"Er hat sich viel kaputt gemacht" - Das irritierende Jahr des Novak Djokovic

Novak Djokovic sorgt im Jahr 2020 nicht nur auf dem Court für Schlagzeilen. Die NUmmer eins der welt agiert auch hinter den Kulissen als Power Player.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 19.11.2020, 12:27 Uhr

Novak Djokovic hat am Freitag sein erstes Endspiel in London 2020
© Getty Images
Novak Djokovic hat am Freitag sein erstes Endspiel in London 2020

Wenn Alexander Zverev (23) am Freitagnachmittag auf den Centre Court der O2-Arena in London schreitet, hat er es mit einem besonderen Rivalen zu tun. Novak Djokovic (33) ist der Mann, der ihm im letzten Gruppenmatch Auge in Auge gegenübersteht, im Endspiel um einen Halbfinalplatz bei der Tennis-WM. Mit einem großen Sieg könnte Zverev seinem bisher eher mittelprächtigen Auftritt einen ganz neuen Dreh geben und vielleicht sogar noch einmal Titel-Hoffnungen wecken. Aber im Umkehrschluß könnte auch ganz schnell alles vorbei sein für Zverev: Eine Niederlage, das Aus in der Vorrunde – und zu Ende wäre am 20. November eine Saison, in der Djokovic schon einmal aus falschen Gründen eine wesentliche Rolle spielte für Zverev, bei der verkorksten Adria-Tour im Frühjahr.

Zverev, verständlich, hat dafür keinen Blick mehr. Jetzt, beim Saisonfinale, zählt nur noch eins. Der Erfolg gegen Djokovic, das Drinbleiben im Turnier. „Es geht um alles oder nichts. Und es ist die härteste Aufgabe, so ein Spiel gegen Novak zu bestreiten“, sagt Zverev. 2018 hatte Zverev sogar im allerletzten Spiel des Turniers gegen Djokovic gewonnen, war Weltmeister geworden. Aber das sei nun mal „Vergangenheit“, nütze nichts im Hier und Jetzt, so Zverev.

Djokovic mit Corona infiziert

Dass sich Zverev und Djokovic nun in einem Spiel treffen, das für einen von ihnen das letzte Spiel des Jahres sein wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn als es um gar nichts ging, bei der von Djokovic veranstalteten Schaukampfserie Ende Juni auf dem Balkan, kreuzten sich ihre Wege auf fatale Weise. Und nicht zum ersten und letzten Mal war es Djokovic, der führende und tonangebende Spieler der Szene, der für Unruhe und zweifelhafte Schlagzeilen sorgte. Djokovics Event lieferte Bilder, die weithin für Entsetzen sorgten: Vollgepackte Zuschauerränge, Partyatmosphäre auf dem Court, ausufernde Disconächte mit den Tennisstars, einschließlich Zverev. Dem Imageschaden folgte der gesundheitliche Schaden: Mehrere Corona-Infektionen, nicht zuletzt von Djokovic und seiner Ehefrau Jelena. Es endete auch nicht gut für Zverev, auch wenn er sich keine Corona-Erkrankung einhandelte. Zverev versprach nach dem Abbruch des Turniers, sich in eine 14-tägige Quarantäne zu begeben, wurde dann aber bei einer Feier mit Kumpels am Mittelmeer gesichtet – angeblich, weil ihn seine damalige Freundin Brenda dazu überredet hatte.

Djokovic war allerdings über weiteste Strecken die größte Irritation in diesem Tennisjahr. Das begann schon im Januar in Melbourne, als er ungehalten Fragen auswich, die sich mit der Einnahme eines mysteriösen Pulvers während des Endspiels beschäftigten. Kurz nachdem er sich dann in der Corona-Krise als Impfgegner outete, präsentierte er sich als Fan einer bizarren, windigen Theorie. In einem Gespräch mit seinem vermeintlichen „Bruder“ Chervin Jafariah, einem ehemaligen iranischen Immobilienmakler, stellte der Weltranglisten-Erste die Behauptung auf, Menschen könnten mit purer Gedankenkraft die Moleküle verschmutzten Wassers reinigen. 

Gründung der PTPA vor den US Open - in Absenz von Federer und Nadal

Vor den US Open sorgte Djokovic für einen sportpolitischen Eklat, als er seine Führungsposition im Spielerrat der Profiorganisation ATP hinschmiss und die Gründung einer alternativen Interessensvertretung (PTPA) ankündigte – gezielt in Abwesenheit seiner ewigen Rivalen Rafael Nadal und Roger Federer. Kaum hatte sich der Sturm über das seltsame Timing gelegt, kam es zum denkwürdigen Moment im menschenleeren Ashe-Stadion: Djokovic schlug im Achtelfinale gegen den Spanier Carreno-Busta einen Ball verärgert weg, traf eine Linienrichterin – und wurde folgerichtig disqualifiziert. Dass sich ausgerechnet Djokovic vorher noch über die strengen Hygienevorschriften in New York mokierte, später dann aber, anders als viele in einem Hotel kasernierte Kollegen, ein luxuriöses Privatanwesen angemietet hatte, komplettierte nur das desaströse Erscheinungsbild des sogenannten Capitano. Djokovic scheine nach dem Motto zu verfahren: Ich tue, was mir gefällt – so beschrieb es ein amerikanischer Profi einmal in diesem Jahr in einer WhatsApp-Gruppe: „Es sieht so aus, als wolle er dem ganzen Erdball den Mittelfinger zeigen.“

Auch bei der WM in London hat sich Djokovic nun wieder pausenlos ins Gespräch gebracht. In einer atemraubenden Volte wollte er wieder in den ATP-Spielerrat zurück marschieren, allerdings schob ihm die ATP da schnell einen Riegel vor und untersagte in einer Eil-Entscheidung potentiellen Kandidaten die Zugehörigkeit zu Konkurrenzorganisationen wie etwa Djokovics PTPA. Zuvor hatte Djokovic schon die Abschaffung der Best-of-Five-Regelung bei Grand Slams gefordert, also Matches über drei Gewinnsätze – und bevor er dann am Mittwoch sehr bescheiden sein zweites Gruppenspiel gegen den Russen Medvedev verlor, hatte er recht unsensibel die australischen Behörden aufgefordert, für die geplanten Turniere im Januar die Quarantäne-Regelungen zu lockern. Worauf in Australien ein Shitstorm gegen den Serben losbrach, vor allem, weil der Kontinent und seine Bewohner sich monatelang unter eisernen Corona-Vorschriften disziplinieren mußten. 

Stets mit philosophischem Überbau

Djokovic ist in der Tenniswelt bekannt dafür, seinem Tun und Handeln stets einen wortreichen philosophischen Überbau zu verleihen, das banale Analysieren von Taktik, Strategie, Schlägen ist ihm oft nicht mehr genug. Er kann sehr einnehmend sein, charmant, offenherzig, humorvoll. Stets zu Scherzen aufgelegt, so wie in seinen wilden Frühzeiten im Circuit, als er bühnenreife Imitationen der lieben Mitstreiter zum Besten gab. Er ist auch ein bemerkenswerter Wohltäter, kümmert sich mit seiner Stiftung um benachteiligte Kinder vor allem in der Heimat. Aber in den letzten Monaten habe er sich „ganz viel kaputtgemacht“, sagen selbst Bekannte und Freunde, „sein Ruf hat Schaden genommen.“

Djokovics Eskapaden erinnerten an eine Mahnung, die einst der gewiefte Großmanager Ion Tiriac seinem Teenager-Schützling Boris Becker mit auf den Weg gab. Man könne sich sich über Jahre Hochachtung, Respekt und Anerkennung aufbauen, so sagte Tiriac, „aber du kannst alles mit einem Fehler zerstören. An einem Tag.“ Von diesen Tagen hatte Djokovic 2020 mehr als genug.

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von Jörg Allmeroth

Donnerstag
19.11.2020, 13:45 Uhr
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