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"Deutschlands Wohlfühloasen"

Der Kabarettist spricht im Interview über die Leistungszentren hierzulande und warum sich Boris Becker mehr engagieren müsste.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 09.12.2010, 15:04 Uhr

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Das deutsche Tennis hat große Zeiten erlebt. Boris Becker, Stefanie Graf und Michael Stich haben der Sportart zu einer nie geahnten Popularität verholfen und Millionen von Menschen an den Fernseher gefesselt. Doch die Erfolge liegen schon länger zurück. 1999 gewann Graf bei den French Open den letzten Grand-Slam-Titel für Deutschland. Seither erreichte nur Rainer Schüttler das Finale bei einem der vier großen Majorturniere – 2003 bei den Australian Open. tennisnet.com hat bei den Protagonisten von damals und heute nachgefragt wie der ehemals erfolgreichste Tennisverband der Welt die titellose Zeit überstehen und wieder zurück zu alter Stärke finden kann. In der Interviewserie in loser Reihenfolge kommt heute der Kabarettist Django Asül zu Wort. Der 38-jährige Bayer ist ein Tennisfreak und in diesem Jahr für den TC Hengersberg bei den Herren 30 ungeschlagen geblieben.

Von Matthias A. Schmid

Herr Asül, was läuft gut im deutschen Tennis?

In der Breite ist die Spitze gut aufgestellt. Die Menge an Spielern unter den besten 100 ist ein schönes Beispiel dafür, dass ein Land auch ohne Tenniswunderkinder Erfolg haben kann. Petzschners Doppelsieg in Wimbledon war ein schönes Sahnehäubchen in diesem Tennisjahr.

Wo liegen die Schwächen?

Der Unterschied zwischen der Nummer vierzig und der Nummer zehn liegt eigentlich nur in der Konstanz. Nehmen wir beispielsweise mal Kohlschreiber: Der Mann ist physisch gut drauf, unheimlich athletisch und hat alle Schläge. Und beweist immer wieder, dass er Top-Ten-Leute schlagen kann. Aber das passiert eben leider zu selten. Ob das nun Schwäche ist, wage ich nicht zu beurteilen. Denn selbst wenn man jahrelang zwischen 20 und 50 steht, muss man ein hervorragender Tennisspieler sein. Andere Leute wie Benjamin Becker oder Michael Berrer aber holen meiner Meinung nach schon das Optimale raus aus ihren Möglichkeiten.

Welche Voraussetzungen müsste man in Deutschland folglich schaffen, um wieder einen Top-Ten-Spieler zu bekommen? Haben Sie ein Gegenrezept parat?

Wenn ich ein Gegenrezept hätte, hätte es Patrik Kühnen schon fünf Jahre vor mir gehabt. Andere Tennisnationen haben jedoch ein, zwei Spieler weiter vorne und danach kommt lange nichts. Da kann es dann sein, dass man mit diesen beiden Spielern im Davis-Cup-Finale steht. Vielleicht ist es ein bisschen ein gesellschaftliches Problem: Glücklicherweise geht es den meisten Spielern hierzulande ja relativ gut aufgrund solider wirtschaftlicher Verhältnisse seit Geburt. Da mag eventuell das eine oder andere Prozent Entschlossenheit fehlen in wichtigen Situationen. Und wenn es nur unbewusst ist.

In Spanien lebt man auch gut und trotzdem hat diese Nation viele Spitzenspieler unter den Top 20. Sollte man auch ins Ausland schauen, um sich Input zu holen?

Es könnte sein, dass die Spanier Leistungszentren geschaffen haben und die Deutschen stattdessen unbeabsichtigt Wohlfühloasen. Das kann irgendwo auch hinderlich sein. Prima an Spanien oder Frankreich ist, dass sich die ehemaligen Größen sehr engagieren für die nachkommende Generation. Das ist natürlich ein gewaltiges Plus an Motivation und Erfahrung, was da weitergegeben wird.

Müssten sich Boris Becker, Michael Stich oder Steffi Graf in Deutschland also mehr einbringen?

Es würde nur was bringen, wenn sie selber wirklich wollen. Wenn sie wirklich wollten, würden sie es tun. Von daher stellt sich diese Frage nicht.

Welche Rolle spielt der DTB in der Nachwuchsförderung?

Vielleicht sollte das Leistungsprinzip in der Jugend noch höher geschraubt werden. Wenn man dann die absolut besten der jeweiligen Jahrgänge tagtäglich gegeneinander spielen lässt im Training, kommt sicher mehr raus wie wenn jeder in seiner Region der King ist. Nicht umsonst ist ein Federer schon mit 14 weg von Basel ins weit entfernte Lausanne. Insgesamt sollte man sich aber vom DTB nicht zu viel erwarten. Vom DTB-Präsidenten bis zu den meisten Länderfürsten geht es meist um Politik und Besitzstandswahrung. Da wird manch ein Spieler auf eigenen Pfaden mehr aus seinem Talent machen, wenn er die richtige Einstellung und das richtige Umfeld hat.

Wer hat denn Ihrer Meinung nach von den deutschen Profis – Damen und Herren – das größte Potenzial, um in die Top Ten zu kommen?

Wenn Kopf und Körper mitmachen, haben Kohlschreiber und Petzschner auf alle Fälle das Zeug dazu. Bei den Damen scheinen mir die Damen aus dem Ostblock eine ganz andere Zähigkeit an den Tag zu legen als die Deutschen. Ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.

Und wann gibt es wieder einen deutschen Wimbledonsieger?


Ich würde mal tippen: 2011 eher nicht. Zumindest nicht im Einzel.

Aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist das Tennis fast gänzlich verschwunden. Was muss passieren, damit das Interesse der Sender zurückkommt?


Da muss mal die ATP von ihrem hohen Ross runterkommen und sich freuen, dass überhaupt wer Tennis übertragen mag. Denn der Tennisfan in Deutschland oder Österreich schaut ja nicht nur, wenn Petzschner/Melzer im Wimbledon-Finale spielen, sondern auch einen Nadal gegen Verdasco im Viertelfinale von Rom. Wenn derzeit wenig Geld für TV-Übertragungen abseits der Grand-Slam-Turniere gezahlt wird, muss die ATP das akzeptieren. Denn wenn Tennis nicht sichtbar ist im TV, wird es auch schwierig, Sponsoren zu finden.

Genügt nur ein Grand-Slam-Turnier-Sieger, um das Tennis wieder ins Fernsehen zu bringen? Tommy Haas war die Nummer zwei der Welt und kaum einer hat es bemerkt. Nicolas Kiefer war Vierter, Rainer Schüttler erreichte sogar das Finale bei den Australian Open. Was haben sie falsch gemacht?


Diese Spieler hatten das Pech, die Generation nach Becker und Stich zu sein. Da hat man es immer schwer. Wo anders hätte das gereicht, um einen Hype zu generieren. Aber zumindest Haas und Schüttler haben sicherlich das Optimale aus ihren Möglichkeiten gemacht. Zumal Haas ja ein seltenes Verletzungspech hatte über all die Jahre.

(Collage: tennisnet.com)

von tennisnet.com

Donnerstag
09.12.2010, 15:04 Uhr