Der verrückteste Mann in Wimbledon

Dustin Brown ist der beste Tennispieler in der Geschichte Jamaikas. In Wimbledon spielt er sein erstes Grand-Slam-Match.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 20.06.2010, 08:33 Uhr

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Dustin Brown ist der beste Tennisspieler in der Geschichte Jamaikas. Dreadlocks, Zungenpiercing, unglaubliche Lebensgeschichte: In Wimbledon spielt er am Montag sein erstes Grand Slam-Match in einem Hauptwettbewerb.

Dustin Brown erfüllt lückenlos jede Erwartung an einen jamaikanischen Tennisprofi: Sein Spitzname lautet „Dreddy“, wegen der ungebändigten Dreadlocks.Er jobbt als Fotomodell, trägt Zungenpiercing und Kopfhörer,aus denen standesgemäß Reggae-Musik wummert, Rap von Lil Wayne oder Dancehall von Mavado. Hält natürlich nicht viel von unnötig ausgiebigen Ballwechseln, sondern spielt „wie eine Wundertüte“, sagt der Österreicher Stefan Koubek, der im November 2009 zweimal gegen ihn verlor: „Du hast keine Ahnung, was da im nächsten Moment passiert. Ein Schuss, ein Stop, ein Vorhand-Slice wie von einem Clubspieler oder ein völlig absurder Fehler. Das einzige, worauf du dich bei Dustin verlassen kann: Wenn er den Aufschlag trifft, kannst du ihn kaum breaken.“

Brown (Foto: J. Hasenkopf) ist Sohn eines jamaikanischen Vaters und einer deutschen Mutter, wurde in Celle geboren, im Norden Deutschlands. Mit elf übersiedelte der Junge nach Montego Bay auf Jamaika. Bis 2002 spielte er Juniorenturniere mit mittelprächtigem Erfolg, bis Ende 2003 Futures auf Jamaika. Irgendwann in dieser Zeit fuhr er nach Newport in den USA, meldete sich für die Qualifikation des ATP-Rasenturniers an: Drei Siege in der Qualifikation für den Nobody: Seither ist Rasen sein Lieblingsbelag.

Fünf Jahre im Wohnmobil – bis die Schuhbänder kamen

2004 ging Brown zurück nach Deutschland. Seine Eltern hatten damals eine Idee. Sie kratzten ihr letztes Geld zusammen und kauften ihm ein Wohnmobil. Mit dem fuhr Dustin von Future-Turnier zu Future-Turnier. „Das war meine Chance, mich über Wasser zu halten. Wenn du in der ersten Runde verlierst und dafür 117 Dollar kriegst, reicht das trotzdem für ein bisschen Essen und Benzin. Du schaffst es irgendwie zum nächsten Turnier, schläfst, kochst und isst im Auto und hoffst, dass es in der nächsten Woche besser läuft.“

Es wurde nicht besser. Es wurde schlechter. Dustin kam Anfang 2004 als Nummer 500 der ATP nach Europa, eineinhalb Jahre später stand er gerade noch unter den besten tausend. Fünf Jahre tingelte er durch die Gegend. Bis die Sache mit den Schuhbändern passierte.

„Es war im Januar 2009. Ich spielte mit meinem deutschen Freund Peter Steinberger in Spanien Futures. Beim Kofferpacken bei ihm Zuhause fiel mir eine Schachtel mit bunten Schnürsenkeln auf. Ich sagte zu ihm: ,Wenn wir beim ersten Future das Finale erreichen, spielen wir es mit denen. Okay?‘ Er hielt die Idee für blöde, aber sagte okay. Wir erreichten tatsächlich das Finale, spielten mit den bunten Dingern und verloren. Peter hat die Schnürsenkel wieder rausgetan, ich hab sie drin gelassen. Und in den nächsten drei Wochen drei Turniere im Doppel gewonnen, zweimal Finale im Einzel gespielt.“ Seither spielt Dustin Brown mit bunten Schuhbändern.

Karlsruhe als magischer Ort

Der Campingwagen hatte da bereits ausgedient, denn im Juni 2008 war etwas Besonderes passiert: Dustin Brown hatte von den Veranstaltern des Challengers von Karlsruhe eine Wildcard für den Doppel-Hauptbewerb erhalten. Er nützte sie: Semifinale. In der Woche drauf in Fürth: wieder Semifinale.

„Da hatte ich plötzlich ein Doppel-Ranking, mit dem ich in Challenger-Hauptwettbewerbe kam. Und bei Challengern gab es nicht nur mehr Punkte und mehr Preisgeld, sondern auch Hospitality: Dort konnte ich im Hotel wohnen!“ Dustin Brown zog die Übernachtung in Hotels jener im Campingwagen vor und reiste fortan zu jenen Challengern, die Hospitality boten, nicht allzu stark besetzt waren und nicht allzu weit entfernt.

Zum Beispiel im Mai 2009 nach Karlsruhe. Bei dem Turnier, wo er genau ein Jahr zuvor die Doppel-Wildcard erhalten hatte, spielte er sich mit sieben Siegen durch die Qualifikation bis ins Finale. Und pöltzlich fing's an zu laufen. Im August Samarkand: Der erste Challenger-Turniersieg. Dann Alma Ata: Finale. Eckental: Finale. Aachen: Finale. Mitte November 2009 stand Dustin Brown erstmals in den Top 200, Mitte Dezember in den Top 150. In 52 Wochen von 494 auf 144. „Irgendwie lief es plötzlich.“

Wimbledon als Traum

Zu Jahresbeginn 2010 erschien in Jamaika ein Zeitungsartikel über den besten Tennisspieler der Landesgeschichte. Darin stand von den zwei großen Träumen des Dustin Brown zu lesen: Erstens der erste Top-100-Spieler seiner Heimat zu werden. Zweitens im Wimbledon-Hauptfeld zu stehen.

Am 17. Mai stand Dustin Brown auf ATP-Platz 99. Weitere neun Wochen später spielt Dustin Brown in Wimbledon das erste Hauptwettbewerbs-Match bei einem Grand Slam in seiner Karriere. Sein Gegner am Montag ist der Österreicher Jürgen Melzer, Semifinalist von Paris, Nummer 16 der ATP. In seinem Tagebuch auf tennisnet.com schrieb Melzer: „Ich weiß nicht viel über ihn. Ich habe gehört, er soll ein bissl durchgeknallt spielen ...“

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Sonntag
20.06.2010, 08:33 Uhr