Die 2-1-2-Situation: Wie man Vertrauen in seine besten Schläge gewinnt

Besser spielen, mehr gewinnen - auch in der 2-1-2-Situation! Wie das geht, erklärt euch unser Tennis-Insider!

von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet: 24.04.2022, 09:02 Uhr

Camila Giorgi
© Getty Images
Camila Giorgi

Hast du dich mal nach 13 Jahren wieder auf einen Drahtesel geschwungen? Auf den ersten Metern eine ganz schön wackelige Angelegenheit, oder? Als Kind sind wir noch furchtlos die steilen Hänge mit einem Moutainbike im Wald heruntergebrettert. Mit Mitte 30 sind wir froh, wenn wir die ersten Meter auf gerader Strecke ohne Sturz überleben. In nahezu jedem Turniermatch sind die ersten aggressiv gespielten Vor- und Rückhände die ersten Meter auf dem Fahrrad - nach Jahren.

Das Timing passt noch nicht. Das Gefühl auf dem Schläger wirkt fremd. Die Kugel fliegt nicht exakt dorthin, wo du sie hin haben willst. Was noch viel schlimmer ist: Du denkst viel zu viel nach. Je mehr man in einem Match denkt, desto schlechter spielt man meist. Du kennst sicherlich die Returns, die man auf einen zu langen Aufschlag des Gegners in einem Zen-artigen Zustand der absoluten Gedankenlosigkeit mit 200 km/h direkt hinten aufs Band spielt. Das ist der geistige Idealzustand. Leider ist dieser nicht ständig auf Abruf bereit. Ach, was schreibe ich. Er ist so gut wie nie abrufbar.

In diesem Artikel stelle ich die 2-1-2-Situation vor. Ich warne dich jetzt schon vor. Der Umgang damit ist unfassbar simpel. Tennis ist ja schon komplex sowie kompliziert genug. Daher wollen wir deine mentalen Übungen natürlich einfach und effektiv halten. Ich könnte dir viel psychologisches Bla und Blub über die Netzkante werfen. Das bringt dich auf dem Court aber nicht weiter. Deswegen schlage ich vor, dass wir anhand einer Spielsituation die 2-1-2-Problematik besprechen. Anschließend gehst du auf den Platz, gehst mit der Situation um und schaust, wie du dein Spiel verbessern kann.

Die Vorhand-Longline: Drei Zentimeter neben der Seitenlinie

Du hast dich für Rückschlag entschieden. Dein Gegner serviert mit Slice nach außen, du returnierst mit deiner Vorhand halbhoch in die gegnerische Rückhand. Dein Kontrahent wird zu kurz und du willst mit einer saftigen Vorhand aus dem Halbfeld den Punkt mit einem 170 km/h-Winner beenden. Doch die Vorhand, die du in die freie Vorhand-Ecke des Gegners setzen wolltest, landet drei Zentimeter neben der Seitenlinie - knapp im Aus.

Die nächste Vorhand aus ähnlicher Position heraus landet ebenfalls nicht im gegnerischen Eck, sondern knapp hinter der Grundlinie. Ist der Tag auf dem Court nach diesen zwei Fehlern bereits gelaufen? Hast du einfach einen schlechten Tag erwischt? Oder kannst du diese zwei Fehler nutzen, um den Rest des Matches wichtige Punkte mit deiner starken Vorhand zu erspielen?

Die 2-1-2 Situation

Da du aufmerksam bisher mitgelesen hast weißt du bereits, dass der Umgang mit der 2-1-2-Situation furchtbar einfach ist. Hier ist sie:

- 2 Fehler
- 1 Winner
- 2 Fehler

Das ist, grob natürlich, dein Start ins Match mit deinen besten Schlägen. Du wirst Fehler dabei haben, aber auch einige satt und mittig getroffene Schläge. Schläge, bei denen du hinterher zu dir sagen kannst: "Jepp, da habe ich den Ball wirklich sehr gut gefühlt". Es geht immer Auf und Ab. Wie es in einem Tennismatch und im Leben üblich ist.

Da du zu Beginn eines Matches ein bisschen wackelig unterwegs bist, wird deine Fehlerquote etwas höher sein. Daher sind die Ziffern in der Regel auch auf der Fehlerseite etwas höher.

Du kannst relativ wenig dagegen unternehmen, dass zu Beginn ein paar Eierbälle und Fehler dabei sind. Was du aber tun kannst ist, dass du mental so stark wie möglich mit deinen Eierbällen und Fehlern - aber auch mit den einzelnen Winnern - umgehst. Und exakt hier kommt der Umgang mit der 2-1-2-Situation zum Einsatz. Im mentalen Bereich hast du zwei Werkzeuge:

1) Deine Selbstgespräche, die Kommunikation mit dir selbst
2) Deine Gedanken, aus denen sich deine Emotionen ergeben

Beide Werkzeuge kannst du nutzen, um vom Start ins Match weg Vertrauen in deine besten Schläge zu gewinnen.

Analyse und Bestätigung

Viele Spieler haben die eher negative Angewohnheit, sich zu sehr von den negativen Emotionen nach ein paar leichten Fehlern runterziehen zu lassen. Sie beginnen dann negativ mit sich selbst zu sprechen (" ... schon wieder so ein verfluchter Tag, an dem nichts klappt ..."). Es gelingt ihnen dann nur sehr mühsam, wieder in die Spur zu finden. Falls sie diese Spur überhaupt im Matchverlauf wiederfinden.

Damit dir das in Zukunft nicht passiert, kannst du deine Fehler gedanklich scharf analysieren und deine guten Schläge "abfeiern". Wir nehmen ein Beispiel, welches wir ein Stückchen weiter oben bereit angerissen haben: Du hast ein paar Vorhände ins Aus gesetzt. Anstatt dich selbst schlecht zu reden, kannst du direkt in den Analysemodus gehen. Ich empfehle hier, damit es für dich im Match auch umsetzbar ist, Fragen zu verwenden. Das ist am einfachsten:

1) "Habe ich den Ball zu spät getroffen?"
2) "Habe ich den Ball zu tief fallen gelassen?"
3) "Habe ich zu sehr auf den Gegner geachtet?"
4) "Bin ich durch den Ball gegangen oder hatte ich Rückenlage?"

Das sind ein paar Optionen. Du musst natürlich nicht alle Fragen nach einer verscherbelten Vorhand durchgehen. Es reicht, wenn du kurz, aber präzise, deinen Fehler analysierst.

Welche Hebel setzt du durch diese Frage-Analyse in Bewegung? Du nutzt deine psychologischen Abläufe, um lösungsorientiert zu denken - und nicht selbstzerstörend. Diese Frage-Analyse gehst du bei deinen Fehlern durch. Bei deinen Winnern hast du ebenfalls eine Möglichkeit, dich mental zu pushen und das Maximum an Vertrauen in deine besten Schläge zu gewinnen.

Winner nicht als "normal" abhaken

Bei deinen grandiosen Vorhand-Winnern die Linie entlang ist es wichtig, dass du diese nicht als "Normalzustand" einfach abhakst. Das machen viele Clubspieler, um etwas cooler zu wirken, aber das ist Quatsch. Sicherheit und Vertrauen gewinnst du auf dem Court durch sich immer wiederholende Mini-Erfolgserlebnisse. Je mehr dieser Mini-Erfolgserlebnisse du anhäufen kannst, desto größer wird das Vertrauen in deine besten Schläge. Ich würde dir daher von Herzen empfehlen, dass du a) deinem Gegner durch deine Körpersprache nach einem grandiosen Winner zeigst, dass du gerade einen grandiosen Winner geschlagen hast und b) dir selbst nochmals die Bestätigung gibst, dass du gerade eben was verdammt starkes auf den Court gezaubert hast.

Wir sprechen hier von der positiven Bestätigung, die dein Vertrauen in dein bestes Tennis nochmals verstärken kann. Wenn wir die Champions wie Novak Djokovic oder Rafa Nadal beobachten, fällt oft auf, dass sie nach zwei bis vier starken Schlägen voll drin sind im Match. Die Kommentatoren sagen dann gerne: " ... er ist jetzt angekommen im Match ...". Und das ist eine vollkommen richtige Aussage. In den Köpfen der Spieler wird auf dem Weg zu diesem "Knoten platzen" ein ähnlicher Ablauf wie in diesem Artikel beschrieben ablaufen:

1) Fehler schnell, nüchtern und rational analysieren

2) Starke Schläge sowie Winner mit einem gedanklichen "Vamos, da war er. Auf geht`s!" sich selbst gegenüber bestätigen

Es ist immer besser, sich auf dem Platz ein Freund und Coach zu sein, als sich knallhart zu zerfleischen. Korrigiere dich nach einem Fehler, muntere dich auf. Wenn du eine Rückhand-Longline ins Eck gefeuert hast, dann push dich. Zeig dem Gegner, dass der Winner kein Zufall war.

Mit dem richtigen Umgang in der 2-1-2-Situation besitzt du nun ein wirksames mentales Werkzeug für dein Tennis.   

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von Marco Kühn

Sonntag
24.04.2022, 11:36 Uhr
zuletzt bearbeitet: 24.04.2022, 09:02 Uhr