Der Teufelskreis der Ana Ivanovic
Vor zwei Jahren war Ana Ivanovic die strahlende Pokalheldin in Paris. Danach ging es steil bergab für das Glamourgirl.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
28.05.2010, 11:59 Uhr

Von Jörg Allmeroth, Paris
Das Lächeln der Schönheit wirkte roboterhaft. Und was Ana Ivanovic nach ihrem tieftraurigen French-Open-Auftritt mit unverdrossen sonniger Miene erklärte, das hörte sich an, als sei es die Synchronisationsstimme zu einem völlig falschen Spiel-Film. „Ich fühle mehr und mehr, dass das Selbstbewusstsein auf dem Platz zurückkehrt“, sagte Ivanovic vor einer ungläubig zuhörenden Pressemannschaft. Und: „Ich hatte auch ganz schön Pech heute mit den Schiedsrichterentscheidungen.“
Nur zur Klarheit: Da lag die schlimmste Pleite eines grausam verregneten French-Open-Donnerstags gerade einmal eine Stunde zurück, jenes 3:6, 0:6-Zweitrunden-Desaster von Ivanovic gegen die wuchtige Russin Alisa Kleybanova auf dem Court Suzanne Lenglen – der Höhepunkt einer endlos scheinenden Tiefperiode der sympathischen Serbin.
Ivanovic macht sich selbst Mut
Denn seit Ivanovic vor zwei Jahren als strahlende Pokalheldin von Paris die Titelseiten der Weltpresse zierte und, ganz nebenbei, fast 50 Millionen Klicks auf ihrer Internetseite monatlich generierte, geht's hartnäckig nur noch bergab: Steiler Aufstieg, steiler Absturz. Und jetzt nicht wirklich Land in Sicht, kein Ende der Malaise absehbar. „Ich muss nur die Teile des Puzzles wieder zusammensetzen. Ich bin optimistisch“, sagte Ivanovic, als habe ihr gerade jemand einen Think-Positive-Drink verabreicht, „die harte Arbeit wird sich schon auszahlen.“
Doch es ist längst keine vorübergehende Tennis-Baisse mehr, unter der Ivanovic leidet. Vor ihrem French-Open-Coup 2008 notierten die Branchenstatistiker 60:18-Siege im Tourbetrieb, danach lautete die Bilanz auf 44 Erfolge und 33 Niederlagen. Das ist gehobenes Mittelmaß, nicht mehr, nicht weniger. Und weit entfernt von den Arbeitszeugnissen der absoluten Spitzenklasse.
Günthardt: "Heiland, ist Tennis komplex!"
„Wie in einem Teufelskreis“ sei es für Ivanovic bergab gegangen, sagt Heinz Günthardt, der neue Trainer. Im Zürcher „Tages-Anzeiger“ befand er unlängst: „Sie war oben, hatte Verletzungspech, spielte schlecht, trainierte schlecht, war müde, verlor öfter, verletzte sich, verlor das Selbstvertrauen, die Motivation litt – und plötzlich ist man hinten in der Rangliste. Und es geht weiter abwärts.“
Günthardt ist ein alter Bekannter, er hat Steffi Graf in den letzten Jahren ihrer Karriere begleitet, eine Spielerin, die stets ein Muster an Standfestigkeit war, ein Wunderwerk der Konstanz. Die Dinge waren vergleichsweise einfach für den Schweizer, der selbst einmal als Weltklassespieler im Doppel durch die Welt zog. „Manchmal“, sagt Günthardt nun, „da schaue ich auf diese neue Arbeit und denke: Heiland, ist das Tennis aber komplex!“ Um die Krise in den Griff zu kriegen, tourte Günthardt in den letzten Monaten mit der Serbin im Wanderzirkus umher – mehr als er jemals geplant hatte: „Man muss Zeit investieren, weil die Aufgabe so groß ist. Sonst macht es keinen Sinn.“
In der undurchsichtigen Hierarchie des Damentennis wechseln die Spitzenränge munter hin und her. Auch Ivanovic rückte schon einmal auf Platz 1 vor, doch anders als bei den lieben Konkurrentinnen gab es nach dem Verlust der Pole Position keine Bremswirkung mehr. Es ging nur noch schwindelnd ins Tal herunter: „Die Zweifel an mir selbst wurden übermächtig, dazu kamen diese dauernden Verletzungen. Ich konnte den ganzen Druck auch nicht mehr aushalten“, sagt Ivanovic.
Kein Vergleich mit Kournikova,bitte!
Und plötzlich wurden die freizügigen Fotostrecken in Modemagazinen oder Sportgazetten nur noch süffisant belächelt, als verzweifelte Versuche des Pin-up-Girls, noch Aufmerksamkeit zu erheischen. Selbst in Reichweite der niemals bei einem Grand-Slam-Turnier erfolgreichen Russin Anna Kournikova wurde Ivanovic gerückt, ein Umstand, der die junge Serbin zornig machte: „Ich habe schon einen großen Titel gewonnen. Und ich habe auch den Ehrgeiz, weitere Siege zu holen.“
Aber eine Gewähr gibt es dafür nicht in der Verschleißmühle der Tour, die Stars und Sternchen in immer kürzeren Abständen generiert – aber eben solche, deren Halbwertzeit als bestimmende Ranglisten-Kraft verschwindend gering ist. Wer kann schon all die Nummer-1-Spielerinnen aufzählen, die es in den letzten Jahren gab, in einer Zeit, als Justine Henin und Kim Clijsters im vorübergehenden Ruhestand waren und eine wie Serena Williams nur sporadisch ihre ganze Kraft aufs Tennis verwandte.
Vielleicht war Ivanovics Sturm auf den Thron auch nur die Gnade des richtigen Timings, das Ausnutzen eines Machtvakuums. „Wenn sie ihren Boden gefunden und sich stabilisiert hat, wenn sie wieder echtes Zutrauen zu sich gefunden hat, wird man klarer sehen“, sagt Günthardt, der Übungsleiter. Aber noch ist das alles weit weg, der Mut, die Courage, das Selbstbewusstsein, die Aussicht, wieder eine Balance zu finden in diesem komplizierten Geschäft.