Andrea Petkovic – wieder mal eine Drehung des Schicksals
Andrea Petkovic schüttelt die Selbstzweifel vor dem „Wochenende der Wahrheit“ ab und reist mit einem Turniersieg zum Fed-Cup-Finale.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
03.11.2014, 12:16 Uhr

Von Jörg Allmeroth
Als Andrea Petkovic zu Beginn dieser Tennis-Saison einmal gefragt wurde, ob sie sich selbst nicht ein bisschen zu kompliziert finde, da trat ein einigermaßen entschlossener Blick in das Gesicht der manchmal wundervollen, manchmal wundersamen Berufsspielerin. Petkovic saß damals im Leistungszentrum des Hessischen Tennis-Verbandes auf der Offenbacher Rosenhöhe und gab genau dies zu Protokoll: „Großer Vorsatz für 2014. Vereinfache Dein Tennisleben. Also nicht mehr nach einer Niederlage noch dran denken: Hast du vor dem Spiel zu viel gegessen, hast du zu viel oder zu wenig trainiert. Manchmal gibt es einen Scheißtag, an dem du mit dem falschen Bein aufstehst. Und den du dann genau so akzeptieren musst.“ Petkovic zögerte einen Moment, dann beendete sie ihren Vortrag mit Vorsatz so: „Ich bin halt ein Kontrollfreak, eine ewige Hinterfragerin. Aber ich weiß jetzt: Du kannst nicht alles kontrollieren und in Frage stellen.“
Die Stehauffrau im deutschen Tennis
Wenn’s bloß so einfach wäre für den Charakterkopf des deutschen Frauentennis. Als in diesem Herbst der Countdown zum Fed-Cup-Finale in Prag unerbittlich heruntertickte und fast gleichzeitig die Leistungskraft Petkovics dramatisch absank, geriet die in dieser Saison sehr lange sehr heile Welt der Darmstädter Weltklasseathletin komplett durcheinander. Wer sie in jenen Oktober-Wochen in Linz oder Luxemburg beobachtete, sah eine an allem zweifelnde Spielerin – körperlich ausgelaugt, psychisch erschöpft,bangend sogar um den sicher geglaubten Stammplatz im Porsche Team Deutschland für das Fed-Cup-Endspiel gegen Tschechien. Petkovic konnte selbst nicht mehr verhindern, dass sie mit eigenen Worten die Krise sogar noch größer machte, als sie tatsächlich war. In Luxemburg sagte sie, sie sei gerade nicht mehr in „irgendeiner Verfassung, um Tennis zu spielen“ – und deutete kryptisch „private Probleme“ an. Es war einer der von Petkovic angesprochenen „Scheißtage“ im schweren Leben auf der Tour, doch Petkovic akzeptierte ihn nicht. Sondern lud sich noch zusätzlichen Ballast auf.
Wahrscheinlich werden die irritierenden Schwankungen Petkovic nie ganz verlassen – eine Spielerin, die alle Aufs und Abs in einer Tenniskarriere mit einer weitaus höheren Intensität durchlebt als viele stoische Kolleginnen. Und genauso wahrscheinlich ist, dass die heimliche Führungsspielerin im deutschen Team immer wieder diese verblüffenden, scheinbar unmöglichen Comebacks auf die Centre Courts zaubert, so wie nach diesem Herbst der Depressionen nun mit dem strahlenden Turniersieg in Sofia genau im richtigen Moment – direkt vor dem Wochenende der Wahrheit für das deutsche Team. „Andy ist die Stehauffrau. Sie kommt immer wieder zurück, ganz egal, was ihr alles passiert und widerfährt“, sagt Teamchefin Barbara Rittner.
Nahe dran am Traumziel
Sie weiß, wovon sie spricht: Oft genug hat sie Petkovic bei diesen Rückkehr-Missionen eng begleitet, bei den Neuanläufen nach den wiederholten Verletzungs-Tiefschlägen. Kreuzbandriss, Fraktur im Kreuz-Darmbein-Gelenk, Bänderriss im Sprunggelenk, nichts konnte Petkovic jemals so nachhaltig erschüttern, als dass sie nicht wieder in der Weltspitze aufgetaucht wäre. 2012 hatte sie, leidend und körperlich angeschlagen, als Nummer 143 beendet, die letzte Saison als Nummer 39, doch nun, mit 340 Punkten für den Turniersieg in Sofia, zog sie für das Jahr 2014 im Wanderzirkus als Nummer 14 der Hackordnung den Schlussstrich. Nahe dran also am Traumziel, der Rückkehr in die Top Ten. „Es war ein tolles Jahr für mich, trotz harter Phasen, trotz mancher Zweifel“, sagt Petkovic, „aber das Größte kommt ja erst noch.“ Das Endspiel in Prag mit den von ihr so gern und oft beschworenen „Ollen“.
Eigentlich wollte Petkovic gar nicht zu dieser ungeliebten B-Weltmeisterschaft nach Sofia hinfahren, der Termin wirkte wie ein Fremdkörper so knapp vor dem Fed-Cup-Finale und nach dieser dramatischen Niederlagenserie auf der Tour.Doch nun hat sich das Ja zum Ausflug auf den Balkan geradezu als Glücksfall und Drehung des Schicksals erwiesen– und irgendwo auch als Aufputschmittel für das deutsche Team, das in Prag gegen bärenstarke tschechische Titelverteidigerinnen eine selbstbewusste und nicht an sich selbst zweifelnde und verzweifelnde Petkovic braucht. Wie hat Barbara Rittner einmal ihre engste Vertraute beschrieben, die Spielerin, mit der alles bei diesem zweiten deutschen Fräuleinwunder anfing: „Extrovertiert, ehrlich, zielstrebig, dickköpfig, sehr fleißig, unterhaltsam, kreativ, humorvoll.“ Viele diese Qualitäten wird die jäh beflügelte Petkovic nun auch beflügelnd für ihre Freundinnen einbringen – bei der Mission Fed-Cup-Sieg in der Goldenen Stadt.