Nadal zum zweiten Mal Wimbledon-Sieger
Rafael Nadal hat sich im Finale von Wimbledon gegen Tomas Berdych durchgesetzt.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
04.07.2010, 17:37 Uhr

Von Jörg Allmeroth
London. Es gab die wunderlichsten Geschichten in diesem denkwürdigen Wimbledon-Jahr, beinahe auf Tagesbasis. Die Geschichte etwa des längsten Spiels aller Zeiten, 11 Stunden und 5 Minuten, gewonnen von US-Riese John Isnermit 70:68 im fünften Satz gegen Nicolas Mahut (Frankreich). Die Geschichte eines frühen, bitteren und wohl auch folgenreichen Königssturzes von Maestro Roger Federer. Die Geschichte eines taiwanesischen Burschen namens Rendy Lu, der einst auf einer Hühnerfarm groß wurde und viele Jahre später im All England Club den großen Andy Roddick von der saftig grünen Wiese verjagte. Oder auch die Geschichte, dass in zwei Wochen kein einziger Tropfen Regen den Spielbetrieb störte und das millionenschwere Centre Court-Dach schon wieder seinen Dienst nicht versehen konnte.
Doch am Ende dieses herrlich verrückten Tennis-Jahrgangs 2010 an der Church Road, London SW 19, waren die Normalität und vertraute Hackordnung auf den Centre Court zurückgekehrt – schon am Samstag mit dem haushohen 6:3, 6:2-Finalsieg der bulligen Amerikanerin Serena Williams gegen Vera Zwonerewa im Damenfinale. Und dann auch am Sonntag mit dem Triumph der männlichen Nummer 1 der Weltrangliste, mit dem weithin ungefährdeten 6:3, 7:5, 6:4-Erfolg des ruchlosen Matadors Rafael Nadal gegen den ab- und ausgeschalteten tschechischen Favoritenkiller Tomas Berdych.
Zwei Jahre nach seinem ersten, hochdramatischen Fünf-Satz-Coup gegen den langjährigen Wimbledon-Beherrscher Federer lag er nun wieder freudetrunken auf dem Rasen, schlug sogar einen Purzelbaum – der vom Glück eines strahlenden Wimbledon-Comebacks überwältigte Championspieler aus Mallorca. „Ich bin überwältigt von diesem Sieg. Ich kann nicht beschreiben, was das für mich bedeutet“, sagte der Spanier, der im vergangenen Jahr den Federer-Sieg gegen Andy Roddick auf der Wohnzimmercouch daheim verfolgt hatte – ein frustrierter, unglücklicher, zweifelnder Zuschauer, der sich nicht sicher war, ob er nach seiner schweren Knieverletzung jemals wieder siegreich über die grünen Londoner Tennisfelder stürmen würde.
Auch zu Saisonbeginn noch mehr oder weniger heimlich abgeschrieben von Profikollegen, von professionellen Beobachtern des Tenniszirkus und von Medien rund um die Welt, grüßte der Rückeroberer der Wimbledonmacht nun aber wieder in aller Klasse und Entschlossenheit als ununmstrittene Führungsfigur der Tour. Nach seinem achten Grand Slam-Titel ging Gipfelbewohner Nadal (10745 Punkte) in der Weltrangliste mit fast 4800 Punkten Vorsprung auf den Serben Novak Djokovic in die Sommerferien, ein fast deckungsgleicher Abstand trennte ihn von der neuen, ungewohnten Nummer 3, von Roger Federer. Murray, der Schotte, kam schon als Nummer 4 mit 5155 Punkten nicht mal auf die Hälfte der Zähler Nadals, dieses unverwüstlichen und unwiderstehlichen Kämpfertyps.
Im langjährigen Garten Eden für Federer, auf den manikürten Tennisgrüns des All England Club, fand auch eine beispiellose Erfolgsserie Nadals in diesem Frühling und Sommer ihren letzten, alles überragenden Höhepunkt: Nicht nur, dass Nadal im April und Mai alle drei Masters-Sandplatzturniere in Rom, Monte Carlo und Madrid für sich entschieden hatte und dann auch ohne Satzverlust zum fünften French Open-Sieg geprescht war. Nun hatte der technisch und taktisch noch einmal stark verbesserte Kraftprotz auch seinen zweiten Wimbledon-Skalp eingesammelt, mit dem 14. Sieg hintereinander seit seinem Auftaktmatch 2008. „Für mich das wie eine Titelverteidigung, da ich ja letzte Saison nicht spielen konnte“, sagte Nadal später, „es ist einfach ein großartiges Gefühl, hier wieder mit dem Pokal zu stehen.“
Die Nummer 2 und Nummer 3 der Tennis-Hitparade hatte Berdych bei seinem Überraschungslauf durch dieses abenteuerreiche Turnier ausgeschaltet, erst Federer, der wie Superman ohne Kryptonit wirkte, dann auch den matten, maladen Djokovic. Aber an einem fitten, frischen und ausgeruhten Nadal biß sich der baumlange Tscheche von vornherein die Zähne aus – an einen nächsten rebellischen Akt des Außenseiters war gar nicht zu denken, selbst nicht in einigen umkämpfteren Passagen des wenig spektakulären Finales. „Das ist Routine, das ist absolute Souveränität von Nadal. Der läßt hier nichts anbrennen“, befand BBC-Kommentator Boris Becker schon frühzeitig in diesem letzten Schlagabtausch des Wettbewerbs.
Was die meisten seiner Top Ten-Kollegen vermissen ließen bei diesem Turnier der wankenden Tennisriesen, jene unverzichtbare Nervenstärke und Willenskraft bei den Big Points, die spielte Nadal im Finale scheinbar ganz entspannt aus – wann immer der 24-jährige Mallorquiner aufgefordert war, wirklich zu punkten, dann tat er es auch. Bei den Breaks zum 4:3 und 6:3 im ersten Satz. Und, vorentscheidend, beim Break zum 7:5-Gewinn des zweiten von nur drei Tennisakten auf dem Centre Court. „Er hat großartige Entschlossenheit gezeigt“, sagte hinterher Nadals Trainer und Onkel Toni über seinen wuchtigen Schützling. Berdych dagegen, so sprach Britanniens einstiger Topprofi Tim Henman, habe nicht den Eindruck hinterlassen, „als ob er über einen echten Plan gegen Rafa verfügt.“
Seine eigentlichen Herausforderungen hatte Nadal im nachhinein schon hinter sich gelassen, als er zum Endspiel den Centre Court betrat. Gegen den Holländer Robin Haase lag er in der zweiten Turnierrunde mit 1:2-Sätzen zurück, wendete dann aber noch einmal sein Grand Slam-Blatt. Am ersten Turniersamstag, gegen Philipp Petzschner, war die Bedrohung noch weitaus größer, wieder lag Nadal 1:2 hinten, kämpfte sich zurück, siegte dank eines einzigen Breaks im fünften Satz noch hauchdünn. Doch einmal in der zweiten, alles entscheidenden Turnierwoche angekommen, zeigte er jene einsamen Qualitäten großer Champions – noch einmal richtig und spektakulär Tempo aufzunehmen, wenn die echten Spitzenspiele anstehen. So wie in Nadals Fall im Viertelfinale gegen den unwägbaren Schweden Söderling oder im Halbfinale gegen den Lokalmatador Andy Murray.