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Der gezähmte Widerspenstige: Nick Kyrgios macht Eindruck bei den Australian Open

Nick Kygios zeigt sich im australischen Sommer von seiner guten Seite: menschlich, spielerisch und kämpferisch. Nun wartet im Achtelfinale Rafael Nadal.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 26.01.2020, 16:13 Uhr

Nick Kyrgios
© Getty Images
Nick Kyrgios

Es war beim Masters-Turnier von Rom im letzten Jahr, als sich Nick Kyrgios mal wieder im Allein-gegen-die-Tenniswelt-Modus befand. Noch bevor er wegen eines Skandal-Auftritts im Match gegen den Norweger Caspar Ruud disqualifiziert wurde – er hatte Schläger, Trinkflaschen und Stühle umhergeworfen und Zuschauer als „Idioten“ gegeißelt -, war der chronisch verhaltensauffällige Australier zum Plausch mit einem Journalisten gegangen und hatte in dem Podcast sein Herz ausgeschüttet. Novak Djokovic? „Einer, der alles tut, um geliebt zu werden und niemals an Federer herankommen wird.“ Rafael Nadal? „Wohlwollend nur, wenn er gewinnt. Eigentlich ein schlechter Verlierer.“ Nadals Onkel Toni? „Ein Idiot.“ Und Kyrgios über Kyrgios? „Ich investiere viel zu wenig in meinen Sport. Ich werde auch nicht mehr lange dabei sein. Ich will mehr Zeit mit meinen Kumpels in Australien verbringen und mehr Basketball spielen.“ Rumms, das saß.

Ein paar Monate später ist Kyrgios nun daheim in Australien. Er spielt allerdings nicht Basketball. Er ist noch mittendrin im großen Grand-Slam-Kampf, er investiert sogar mehr Zeit in seinen Sport, ins Tennis, „erstaunlich“ für ihn selbst. Und wenn man nicht wüßte, welch dicke Skandalakte er über die letzten Jahre angehäuft hat, eine Chronik der leichten, mittelschweren und heftigen Verfehlungen, auch der wiederholten Sperren, dann könnte man bei den Offenen Australischen Meisterschaften des Jahres 2020 glatt auf die Idee kommen, dass dieser Nick Kyrgios ein ganz normaler Tennisspieler ist. Einer, der sich sehr überwiegend um die rein sportlichen Belange kümmert, um Vor- und Rückhand, um Strategien, wie man den Weltklasse-Rivalen auf der anderen Seite des Netzes beikommen kann. 

Kyrgios mit Respekt vor Nadal

Am Montag jedenfalls wird man überprüfen können, wie belastbar die Vorstellung von Kyrgios als zumindest aktuell gezähmtem Widerspenstigen ist – dann, wenn er seinem Lieblings-Widersache gegenüber steht, in der herbeigefieberten Achtelfinal-Nachtshow auf dem Centre Court. Jenem Nadal, dessen nervöse Ticks er gerade noch einmal in einem Melbourne-Match eher scherzhaft als Imitator auf die Schippe nahm. Ansonsten zeigte Skandalnudel Kyrgios aber Wohlverhalten, sogar Respekt gegenüber dem mallorquinischen Matador: „Er ist einer der Größten überhaupt. Gegen ihn vor den eigenen Fans anzutreten, das ist schon cool“, so Kyrgios, „es wird halt ein Spiel zweier verschiedener Persönlichkeiten. Spannende Sache, Leute.“

Man sollte nicht allzu viel darauf setzen, dass Kyrgios´ Läuterung nun eine Angelegenheit für die Tennis-Ewigkeit ist. Aber fürs erste hat der zwischen Genie und Wahnsinn wild umherschwankende Australier offenbar beschlossen, dass es nicht so gut wäre, im Hier und Jetzt als Fürst der Finsternis aufzutreten, als verzogener, ungehorsamer Millionärs-Lümmel – und natürlich hat dieser Wandel in diesen ersten Tagen des neuen Jahres mit den Bildern zu tun, die um die Welt gingen, mit den Bildern von den Höllenbränden besonders an der australischen Ostküste. In den Staaten New South Wales, Victoria und in der Hauptstadt Canberra, in der Heimat von Kyrgios.

Kyrgios war nicht der einzige, der bekannte, es falle ihm schwer, „sich jetzt auf seine Matches zu konzentrieren.“ Aber gleichzeitig schärfte die Notlage auch seine Sinne, es war klar, dass ihm Albernheiten, Bösartigkeiten, Mätzchen und Marotten noch vernichtender ausgelegt würden. Und so kam es, dass Kyrgios auf einmal sogar die Speerspitze einer Tennis-Initiative war, einer buchstäblichen Sammlungsbewegung, die Geld für die Opfer spendete – Kyrgios als auslösende Figur mit der Ankündigung: 200 Dollar für jedes Ass zu überweisen. Viele Profis folgten ihm, viele Turniere, auch die Australian Open mit einer Benefizveranstaltung. Inzwischen sind so schon sechs Millionen Dollar zusammengekommen.

Nadal: "Wenn Nick so spielt, ist er ein Gewinn für unseren Sport"

Kyrgios verdient sich seinen Respekt allerdings auch in seinem Sport, auf dem Court. Oft hatte er in der Vergangenheit Spiele abgeschenkt, wenn er keine Lust mehr hatte, wenn ihm ein Rückstand aussichtslos schien. Sein Desinteresse ließ er mehr als einmal demonstrativ aufblitzen. Doch am Samstag kämpfte er sich gegen den Russen Karen Khachanov durch alle Höhen und Tiefen eines Fünf-Satz-Thrillers durch, schließlich ging er im längsten und auszehrendsten Grand-Slam-Match seiner Karriere noch als Erster über die Ziellinie und bekannte hinterher, seine Beine fühlten sich, „als seien sie 40 Kilogramm schwer.“ Die Energieleistung, der Sieg im finalen Match-Tiebreak, nötigte auch Nadal Respekt ab: „Wenn Nick so spielt, ist er ein Gewinn für unseren Sport. So macht er Tennis größer.“

Die Reizstimmung zwischen den ungleichen Gegnern wird das alles nicht ganz vertreiben. Denn zu viel ist vorgefallen in der Vergangenheit, zuletzt auch noch einmal in Wimbledon 2019, als Kyrgios während seiner Niederlage einen Ball mit voller Wucht auf den Körper des Spaniers zielte und danach die handelsübliche Entschuldigung verweigerte. „Warum soll ich mich entschuldigen? Der Typ hat wie viele Grand Slams gewonen und wie viele Millionen auf dem Konto? Ich denke, er kann einen Ball auf den Körper verkraften.“ Vielleicht gilt Nadals Antwort damals aber auch schon als Wink, wie die Sache am Montag in Melbourne ausgehen wird. Im Spiel gegen den unberechenbaren Australier, gegen den er im Kopf-zu-Kopf-Vergleich 4:3 führt: „Ich weiß, wie man ausweicht.“ Und wie man gewinnt.

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von Jörg Allmeroth

Sonntag
26.01.2020, 19:33 Uhr
zuletzt bearbeitet: 26.01.2020, 16:13 Uhr

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