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Birne gut oder das Märchen in Paris

Die 20-Jährige spielt in Paris ihr erstes Grand-Slam-Turnier und fühlt sich wie im Märchen.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 28.05.2012, 12:12 Uhr

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French Open Herren Quali

Von Jörg Allmeroth aus Paris

Wenn Dinah Pfizenmaier auf ihrer Facebook-Fanseite über ihre Reisen und Spiele im Tennis-Wanderzirkus berichtet, dann geht es erfrischend ungeschminkt zu. Vor ein paar Wochen, Anfang Mai, da war sie gerade im schweizerischen Chiasso beschäftigt und hatte gegen Landsfrau Kathrin Wörle verloren, meldete sie beispielsweise als Ursache fürs Scheitern kurz und knapp: „Birne nicht gut.“ Dann machte sie sich auf die Heimreise, mit der ebenso schroffen Selbstverpflichtung: „Muss besser werden.“

„Traumhaft, fast unwirklich“

Es ist, soviel ist schon jetzt klar, viel besser geworden. Viel besser, als sich die hellwache Westfälin noch zum Start in diesen Tennis-Frühling erträumt hatte. Als Pfizenmaier im Dämmerlicht des Pfingstsonntags gegen die hochgehandelte französische Teenagerin Carolin Garcia ihren 107. Punkt zum 3:6,-6:4,-6:3-Erstrundensieg verwandelt hatte, war auf einmal der erste Grand-Slam-Karriereerfolg bei den French Open perfekt – und gleichzeitig ein neues, vielversprechendes Gesicht des deutschen Frauentennis aufgetaucht. „Traumhaft, fast unwirklich“ sei das alles, befand die 20-jährige anderntags, „ich fühle mich mittendrin in einem großen Märchen.“

Und dies umso mehr, da das blonde deutsche Fräulein nun in der zweiten Runde auch einem weltweiten Publikum an den Fernsehschirmen erstmals so richtig ins Bewusstsein rücken dürfte – als Zweitrundengegnerin der Branchenführerin Victoria Azarenka, die am Montag mit Ach und Krach nach 6:7,-0:4-Rückstand gegen die Italienerin Alberta Brianti doch noch mit einem 6:7,-6:4,-6:2-Sieg die Sensation abwendete. Im Herzen von Paris gegen die Nummer eins der Welt, auf einem der beiden großen Showcourts – welch ein Abenteuer auf dem roten Spiel-Platz Roland Garros für die steil aufstrebende Deutsche, die im letzten Jahr um diese Zeit noch an einer Schulterverletzung laborierte und ihr Abitur am Kamener Luhmann-Gymnasium baute. „So ein Spiel, das ist auch der Lohn für die harte Arbeit, die ich ins Tennis investiert habe“, sagt Pfizenmaier, die ab dieser Saison ihr Glück im professionellen Tourgeschäft versucht.

Lange Siegesserie im letzten Jahr

Und auch findet: Denn trotz kleinerer Rückschläge hat die gebürtige Bielefelderin den Schwung und das Selbstvertrauen aus dem letzten Herbst mitgenommen, in dem sie als Seriengewinnerin bei ITF-Turnieren für Schlagzeilen sorgte. Nach 25 Siegen und vier Turniererfolgen zwischen August und November krönte die Tochter eines Lehrer-Ehepaars ihre fabelhaften Auftritte noch schnell mit dem Triumph bei den Deutschen Meisterschaften. So war sie dann in weniger als einem halben Jahr bereits von Null bis auf Platz 264 der Weltrangliste gerückt, eine der größten Newcomerinnen jenseits der Top 100.Gefragt kurz vor Weihnachten,was sie sich am sehnlichsten wünsche für das Jahr 2012, sagte Pfizenmaier: „Ein Platz unter den besten 150.“

Da ist sie jetzt aber schon angekommen, die große Kämpferin, die in Paris bereits vier bemerkenswerte Siege gefeiert hat – drei in der Qualifikation, einen im Hauptfeld. Jeweils über drei Sätze gingen die Matches, dreimal lag Pfizenmaier dabei mit 0:1-Sätzen zurück, fightete sich aber unbeeindruckt stets zum Sieg. Birne gut sozusagen. „Ich bin keine, die so schnell aufgibt“, sagt Pfizenmaier. Schnell habe sie gelernt, sich an das höhere Niveau im Tourtennis zu gewöhnen, so Trainer Michael Schmidtmann, „ich finde es fast unheimlich, was sie für eine Entwicklung in den letzten Monaten hingelegt hat.“ Den Aufstieg beschleunigte wohl auch der geglückte Schulabschluss, seit das Abi „unter Dach und Fach war“, meint Pfizenmaier, „kann ich mich ohne Lernstress noch viel besser auf die Tennisaufgaben konzentrieren.“ Die Weltranglistenpunkte, die sie jetzt schon sicher hat in Paris, dürften sie in der Hackordnung etwa 50 Plätze weiter nach oben tragen – von der augenblicklichen Position 198. „Eine prima Einstellung“ habe Pfizenmaier, sagt Fed-Cup-Teamchefin Barbara Rittner, „es macht Spaß, ihre Karriere zu verfolgen.“

Erinnerungsfoto mit Nadal

Und so reibt sich mancher in der internationalen Szene verwundert die Augen über die deutschen Tennisfrauen, die nach dem Motto „Die Nächste – bitte“ hartnäckig Erfolgsgeschichten produzieren – nicht nur in der Spitze mit einer neuen Top-Ten-Spielerin wie Angelique Kerber(sie gewann am Sonntag ihr Auftaktmatch sicher 6:3, 6:4 gegen die Chinesin Zhang),sondern auch im Nachwuchsbereich. Pfizenmaiers Vormarsch erinnert durchaus an den ihrer Landsmäänin Mona Barthel, die sich nach dem Abitur rasch und unkompliziert in die Weltspitze spielte, fast ein wenig im Schatten der Stars wie Petkovic, Kerber, Lisicki und Co.

Angst kennt die 20-jährige nicht, jedenfalls nicht auf dem Tennisplatz. Und auch nicht vor Superstars wie Rafael Nadal, den sie vor ihrem Erstrunden-Match am Sonntag noch schnell um ein gemeinsames Foto im Spielerzentrum anhaute. Aber als sie im Frühling mal bei einem ITF-Turnier im thailändischen Phuket spielte, überfiel sie gleich beim Einchecken ins Hotel – richtige Angst. Eine „Riesenspinne“ lauerte da in ihrem Zimmer, "keine Chance, es zu betreten", so Pfizenmaier: „Denn ich HASSE Spinnen.“ Da musste schon der Portier kommen und das Objekt der Furcht entfernen.(Foto: GEPA pictures)

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