extern. Was können interne Ablenkungen sein? Zum Beispiel, wenn du mehr mit deinen Erwartungen beschäftigt bist, als mit dem nächsten Ballwechsel. Deine Gedankenwelt ist auf dem Tennisplatz eine ganze Armee, die ein Ablenkungsmanöver nach dem anderen fährt.

Rafael Nadal hat es vor seinem Comeback sehr gut auf den Punkt gebracht. Er sagte, er müsse zum ersten Mal in seiner Karriere von sich erwarten, nichts zu erwarten. Das sagte der Stier aus Manacor in definitiv weiser Voraussicht. Andernfalls würde er zu Beginn seines Comebacks vermutlich vor lauter gedanklicher Ablenkung nicht mehr wissen, dass er Linkshänder ist.

Das innere Spiel ist für dich als Tennisspieler immer das Spiel, welches du im Match zuerst gewinnen musst. Erst dann kannst du deinen Gegner als Verlierer den Platz abziehen lassen.

Es warten auf dem Court aber auch externe Ablenkungen auf dich, die du besser meistern solltest. Das kann eine beim Aufschlag schief stehende Sonne sein. Das kann dein Frust über die letzte leicht verschlagene Vorhand sein. Das kann deine Wut über den Platzwart sein, weil jeder Ball hinter der T-Linie ein Eigenleben entwickelt.

Das können aber auch Zuschauer sein, die sich unsportlich verhalten. Deine Aufgabe ist es herauszufinden, was dich triggert. Ich habe beispielsweise früher kein Verständnis für Applaus nach einem Fehler gehabt. Mich hat das wahnsinnig gemacht und bei vielen Turnierspielen aus dem Rhythmus gebracht. Analysiere, was dich auf die Netzkante bringt. Was lässt dich innerlich brodeln?

Je besser du deine Triggerpunkte kennst, desto besser kannst du an deiner mentalen Einstellung feilen. Der Sportpsychologe Robert M. Nideffer sagte treffend:

“Gehe mit der Einstellung in den Wettkampf, dass heute ein sehr gutes Match zum Lernen ist. Und zwar aus Fehlern zu lernen. Diese Einstellung erhöht die Chancen auf eine erfolgreiche Performance.”

Warum haben Ablenkungen einen negativen Einfluss auf das Leistungsniveau?

Stell dir deine Performance im Match wie eine richtig coole Party vor. Das Konfetti fliegt durch die Luft. Die Boxen beben. Der DJ macht Breakdance.

Plötzlich kommt eine Horde von Partycrashern um die Ecke. Sie ziehen die Kabel aus der Musikanlage und es ist still. Wohin bewegt sich die Aufmerksamkeit der Partygäste? Exakt, Richtung Partycrasher. In Richtung Ablenkungsmanöver. Gedanken, Emotionen und die volle Aufmerksamkeit sind nicht mehr auf der Party.

Ähnlich ist es im Match. Sobald deine gedankliche und emotionale Welt sich mit den Ablenkungen verbindet, sinkt dein Leistungsniveau. Es gibt nicht wenige Spieler, die in diesen Fällen dann von einer negativen Gedankenspirale sprechen.

Was bedeutet es für dich, wenn deine Gedanken nicht beim nächsten Punkt sind? Du spielst ohne eine taktische Idee für den nächsten Ballwechsel. Du bist in einem fremden Wald ohne Landkarte oder Navi unterwegs. Wann immer du im Match spürst, dass dein Leistungsniveau sinkt, kontrolliere deine Aufmerksamkeit. Hast du dich zwischen den Ballwechseln auf den nächsten Punkt fokussiert? Oder warst du gedanklich neben dem Platz unterwegs?

Diese kleine Selbstanalyse kann effektiver sein, als das Schimpfen über die eigene Unfähigkeit.

Wann ist man als Spieler abgelenkt?

Als Kids haben wir auf kleinen Spielplätzen die Rutschen unsicher gemacht. Leider war der Spaß dann vorbei, als wir richtig Fahrt aufgenommen hatten. Die meisten Rutschen waren leider zu kurz. Wir setzten uns oben hin, drückten uns ab und los ging der Adrenalinrausch. Als es richtig rasant wurde, saßen wir aber schon im Sand.

Im Match gehst du voll fokussiert auf den Court. Deine innere Spannung ist On-Point. Du befindest dich auf dem rasanten Teil der Rutsche. Bei 4:1 oder 5:2 sitzt du dann allerdings im Sand. Die Vorhand kommt nicht mehr. Du verkrampfst plötzlich beim Schlag. Dein Gedankenkarussell springt an.

Viele Spieler können ein Leistungsniveau nicht über das ganze Match halten. Soll ich dir was verraten? Nein, auf mich würdest du vermutlich nicht hören. Ich verrate dir, was der Professor der kognitiven Psychologie, Stefan van der Stigchel, dazu sagt:

“Genau wie bei anderen Aufgaben, die Konzentration erfordern, wie beim Lesen oder Schreiben, gibt es eine Grenze für die Zeit, die man sich konzentrieren kann. Konzentrationsübungen können dir helfen, deine Konzentration zu verbessern (trainiere sie, indem du sie einfach ausführst und den Zeitraum immer länger dehnst), aber auch dann gibt es eine Grenze. Die Gehirnnetzwerke, die für die Konzentration verantwortlich sind, werden "müde", und du musst deine Batterien wieder aufladen.”

Du kannst dich also nur auf eine bestimmte Zeit voll konzentrieren. Dann ist es völlig normal, dass ein paar der Ablenkungen, die wir durchgegangen sind, die Oberhand in deinem Kopf gewinnen. Experten sind sich einig, dass du dich maximal 40 Minuten voll auf eine Aufgabe konzentrieren kannst.

Wie kann man die Ablenkung kontrollieren?

Je mehr du beim Tennis denkst, desto schwächer spielst du. Alexander Zverev hat hier über die Jahre eine sehr gute Lösung gefunden. Er war der personifizierte Doppelfehler. Das lag natürlich nicht daran, dass er keinen Aufschlag konnte. Er wusste, was er technisch tun musste. Aber es schien ein kleiner Riss in seinem Gedankenmuster vor dem zweiten Aufschlag.

Was tat Sascha? Er begann den Ball beim Auftippen vor dem Aufschlag direkt auf die Linie zu werfen. Ja, das klingt zu einfach, ich weiß. Aber denke immer daran, die Dinge simpel zu halten. Das Auftippen direkt auf die Linie ist eine verdammt coole Konzentrationsübung, die nur funktionieren kann. Warum ist diese Übung so effektiv? Es wird für dein Gehirn fast unmöglich sein, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Du kontrollierst die Ablenkungen. Dein Akku an mentaler Energie kann sich erholen.

Fazit und dein nächster Schritt

Lass uns die Schlüsselgedanken aus diesem Artikel zusammenfassen.

1. Analysiere, welche Ablenkungen den größten Einfluss auf dich haben. Identifiziere die Bösewichte, die dich von deinem besten Tennis ablenken wollen

2. Akzeptiere, dass diese Ablenkungen zu nahezu jedem Match dazu gehören. Erwarte Probleme und du wirst besser mit ihnen umgehen können

3. Dein Leistungsniveau wird im Laufe des Matches schwanken. Deine Aufgabe ist es nicht, ein durchweg perfektes Match zu spielen. Deine Aufgabe ist es, deine mentale Energie zu dosieren

4. Entwickle kleine Übungen, die deinen mentalen Akku aufladen und dir ausreichend Energie für den “Kampf” gegen Ablenkungen zur Verfügung stellen

5. Trainiere diese Übungen erst in Trainingsspielen, dann in stressfreien Matches

Wir beenden diesen Artikel mit einem Gedanken von Robert M. Nideffer:

“Die meisten Spieler konzentrieren sich auf die Performance im Match. Nicht aber auf das Training der Fähigkeiten, die sie im Match ideal performen wollen.”.

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von Stefan Bergmann

Dienstag
19.12.2023, 17:20 Uhr
zuletzt bearbeitet: 19.12.2023, 11:37 Uhr