Doku über Mardy Fish und seine Angststörung: „Es ist ein täglicher Kampf“

Mardy Fish stand vor seinem größten Match, gegen Roger Federer bei den US Open – und konnte aufgrund seiner Angststörung nicht antreten. Seine Geschichte hat er nun in einer neuen Netflix-Doku erzählt – und die ist höchst sehenswert.

von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet: 07.10.2021, 12:35 Uhr

Mardy Fish
© Getty Images
Mardy Fish

„Mir ging es mental gut. Ich war glücklich darüber, Tennisprofi zu sein. Zu reisen. Zeit mit Freunden zu verbringen. Essen und trinken zu können, was ich will. Ich hatte eine normale Karriere. Und einfach keinen Erfolg.“/

Mardy Fish sagt diesen Satz irgendwann in der Mitte der neuen Netflix-Dokumentation Untold: Breaking Point – und rückblickend mag man sich durchaus fragen, was passiert wäre, wenn er „erfolglos“ geblieben wäre.

Wobei „kein Erfolg“ relativ ist: Fish war erfolgreich, er stand rund zehn Jahre unter den Top 100. Aber irgendwann wollte er mehr. Wollte sich nicht später mal den Vorwurf machen, nicht alles gegeben zu haben, vielleicht mehr erreicht haben zu können.

Fish krempelt 2009 sein Leben um: keine Milchshakes mehr, keine Fritten, dafür Hardcore-Training und eine eigene Sauerstoffkammer, in der er jede freie Minute verbringt. Er engagiert einen Fitnesscoach, trainiert wie besessen, verliert zwölf Kilo innerhalb von zwei Monaten. Fish gewinnt plötzlich, er schlägt erstmals seinen besten Kumpel Andy Roddick. Und Rafael Nadal. Kommt in die Top 10. Schafft es zu den ATP Finals nach London. Fish ist plötzlich erfolgreich.

Und steht im Rampenlicht als neue Nummer 1 der USA. Auch als es in 2012 nicht mehr läuft und der Druck steigt. Eines Nachts wacht Fish mit Puls 240 auf und kommt ins Krankenhaus. Eine Operation am Herzen folgt – und erstmals „diese unangenehmen Gedanken“. Die Fish noch nicht einordnen kann.

„Du musst nicht spielen“

Bei den US Open 2012 bricht für ihn alles zusammen. Im Drittrundenspiel, einer Night Session, gegen Gilles Simon gewinnt er den dritten Satz – und erstmals prasselt alles auf dem Tennisplatz auf ihn ein. „Mein einziger sicherer Platz war nun auch eingenommen“, sagt Fish. Er gewinnt, kann sich danach an das Ende nicht mehr erinnern. Und darf – oder muss – gegen Roger Federer ran. Auf der Fahrt kommt wieder alles zusammen. Herzrasen, Ängste, Zweifel. Bis seine Frau den entscheidenden Satz sagt: „Du musst nicht spielen.“

Fish ist irritiert. „Natürlich muss ich spielen.“ Er hat körperlich, mental und emotional auf diesen Moment hin trainiert, „der Gedanke, zurückzuziehen, war absurd.“ Dann habe er einen Moment lang überlegt und gedacht: „Warte mal. Ich muss nicht spielen.“

Fish spielt tatsächlich nicht, er spielt danach lange nicht mehr. Zu Hause schließt er sich monatelang ein, bis er endlich einen Therapeuten aufsucht, der eine „sehr, sehr schwere Angststörung“ feststellt. „Zwei Monate länger, ohne Hilfe, ohne Medikamente, ohne jemanden, der die ganze Zeit für mich da gewesen wäre – ich weiß nicht, ob ich noch hier wäre“, sagt Fish.

Seine Angststörung hat er auch heute nicht überwunden, aber weiß, damit umzugehen. „Ich kann den Tag nicht abwarten, an dem ich das alles hinter mir habe“, habe er seinem Arzt erklärt. „Ich sage dir das nicht gerne: Aber das wird immer ein Teil deines Lebens bleiben“, habe der geantwortet. „Es ist immer noch ein täglicher Kampf“, sagt Fish, „aber ich gewinne ihn, jeden Tag.“

Mardy Fish und das Thema „Mental Health“

Untold: Breaking Point ist in vielerlei Hinsicht ein Anschau-Tipp, speziell in einer Zeit, in der das Thema „Mental Health“ endlich eines ist, über das mehr und mehr Leute sprechen, dank Naomi Osaka oder Turnerin Simone Biles. Fish packte 2015 erstmals aus, bei seinem letzten Auftritt bei den US Open. Er wolle anderen Leuten helfen, damit umzugehen und Hilfe zu suchen, erklärte er. „Man nennt es ‚Mental Health‘, aber der Kopf ist Teil des Körpers“, erklärte Fish kürzlich in der New York Times. „Es ist eine Verletzung. Man kann sie nur nicht sehen.“

Für Tennisfreaks ist die Doku freilich auch aus anderen Blickwinkeln hochinteressant: Am Anfang steht das gnadenlose US-Fördersystem, über das der nächste Superstar getrimmt werden soll. Das wird Andy Roddick, der immer wieder zu Wort kommt, Fish hatte zu Beginn seiner Laufbahn bei Familie Roddick gewohnt, unter dem strengen Regime von Papa Roddick. Während Andy Roddick scheinbar selbstsicher die Tennisbühne betreten und keine Show ausgelassen hat, erklärt er mittlerweile, wie viel davon aufgesetzt war – er sei unglaublich unsicher gewesen, habe alles einfach gut überspielt.

Eine verrückte Tatsache bringt Roddick auch auf: „Als ich zurückgetreten bin, war ich ein Schatten des Spielers, der ich in Topform gewesen bin. Als Mardy aufhörte, war er wohl der beste. Das muss eine Tortur gewesen sein.“ Er aber sei die beste Version eines Freundes gewesen, als er nicht mehr gespielt habe. Einer der Freunde, die Mardy Fish in jener Zeit so dringend gebraucht hat.

von Florian Goosmann

Donnerstag
07.10.2021, 09:47 Uhr
zuletzt bearbeitet: 07.10.2021, 12:35 Uhr